Eher ältere Semester bevölkern nicht nur die mit 4.500 Gästen ausverkaufte EmslandArena, sondern auch beim Hauptact die Bühne. Deep Purple haben mit Sänger Ian Gillan (79), Bassist Roger Glover (78) und Drummer sowie Gründungsmitglied Ian Paice (76) noch drei Mitglieder des Mark II genannten Line-Ups dabei. Hier entstand der Sound, für den die Band ikonografisch steht. Organist Jon Lord wurde nach seinem freiwilligen Ausscheiden 2002 von Don Airey (76) ersetzt, Gitarrist Richie Blackmore verließ die Band im Streit. Trotz allerlei Wechsel: Seit 1992 spielen Gillan, Glover und Paice konstant zusammen. Lange Zeit mit Steve Morse, der sich verabschiedete, um sich um seine erkrankte Frau zu kümmern. Seit zwei Jahren ist nun der 45-jährige Simon McBride dabei - ein Jungspund an der Gitarre. Der Albumtitel "=1" symbolisiert die neue Einheit, die die fünf Musiker bilden.
Fulminant steigen Deep Purple mit "Highway Star" ein, und das folgende "A Bit On The Side" vom neuen Album kann erstaunlich gut mithalten. Lobenswert, dass die Briten nicht mit einer Best-of-Revue auf Nummer sicher gehen, sondern sechs Songs des neuen Albums in die Setlist integrieren. "Bleeding Obvious" dürfte zwar ein zukünftiger Streichkandidat sein, während "Lazy Sod" mit seinen Boogie-Passagen und der heulenden Orgel nahtlos in "Now You’re Talkin‘" hinübergleitet - mit Aireys flirrenden Keyboardläufen ein neuer "Speed King". Zwischendurch gibt Gillan gern Anekdoten zum Besten. So habe er mal versehentlich sein Haus in Brand gesetzt, kam aber als "fauler Sack" (lazy sod) nicht rechtzeitig aus dem Bett, die Sprinkleranlage sprang an. Da habe er schnell eine Arche für ihn und seine Katze gebaut, fabuliert er weiter. Im Songtext heißt es freilich auch "The world’s on fire", was sich als Kommentar zum Klimawandel verstehen lässt. "Portable Door" spielt mit der Idee vom fliegenden Teppich und glänzt mit dem Twin-Sound von Gitarre und Hammondorgel. Zwei großartige neue Rock-Singles mit poppigem Appeal.
Bei den Klassikern steht "Lazy" ganz vorn. Aus einer schräg-verstörenden Keyboard-Exkursion schält sich eine Melodie heraus, eines dieser E-Gitarren-Riffs für die Ewigkeit knallt herein, Gillan schlendert zur Rampe mit ultralässigem Bluesgesang, greift zur Mundharmonika. Am Ende ruft er ein zufriedenes "Hurrah" in den Saal und schickt hinterher: "Some great vibes here!" "Space Truckin‘" mit Splitterakkorden, wedelnden Gitarrenhälsen und Urschrei. Gillan übt sich im Luftboxen, wirft symbolisch Töne mit der Hand in die Luft, bis sie im All verschwinden. Auf der Videowand eine Art Wurmloch und herumfliegende Miniplaneten. Dann reißt McBride einen Akkord an. Legt die Hand hinters Ohr. Anschwellende Euphorie im Publikum. Und was muss, das muss: Das berühmteste Riff der Rockgeschichte (neben dem von "Satisfaction") knallt in den Saal - glasklar, messerscharf, knochentrocken. Bilder von rotierenden Rouletterädern, Spielkarten mit den Konterfeis früherer und aktueller Bandmitglieder, laufende Aufnahmebänder, Feuer und Qualm. Deep Purple hatten sich das mobile Tonstudio der Stones geliehen und in einem Nebenraum des Casinos von Montreux untergebracht, während im Konzertsaal des Gebäudekomplexes bei einem Frank Zappa-Konzert ein Feuer ausbrach. Daraus entstand "Smoke On The Water", das in Deutschland 1971 gerade mal die Top 20 erreichte, sich aber zur Purple-Hymne schlechthin entwickelte. Zur Erinnerung schmückt das Ereignis die Bierbecher, wenngleich mit Schreibfehler ("Montruex").
McBride lässt nicht nur "Smoke On The Water" frisch und zeitlos erklingen. Steve Morse war ohne Frage ein versierter Gitarrist, aber seine mitunter jazzrockigen Exkursionen nahmen den Songs manchmal Struktur und Dynamik. McBride spielt deutlich songdienlicher und gerät nie ins Gniedeln. Dafür er darf er sich in einem Solo angemessen austoben. Diese Gelegenheit erhält Don Airey gleich zweimal: Mächtiger Kirchenorgel-Prunk, Hammond-Geheul, Moog-Synthesizer-Klänge à la Jean-Michel Jarre, Klassik-Passagen wie Mozarts "Rondo alla Turca", Barrelhouse-Piano, gespenstischer Gewitterdonner - alles frei von Clayderman-artigem Geklimper, vor dem Airey bei früheren Soli nicht zurückschreckte. Zwischendurch lässt er sich ein Flasche Rotwein bringen, von dem er ein Gläschen genießt. Ein großer Spaß. Glover und Paice sind das eingespielte und bewährte Rhythmus-Duo, stellen nur kurz ihre Fertigkeiten aus, um sich gleich wieder dem Song unterzuordnen. Auch wenn Gillan sein Gesicht verzieht, als sei das Singen eine veritable Anstrengung: Seine Stimme ist immer noch kraftvoll, ausdrucksstark und von hohem Wiedererkennungswert. Gerade für die neueren Songs hat er die Tonlage etwas tiefer gelegt. "Child in Time" singt er schon lange nicht mehr, weil das nötige Stimmvolumen hierfür seinen Ansprüchen nicht mehr genüge. Macht nichts. Schließlich werden auch all die ungespielten Knaller wie "Never Before", Speed King", "Woman From Tokyo" oder "Fireball" nicht vermisst, weil die Band so viel neues und gutes Material am Start hat.
Dazu gehört auch "Old Fangled Thing", das den Zugabenblock einleitet. Zum Joe South-Cover "Hush", 1968 die erste Single, tanzen auf der kunterbunten Projektionsfläche drei Go-Go-Girls, darunter liefern sich Airey und McBride einen Call and Response-Battle an Keyboards und Gitarre, Glovers Bass pulsiert. "Black Night" sieht McBride noch einmal an der Rampe, die Fans singen seine Riffs nach und das Effektpedal lässt die Gitarre zum Raumflug abheben. Dazu tanzt im Video ein langhaariger Mann über Keyboardtasten von Wolken umhüllt. Vielleicht der junge Gillan zwischen frühem Heldenstatus auf Erden und dem Weg auf den Rock-Olymp. In dieser Form werden Deep Purple noch einige Jahre vielen Fans Freude bereiten.