Schorndorf, Manufaktur, 15.01.2006
Schlimmer hätte die Tour eigentlich nicht beginnen können: Sechs Tickets waren im Vorverkauf weggegangen, gerade einmal 40 Seelen fanden sich letzten Endes an diesem bitterkalten Sonntag in der Manufaktur ein. Bei jeder anderen Band hätte sich das vermutlich auch auf die Stimmung der Musiker niedergeschlagen, aber die Posies waren entschlossen, ihr Ding durchzuziehen, und das taten sie meisterlich: Selten haben wir von der Band eine solche Energieleistung gesehen: Jon, Ken und Matt lagen ständig praktisch quer in der Luft, Kunststück, fanden sich auf der Setlist doch jede Menge Hüpf-, Spring- und Gitarren-werf-kompatible Nummern wieder, angefangen bei "Flavor Of The Month" als Opener über "Ontario" gleich als zweites bis zu "Definite Door" und "Please Return It". Dass es trotzdem kein stumpfes Best-Of-Festival wurde, dafür sorgte eine klasse Version des B-Seiten-Klassikers "Terrorized". Spätestens als der auf dem Programm stand, war auch das Publikum richtig auf Betriebstemperatur gekommen. Vor allem zwei Herren, der eine eher schmächtig und blond, der andere wohlgenährt mit strähniger Matte, gingen richtig gut ab. Nicht genug allerdings, um Ken davon abzuhalten, Witze über die beiden aktivsten Zuschauer zu machen: Gleich mehrfach im Laufe des Abends bezeichnete er die beiden - ziemlich treffend übrigens - als Asterix und Obelix.
Für die letzte Strophe von "Throwaway" machten Jon und Ken ihren mittlerweile obligatorischen Abstecher mitten ins Publikum, und mit "Solar Sister" war das kurze, aber ungemein knackige Mainset nach weniger als einer Stunde vorbei. Schnell noch die beiden vorher ausgeheckten Zugaben (eine überarbeitete Bandversion von "Coming Right Along", nach der sich nach der Show gleich mehrere Zuschauer erkundigten) und "You're The Beautiful One", und das hätte es gewesen sein können. Wenn, ja wenn die Band nicht inzwischen auf den Geschmack gekommen wäre und dem Schorndorfer Publikum noch eine Weltpremiere präsentierte. Kurzerhand brachte Ken seinen Kollegen nämlich innerhalb von 40 Sekunden auf der Bühne eine Coverversion bei, die er sich in den Kopf gesetzt hatte zu spielen, und so gab es dann, mit ordentlich Punkrockfeeling, aber für eine Spontanaufführung durchaus beachtlich, "Enjoy The Silence" von Depeche Mode zu hören.
Danach packte dann der Roadie schon die Gitarren zusammen, aber ohne sich mit seinen Bandmates abzusprechen, hängte Ken kurzerhand noch eine brutal schnelle Version von "Grant Hart" dran, in die er all seine Energie und Aggression legte, was man schon allein daran ablesen konnte, dass er an die letzte Zeile "when you die" noch ein herausgebrülltes "MOTHERFUCKER!" anhängte. Da wollte Jon nicht zurückstehen und gab auch noch seinen größten Hit "Dream All Day" - den er ja eigentlich endlich einmal weglassen wollte - zum Besten und hatte sichtlich Spaß daran. Aber obwohl er danach als eigentlich finalen Akt alle Saiten von seiner Gitarre riss, war immer noch nicht Schluss. Nach dem balladesken "Love Letter Boxes", in der aktuellen Version eines der Highlights des Posies-Repertoires, folgte dann noch eine ziemlich abgefahrene Version von "I Finally Fund A Jungle I Like", von Ken "dreisprachig" vorgetragen: Auf Englisch, auf Rock N Roll und auf Fuck You... In seinen großartig überdrehten Monologen mitten im Song verriet Ken - völlig nüchtern übrigens -, dass sein Tagesablauf praktisch daraus besteht, morgens nicht zu duschen ("Wir sind hier schließlich in Europa") und dann abwechselnd Bier und Heroin zu sich zu nehmen... Es gab sicher schon bessere Posies-Konzerte, aber vor vierzig Leuten haben wir ehrlich gesagt noch keine Band so dermaßen aufdrehen sehen.
Regensburg, Alte Mälzerei, 16.01.1006
Am nächsten Tag sah alles schon viel besser aus: Der Club gemütlicher, die Bühne niedriger und kleiner, das Publikum zahlenmäßig mehr als doppelt so stark wie in Schorndorf. Trotzdem gab es "nur" das reguläre Mainset, in dem sich an diesem Abend die Überraschungen trotz eines hoch-energetischen "Daily Mutilation" und der für ihren Gastgeber in der Mälzerei gewidmeten "Precious Moments" eher in Grenzen hielten. Da freute man sich fast, dass Kens Gitarreneffekte verrückt spielten und die Band das Programm vor der eigentlich geplanten letzten Nummer kurzfristig umstellen musste. So gab es "Grant Hart" dieses Mal nur mit einer Gitarre, und Ken sprang - von seiner Axt befreit - wie besessen im Publikum umher.
