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Konzert-Bericht
 
Boston Rock City

Juliana Hatfield
Hilken Mancini & Chris Colbourn

Münster, Gleis 22
05.03.2006

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Juliana Hatfield
Zeitreise? Wandertag? Klassentreffen? Ein bisschen von alledem hatte dieses Konzert schon. Drei alte Held(inn)en des Bostoner Indierocks standen am ersten März-Wochenende für ein im wahrsten Sinne des Wortes einmaliges Deutschlandkonzert auf der Bühne des Gleis 22: Juliana Hatfield, die Königin des Bostoner Indierock-Imperiums, die einst mit den Blake Babies und zeitweilig sogar als Bassistin der Lemonheads für Furore sorgte und als Solistin zuletzt vor mehr als zwölf (!) Jahren auf einer hiesigen Bühne stand, Chris Colbourn, damals wie heute Bassist von Buffalo Tom (letzte Europatournee: Ende 1998) und Hilken Mancini, Frontfrau der großartigen Fuzzy, die schon so lange nicht mehr in Europa war, dass sich rein niemand mehr an ihre letzten Konzerte bei uns erinnern konnte. Erstaunlicherweise wurde es nicht nur angenehm voll im Gleis, es waren auch viele jüngere Semester da, die ganz sicher nicht nur gekommen waren, um nostalgischen Erinnerungen nachzuhängen.
Schön auch, wie locker die Protagonisten an den Auftritt herangingen. Da bestritt Chris den Soundcheck der "Vorgruppe" praktisch alleine, brachte, sich selbst am Bass begleitend, zuerst "Moonbeams", um dann eine alte Soulnummer anzuspielen, mit der er - obwohl gerade einmal drei Leute vom Personal im Raum waren - in Stadion- bzw. Las Vegas-Manier die "Hauptattraktion" ankündigte: "Ladies and gentlemen, would you please welcome - the godfather of soul, Juliana Hatfield". Die schien auch richtig gute Laune zu haben und probte beim Soundcheck "Outsider", einen ihrer besten Songs, den sie seit JAHREN schon nicht mehr live gespielt hatte. Mit anderen Worten: Hier machte der Soundcheck schon mehr Spaß als bei den meisten neuen Britpop-Hypes das ganze Konzert!

Als "de luxe support act" standen am Abend dann also Hilken & Chris (plus Drummer) auf der Bühne, um ihr letzten Herbst erschienenes selbstbetiteltes Album vorzustellen. Darauf präsentieren sich die zwei zwar etwas älter und vielleicht auch weiser als vor zehn Jahren, doch in Münster konnte man bisweilen das Gefühl haben, die Zeit sei stehen geblieben. Während die beiden auf der Platte richtig erwachsen klingen, versprühten sie im Gleis 22 geradezu jugendliche Spielfreude, rockten bisweilen ganz gewaltig und waren auch ansonsten bestens gelaunt. Letzteres dürfte unter anderem auch am Backstage-Bier gelegen haben. Jedenfalls fühlte sich Hilken irgendwann bemüßigt, dem Publikum mitzuteilen, dass die daheim in Boston auch immer Bitburger trinken würden, worauf Chris nur lächelnd anfügte, dass Bitburger bei ihnen die Übersetzung für "drunken Boston girl" sei... Die wahren Highlights hatte sich das Trio für den Schluss aufgehoben: Da entpuppte sich "Life Is A Trick" als die beste Nummer des Abends, mit "Darl" gab es sogar einen Abstecher (oder eine "Hommage", wie Chris lachend meinte) zu Buffalo Tom, und für die letzte Nummer griff Hilken zur Mundharmonika, um eine feine, ungeschliffene Version von Bob Dylans "Oh, Sister" zum Besten zu geben. Sehr, sehr schön!

Juliana stand danach alleine mit ihrer Stromgitarre auf der Bühne und stellte einmal mehr gekonnt ihren Eigensinn unter Beweis: 15 reguläre Alben hat sie in ihrer langen Karriere veröffentlicht, und bis auf eine sind auch alle in Deutschland erschienen. In Münster spielte sie trotzdem gleich vier Songs aus dem Some Girls-Album "Feel It" - der einzigen ihrer Platten, die offiziell nie hierzulande herausgekommen ist. Kein Wunder also, dass das ebenso unbekannte wie eckige "Necessito" das Publikum gleich zu Beginn ziemlich forderte. Zum Ausgleich gab's direkt im Anschluss den 1992er Hit "Everybody Loves Me But You" - in runderneuerter Form: Jetzt handelte der Song nämlich plötzlich von Lou Reed, und jedes "you" im Text wurde durch "Lou" ersetzt... Das Vergnügen war allerdings zunächst ein kurzes. Nach der ersten Strophe hatte Juliana nämlich einen völligen Blackout und konnte sich plötzlich überhaupt nicht mehr an den Text erinnern. "Charmant", fanden all diejenigen, die Juliana seit 15 Jahren oder länger vergöttern, wissend, dass so etwas bei Miss Hatfield einfach dazugehört. "Die ist ja ganz schön durch den Wind", meinten dagegen diejenigen mit Nachholbedarf, die gekommen waren, weil sie Indierock in den 90ern verpennt hatten.

