Den Abend eröffnete - wie schon in Berlin zwei Tage zuvor - die Solinger Band Lyschko. Ihr rund 40-minütiges Set speiste sich zu einem Drittel aus Songs des Debütalbums "Brennen" (2022), der Rest entstammte dem erst in der Vorwoche erschienenen "Niedergang II". Bevor Lina und Jonah Holzrichter gemeinsam mit Lukas Korn Lyschko aus der Taufe hoben, spielten sie in einer anderen Band namens The Cuckoo und ließen Klez.e-Frontmann Tobias Siebert 2017 nach einem Konzert der "Desintegration"-Tour in Köln ein Album der Band zukommen, um auf sich aufmerksam zu machen. Das hat offensichtlich bestens funktioniert, denn Tobias lud ihre Nachfolgeband Lyschko nicht nur jetzt als Support ein, sondern hatte zuvor auch schon ihre beiden Alben produziert (oder wie er in seiner bescheidenen Art sagen würde: aufgenommen).
Live wurde das Trio in Essen von Tom Glaser an den Drums unterstützt und legte ohne langes Vorgeplänkel direkt mit voller Wucht los: Lina überzeugte mit ihrer charismatischen Bühnenpräsenz, auch wenn ihr Gesang manchmal leider etwas vom begleitenden Gitarrengewitter verschluckt wurde. Während das neue Album neben düsteren Wave-Klängen durchaus auch einige poppige Momente bereithält, zeichnete sich die Live-Umsetzung vor allem durch ihre unbändige Energie aus. Davon wird man sich in der zweiten Hälfte des Monats November noch auf einer eigenen Tour der Band mit insgesamt elf Terminen überzeugen können.
Am Ende einer kurzen Umbaupause wurde dann die Leistungsfähigkeit der örtlichen Nebelmaschinen ausgetestet, so dass Tobias Siebert, Daniel Moheit und Filip Pampuch während "Mauern", dem Beginn ihres Auftritts, allenfalls schemenhaft auf der Bühne erahnt werden konnten. Im anschließenden "Flammen" spielte Filip seine Drums mit einer solchen Vehemenz, dass man leicht den Eindruck bekommen konnte, als dresche er direkt auf die Trommelfelle der Zuhörenden ein, was schmerzhaft klingen mag, in seiner Intensität jedoch ein unverzichtbares Erlebnis darstellt. "November" rundete anschließend den "Desintegration"-Block zum Einstieg ab, bevor mit dem jüngst - passend zur Tour und Jahreszeit - als Video veröffentlichten "Herbstherz" der Übergang zur aktuellen Platte "Erregung" hergestellt wurde. Die gab es im weiteren Verlauf des Abends dann vollständig, aber weder am Stück noch in gewohnter Reihenfolge zu hören. Bis auf eine Ausnahme wurde jedoch auch "Desintegration" in Gänze dargeboten und erwies sich dabei als perfekte Ergänzung zu den neueren Songs. "Lobbyist" etwa, auf Platte eher unscheinbar, sorgt live mit schöner Regelmäßigkeit für besondere Augenblicke - auch, aber nicht nur, weil es mittlerweile schon zu einer Art Tradition geworden ist, dass Tobias bei diesem Song den Tonabnehmer seiner Gitarre als Gesangsmikrofon zweckentfremdet. Der opulente Titeltrack des aktuellen Albums beendete anschließend das reguläre Set, dem aber noch ein ausgedehnter Zugabenblock folgen sollte.
Einziger Wermutstropfen – zumindest für all diejenigen, die Klez.e zu ihren ersten drei, nicht minder großartigen Platten noch nicht live erleben konnten: Aus dieser Phase schafften es - wieder einmal - nur das "Strandlied" und "Wir ziehen die Zeit" in klanglich auf die beiden letzten Alben abgestimmten Versionen auf die Setlist. Nach "Nachtflug" schien das Ende des Abends erreicht zu sein, doch das Trio kehrte noch ein letztes Mal auf die Bühne zurück: "Ich habe gerade erst mein zweites Bier angefangen, daran könnt Ihr erkennen, dass es noch lange nicht vorbei sein kann", scherzte Tobias und weckte damit kurzzeitig Hoffnungen, dass es vielleicht doch noch mehr Songs von "Leben daneben", "Flimmern" oder "Vom Feuer der Gaben" zu hören geben könnte. Nach "Drohnen" - einem der letzten Titel von "Desintegration", die noch gefehlt hatten - war dann aber doch "schon" Schluss, ohne dass jedoch irgendjemand das Gefühl gehabt haben dürfte, nicht auf seine Kosten gekommen zu sein.
Als nach beinahe 100 Minuten das Licht im Saal wieder hochgedimmt wurde, ertönte feierlich das in diesen Minuten frisch erscheinende neue Cure-Album als perfekter Soundtrack fürs Aftershow-Abbauen aus den Boxen, auch wenn manche der Anwesenden hierzu sicherlich lieber andächtig innegehalten und ihren nagellackfarbenen Lieblingswein getrunken hätten.
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