Die Zugabe allerdings war einfach nur großartig. Los ging's mit "Last Crawl" vom neuen Album, ultra-selten gespielt und trotzdem geradezu perfekt vorgetragen, und als Jon zu der Stelle im Song kam, an dem normalerweise von Tequila und Wodka die Rede ist, hieß es dieses Mal: "Vodka to the left of me, Jägermeister to the right." Genau dieser Jägermeister wurde dann für den Rest des Abends in immer kürzeren Abständen gereicht, aber nicht nur deshalb wurde es ein richtig lustiges Konzert. Weil Drummer Darius mit seinen Händen zu kämpfen hatte (Ken: "Wir waren heute deswegen beim Pferdedoktor mit ihm, und der meinte, das wird schon wieder, aber als Bonus hat er ihm noch die Eier strammgezogen!"), spielten Jon und Ken die Zugabe kurzerhand größtenteils zu zweit. Das bedeutete, dass es eine ganze Reihe äußerst selten gespielter Songs zu hören gab, ihren ersten regionalen Hit im Nordwesten der USA, "I May Hate You Sometimes" aus dem 1988er Album "Failure" zum Beispiel oder "The Certainty". Für die Nummern wurde übrigens auch Bassist Matt in die erste Reihe zitiert: "Schau mal gut hin, damit du die Songs auch endlich lernst."
Irgendwann setzte sich Jon dann ans Schlagzeug, doch statt wie eigentlich geplant mit Posies-Songs weiterzumachen, gab's erst einmal ein rund viertelstündiges Coverversionen-Medley, bei dem ziemlich schnell auch Matt am Bass mit einstieg: Von Echo & The Bunnymen über The Rolling Stones und Sonny und Cher wurde dabei von den dreien so ziemlich alles nachgespielt, was nicht fest im Boden verankert war. Besonders gelungen allerdings vier Songs, die die dezimierte Band ungeprobt praktisch komplett spielte: "Melt With You" von Modern English, "Dreaming" von Blondie, "Take The Skinheads Bowling" von Camper Van Beethoven und ganz zum Schluss den Rock N Roll-Evergreen "Route 66". Danach war zwar Darius wieder fit genug für eine letzte Nummer, aber die Ratlosigkeit groß, was man jetzt noch spielen könne. Also gab's eine weitere Coverversion, nämlich erneut "Enjoy The Silence", dieses Mal wesentlich wackelfreier als in Schorndorf. Wenn jemand fragt, warum die Posies so eine großartige Liveband sind: Eine Aufnahme von diesem Abend wäre die beste Antwort.
Saarbrücken, Hellmut, 17.01.2006
Wer dachte, der Tourtiefpunkt sei bereits in Schorndorf erreicht gewesen, hatte nicht mit Saarbrücken gerechnet. Dass das Publikum zahlenmäßig das aus Schorndorf nicht übertraf, war nicht wirklich gravierend, denn der Club war wirklich winzig. Schlimmer dagegen war, dass das Publikum den Auftritt ohne jegliche Anzeichen von Enthusiasmus über sich ergehen ließ. Was vermutlich darauf zurückzuführen war, dass die Hälfte für die Vorgruppe The Amber Light gekommen war und die andere Hälfte zwar durchaus interessiert war, aber ihren Reaktionen nach zu urteilen keinen einzigen Song kannte. "Dream All Day" zum Beispiel ist selten so wirkungslos verpufft. Die Band versuchte trotzdem, das Beste daraus zu machen, und spielte für die Hand voll Mitgereister ("Die vier, die ein paar Extra-Kilometer gefahren sind und nicht nur aus Downtown Saarbrücken angereist sind", wie Ken meinte) ein paar feine Raritäten: Das immer wieder großartige "Any Other Way", das - absichtlich oder nicht - mit ein paar neuen Parts versehene "Apology" aus dem 1990er Album "Dear 23" und sogar "Compliment" aus dem Debüt. Bei den Zugaben allerdings war dann der Goodwill der Band relativ schnell aufgebraucht: "Grant Hart" klang ein wenig dahingeworfen, "Burn And Shine" war zwar klasse, aber mit zehn Minuten vergleichsweise kurz, und als das Feedback der Nummer noch nicht ganz verhallt war, ging schon die Musik vom Band und das grelle Clublicht an. Wie heißt es doch in der Ken-Solonummer "Find Yourself Alone": "This place is dying and they turned the lights on". Nicht der fehlenden Qualität der Show wegen, aber ob der seltsamen Stimmung des gesamten Abends: Schnell abhaken!