Als Ersatz gab es zunächst das Rockbrett "Oh" aus Julianas neuem Album "Made In China" (in Deutschland Anfang April im Handel), und dann der erste "Träume ich oder spielt sie den Song wirklich?"-Moment: "Mountains Of Love", ein wunderschöner Song aus ihrem unveröffentlichten 1997er Album "God's Foot", den sie wirklich nie spielt. Außer in Münster. An der Performance konnte man den Seltenheitswert des Songs allerdings nicht ablesen, denn die war perfekt. Danach verschwand Juliana dann erst einmal von der Bühne, um mit ihrem Tontechniker im Backstageraum zu konferieren. Ein ziemlich seltsames Verhalten, fürwahr, aber es half: Kaum auf der Bühne zurück, spielte sie "Everybody Loves Me But You" noch einmal, dieses Mal ohne Probleme.

Das nächste absolute Highlight war "Somebody Is Waiting For You": Juliana ist beileibe nicht die beste Sängerin, aber wie viel Emotionen sie in den letzten Refrain legte, war im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. "The Prettiest Girl" war Keith Richards (zu besten 68er Zeiten) pur, "Choose Drugs" ("I said it's me or drugs. You choose drugs") einfach nur wunderbar, und mit "My Sister" gab's zur Halbzeit auch den wohl größten Hit zu hören. Überhaupt gönnte uns Juliana gleich fünf Songs von 1992/93 und nur zwei aus dem neuen Album, das zugegebenermaßen so rockig ist, dass die meisten Songs mit Band wesentlich besser klingen. "Wenn ihr versprecht, alle wiederzukommen, werde ich bald mit meiner Band zurückkehren", meinte Juliana dann auch. Hoffen wir mal, dass sie das Versprechen auch einlösen kann. Mit "Nirvana" gab es dann noch einen weiteren Abstecher zu ihrer Debüt-EP als Solistin, und es war schön zu sehen, dass Juliana nach 15 Jahren noch die gleichen Manierismen draufhat wie damals: Bei den hohen Tönen der "bridge" steht sie nämlich immer noch auf Zehenspitzen. Wenn's hilft!

Nach "Let's Blow It All" meinte sie dann mit Blick auf ihren Spickzettel: "Ich habe alles gespielt", und in der Tat waren alle bisherigen Europa-Konzerte nach rund 15 Songs zu Ende gewesen. Aber in Münster fragte Juliana bestens aufgelegt nach Wünschen und fügte - nachdem gleich eine ganze Reihe Vorschläge aus dem Publikum kamen - lachend hinzu: "Dann hab ich wohl noch ein paar Songs zu spielen". Zuerst das etwas wackelige, aber dennoch wunderbar-balladeske "When You Loved Me", und dann das heimliche Highlight der gesamten Veranstaltung: Das Dinosaur Jr-Cover "Raisans", bei dem Juliana die Chance hatte, ihr Sample-Pedal auszuprobieren, indem sie ihre Rhythmusgitarre loopte und darüber dann das Gitarrensolo spielte. Ziemlich perfekt übrigens. Dass Juliana eine ganz ausgezeichnete Gitarristin ist, wird ja häufig vergessen. Nach Ende des Solos erlaubte sie sich dann noch den Spaß, den Rhythmusloop ein wenig weiterlaufen zu lassen, während sie mit ausgebreiteten Armen einige Zeilen sozusagen a cappella sang.

Mit "My Enemy" brachte sie dann noch ein typisches, wenngleich ebenfalls selten gespieltes Schlussstück. Doch mitten im Song brach sie ab, sagte mit einer Mischung aus Weinerlichkeit und Zickigkeit: "Ich will den Song gar nicht spielen", und erklärte dann, dass sie den ganzen "langen, langweiligen" Song nur geschrieben habe, um die Botschaft aus dem Refrain rüberzubringen. Also spielte sie den kurzerhand noch einmal, und das war's dann mit Juliana und ihren Feinden. So richtig wohl bei dem Gedanken, nach dieser verstümmelten Nummer die Bühne zu verlassen, war ihr allerdings nicht, also hängte sie noch das Schlaflied "Slow Motion" dran und hatte damit in Münster schon für das Mainset länger auf der Bühne gestanden als bei allen vorherigen Auftritten inklusive der Zugaben.

Die gab's natürlich im Gleis 22 auch noch: Das unausweichliche "Spin The Bottle" und - für ein Indierockkonzert wahrlich ungewöhnlich - ein Cover des Robert Johnson-Bluesklassikers "Malted Milk" von 1937. Und selbst dann war noch nicht Schluss. Weil das Publikum noch längst nicht genug hatte, kam Juliana noch einmal auf die Bühne zurück und beendete den Auftritt mit der brandneuen, bisher noch nicht aufgenommenen Winter-Ballade "The First Shiver".

Das Schönste an diesem Konzert war allerdings noch nicht einmal, dass Juliana Raritäten en masse herausgekramt hatte, über 20 Songs aus wirklich allen Soloplatten (auch das eine Seltenheit) spielte und weit über 90 Minuten auf der Bühne stand, sondern vor allem, dass sie dabei so rasant Gitarre spielte, dass man bisweilen trotz ihrer eher piepsigen Stimme überhaupt nicht merkte, dass hinter ihr keine Band auf der Bühne stand. Das soll ihr erst einmal jemand nachmachen!

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Surfempfehlung:
www.julianahatfield.com
www.hilkenmancini.com
Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-

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