Es hat ja nun schon so einige Orange Blossom Festivals gegeben - jedoch noch keines, bei dem die Wetter-Punktlandung so perfekt inszeniert worden war, wie bei der diesjährigen, 18. Ausgabe. Nicht nur, dass es pünktlich zum ersten Festival-Tag den notwendigen Wetterumschwung von den üblichen Kaltfronten hin zum Hochsommer gab: Vom heißesten Pfingstwochenende seit Beginn der Wetteraufzeichnungen munkelten die Meteorologen. Das riss - angesichts des ersten sich anbahnenden Ideal-Sonnenuntergangs am Freitag - den Lingby-Vorsitzenden Willi Dück zu der Aussage hin: "Das ist ja atemberaubend - so schön ist es nur in Beverungen." Das Motto der heurigen Ausgabe ist "Hingabe". Nun waren die Motti der letzten Jahre ja immer schon knackig auf den Punkt gekommen. Das diesjährige schien deswegen von vorneherein zur Interpretation freigegeben. Das Maskottchen ist dieses Mal jedenfalls ein Fisch, der sich - nach gutmütiger Auslegung der Tatsachen - selbst mit Tabasco würzt. Der Service-Gedanken, so könnte man glauben, steht also dieses Mal an erster Stelle.
Frage: Wie bringt man eine Party am besten ins Rollen? (Und damit ist jetzt noch kein Rembert-Witz gemeint.) Antwort: Mit der Kunst und einer Ehefrau. Das meinte jedenfalls das kanadische Band-Kollektiv Rah Rah und eröffnete das Festival betont schmissig und lebendig mit dem Titel "Art + A Wife", der somit auch zur Blaupause des gesamten Sets geriet. Dazu muss man wissen, dass Rah Rah nicht aus einer der wenigen Metropolen des Landes, sondern aus der Provinz Saskatchewan stammt. Das bedeutet: Die Mädels und Jungs sind alle noch ein wenig schratiger und abgedrehter drauf als ihre ähnlich ambitionierten Landsleute. "Gut gelaunt" wäre als Umschreibung für die Haltung, mit der das Programm aus großartig inszenierten Indie-Gassenhauern runtergespult wurde demzufolge durchaus noch untertrieben. Zum Beispiel wechselten die fünf Musikanten ihre Instrumente so oft, dass sie vermutlich zeitweise selbst nicht mehr wussten, was sie gerade spielten. Dies übrigens auch schon bei der vorangegangenen Akustik-Session des WDR. Bei ihrem Auftritt hüpften sie derweil ansteckend kinetisch über die Bühne und illustrierten das Material mit herzhaften und als solchen angelegten Parodien auf die großen Stadien-Gesten dieser Welt. Das Publikum ließ sich nicht lange bitten, sondern machte gerne mit. "Wir sind seid fünf Wochen in Deutschland und alle erzählen uns, wir sollten uns auf dieses Festival freuen", erklärte Drummer Erin Passmore, "und jetzt wissen wir auch, warum". Die trinkfesten Kanadier erwiesen sich nicht nur als ideale Live-Band, sondern auch als idealer Opener. Und nebenbei als Fans und Professionals. Nicht nur dadurch, dass sie sich das ganze folgende Programm anschauten, sondern auch indem sie (trotz des erwähnten Trankeszuspruches) am nächsten Morgen pünktlich und nüchtern um acht Uhr am Frühstückstisch saßen.
Während Golden Kanine noch auf einer eigens organisierten Musikanten-Butterfahrt auf der Weser unterwegs waren, um ihre Akustik-Session auf einem geheuerten Ausflugsdampfer zu absolvieren, waren auf der Bühne schon Lingby aus Köln dabei, ihr umfangreiches Instrumentarium zu sortieren. Lingby sind ein Beispiel dafür, wie die programmatischen Mühlen des OBS mahlen: Obwohl die Band bereits bei einer Tour der ehemaligen Glitterhouse Band Lampshade als Support engagiert waren, dauerte es bis jetzt, dass Rembert die Band fürs OBS verpflichtete und dafür sein eigenes Dogma, niemals einen Vorschlag für das OBS aus der Fangemeinde zu akzeptieren, brach. Zu recht, denn Lingby sind mit ihrer Art des konzertanten, organischen Indie-Art-Pops eigentlich auch eine perfekte Festival-Band. Gleichwohl es - vielleicht aufgrund der klimatischen Bedingungen - nicht gelang, Blechbläser, Keyboards, Gitarren und Gesang tonal zu synchronisieren. Immerhin: Lingby brachten so etwas wie Sophistication ins Spiel, denn ihre komplex angelegten Tracks zwangen sozusagen zum Zuhören, was aber publikumsseitig kein Problem darstellte - und einige flotte Gassenhauer hat das Quintett ja auch im Programm.