Frankfurt, Nachtleben, 18.01.2006
Was für ein Unterschied 180 Kilometer doch machen können: In Frankfurt erreichte das Publikum nämlich wieder stattliche Ausmaße, und die Band bedankte sich mit einer zweiten Zugabe. Dabei war das Mainset - relativ gesehen - vielleicht sogar das schwächste: Vielleicht in der Gewissheit, an diesem Abend endlich wieder vor Fans - einige waren sogar aus Spanien angereist und feierten sich während der gesamten Show gut vor der Bühne – zu spielen, war das Energie- und Aggressionslevel nicht ganz so hoch wie bei den beiden Shows in Schorndorf und Saarbrücken. Dafür gab's eine langwierige, aber niedliche Erklärung Kens dafür, warum das Publikum doch bitte in die erste Reihe aufrücken solle (angeblich hat Beatles-Produzent George Martin den Frankfurter Kellerclub in den 60ern eigenhändig gestaltet und dabei besonderen Wert darauf gelegt, dass der optimale Hörgenuss nur in der ersten Reihe gewährleistet sei: "Only there you'll hear THE MUSIC, the others will only hear MUSIC!"
Zu verpassen gab es erstmals auf der diesjährigen Tournee die Anti-Bush-Tirade "Could He Treat You Better", ein etwas anders als sonst gespieltes "Ontario" (Ken: "Ich probier mal einen Trick aus, den ich auf der Rock N Roll-Academy gelernt habe") und das noch nicht einmal auf der Setlist verewigte "Everybody Is A Fucking Liar". Was diese Show nicht nur solide, sondern einmal mehr ganz ausgezeichnet werden ließ, war allerdings die eingangs bereits erwähnte zweite spontane Zugabe, die Jon und Ken alleine bestritten: Zuerst gaben sie "You Avoid Parties" von "Dear 23" zum Besten, dann spielten sie Big Stars "Thirteen" und ganz zum Schluss sogar noch "Will You Ever Ease Your Mind": Ganz locker, ganz simpel, ganz einfach zu zweit und gerade deshalb geradezu magisch schön!
Köln, Prime Club, 19.01.2006
Es gibt Tage, da weiß man schon vorher, dass es ein großartiger Auftritt werden wird. So gut gelaunt und fröhlich, wie die vier Herren kurz vor halb zehn ihrem Van entstiegen, hätte sie vermutlich rein gar nichts davon abhalten können, auch auf der Bühne Spaß zu haben. Dass das Publikum das vielleicht beste der Tour bisher war und sich auch einige seltener gespielte Songs auf die Setlist geschlichen hatten, half zusätzlich. So gab es erstmals auf dieses Jahr den "Hate Song" zu hören, "Love Letter Boxes" stand gleich als Zweites auf dem Programm, und auch "Terrorized" machte seine höchst willkommene Aufwartung. Ganz so rabiat wie in Schorndorf gingen The Posies in Köln zwar nicht zu Werke, aber dafür gab es mehr Interaktion auf der Bühne als bei allen Konzerten vorher. Gleich mehrfach standen die vier im Halbkreis um Drummer Darius und drehten und wendeten die Songs breit grinsend in ungewohnte Richtungen, anstatt sie einfach nur standardmäßig herunterzurocken.
Auf der Setlist standen zwar nur zwei Songs für die Zugabe, aber das hielt die Band nicht davon ab, letzten Endes fast zehn Songs an das reguläre Set dranzuhängen. Das heimliche Highlight des Abends war dabei "All In A Days Work", eigentlich "nur" eine selten gespielte Nummer vom neuen Album, die sich aber an diesem Abend nahtlos in die Reihe alter Classics wie "Fucking Liar" oder "Burn And Shine" (im Vergleich zu Saarbrücken rund drei Minuten länger und mit einem improvisierten Orgel-Solo von Ken in der Mitte) einreihte.
Danach gab's dann Wunschkonzert: "I Am The Cosmos" von Big Star ebenso wie "Ontario", "That Don't Fly" und "Fight It". Ganz zum Schluss spielte Ken sogar noch ein paar Takte von "Blind Eyes Open", dem Opener aus "Failure", doch leider konnte er seine Kollegen nicht zum Mitmachen überreden ("Dabei haben wir die Nummer vor einigen Jahren schon mal in dieser Besetzung gespielt", wie er nach dem Konzert meinte). Dafür gab's als Rausschmeißer Jons "Daily Mutilation", bei dem sich Ken "rächte", indem er die erste Strophe lang kurzerhand "Blind Eyes Open" spielte. Was erstaunlicherweise ganz gut passte... Fazit? Der Auftritt war nicht nur 20 Minuten länger als alle bisherigen, sondern einfach auch (noch) eine Klasse besser... Ehrlich!