Während der Umbaupausen spielte an diesem Tag die Band mit dem griffen Namen Annen May Kantereit auf der Mikro-Bühne hinter dem Mischpult. Rembert kündigte an, dass sie Band demnächst sehr groß werden würde und man sich diesen intimen Auftritt deswegen nicht entgehen lassen sollte. Die geübten Straßenmusikanten klangen - insbesondere bei den auf Deutsch vorgetragenen Tracks - zunächst mal wie Element Of Crime auf Acid - was ja keine schlechte Maßgröße ist, und begeisterten die Leute mit einer für diese Art von Inszenierung typischen Augsburger Puppenkisten-Mentalität. Vielleicht wird das ja tatsächlich noch was. Obwohl: Der Bandname spricht nicht unbedingt dafür.
Der nächste Act tat sich namenstechnisch nix mit Annen May Kantereit. Denn die nominell dänische Band (mit Drummer aus Wismar) um Claudius Angryman und seine manischen Mannen nennen sich Reverend Shine Snake Oil Co. Und das mit gutem Grund: Clauduis ist eine Mischung aus Prediger, Shamane, Alleinunterhalter und musikalischem Wunderheiler. Worum geht es? "Alle Arten von amerikanischer Musik in einer Keksdose zusammenzupacken" - so legte es jedenfalls Claudius aus. Nun ist die Sache aber doch nicht so einfach. Zwar ersetzte Claudius dem Publikum den Tom Waits (oder Johnny Dowd) performancetechnisch durchaus. Und zwar gab es Versatzstücke aus Soul, Jazz, Folk, Rock und Pop. Aber als Retro-Zitatensammlung kann man das, was RSSOC machen, dennoch nicht bezeichnen, denn das Quartett hat es geschafft, aus all dem eine ganz eigene Mixtur zu kreieren - schon alleine in der Art, wie sie all ihre Instrumente als Rhythmus-Instrumente begreifen. Clauduis trieb derweil das Geschehen mit inbrünstigen - und eben manischen - Gesten an, zitierte Lou Reed, bestellte 1.000 Gläser Whisky beim Bartender und schaffte es, das Publikum polyphon als Backing-Chor zu dirigieren. Die Wildcard des Tages erwies sich demzufolge als absoluter Volltreffer.
Golden Kanine gehören zwischenzeitlich zur Glitterhouse-Stammbelegschaft (und werden gar als Hochzeitskapelle gebucht). Die Begeisterung für die Band wird auch in vollem Umfang von dieser zurückgegeben. Soeben von der o.a. Bootstour zurückgekehrt, hüpfte Linus Lindvall aufgeregt im Backstage-Bereich umher und konnte es kaum erwarten, auf die Bühne zu klettern. Das inzwischen zum Sextett aufgebohrte Konsortium stürzte sich demzufolge mit der gleichen ansteckenden Begeisterung ins Geschehen, mit der es 2010 - damals noch als Geheimtipp ohne reguläre Veröffentlichung - auf dem OBS debütierte. Es ist ja immer schön zu sehen, wenn sich Musiker auch als Fans ihres Tuns und nicht nur als professionelle Handwerker darstellen. Und das ist bei Golden Kanine der Fall und deswegen funktionieren ihre Live-Auftritte auch im allgemeinen besser als die CDs, bei denen dieser Faktor einfach nicht wiedergegeben werden kann. Musikalisch gab es zu vermelden, dass die Band auch neues Material im Gepäck hat (z.B. den Opener "200 Years"), trotz aller Düsternis in den Songs den Humor nicht verloren hat ("Der letzte Song klang wie der Tod", meinte Lindvall z.B., "und der nächste klingt wie eine fünfjährige Beziehung kurz vor ihrem Tod.") und dass sich die Jungs immer mehr von ihrer Rock-Vergangenheit lösen. Faszinierenderweise schaffen sie es nämlich, dass die Gitarren (die nach wie vor vorhanden sind) musikalisch ihre definierende Position verloren haben, ohne dass deswegen die Musik wesentlich weniger druckvoll geworden wäre: Sie rockt heute nur nicht mehr, sondern swingt eher. Kurzum: Das war ein perfekter Abschluss für einen perfekten Festivalauftakt. Punkt.