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Rockstars für einen Tag

23. Haldern Pop Festival

Rees-Haldern, Alter Reitplatz Schweckhorst
05.08.2006

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Haldern Pop 2006
Aufgrund weitreichender personeller Indispositionen gab es dieses Jahr nur eine Gaesteliste.de-Stippvisite beim traditionsreichen Halderner Open-Air Festival am Niederrhein. Das konnte - je nach Betrachtungsweise - Fluch oder Segen bedeuten. Bereits am inoffiziellen Festivalbeginn am Donnerstagabend war die Veranstaltung nach für gewöhnlich ausgezeichnet unterrichteten Kreisen so gut besucht, dass Hunderte von Fans nicht mehr in das Spiegelzelt hineingelassen wurden, in dem u.a. Martha Wainwright und Lambchop das Festival eröffneten. Auch der Freitag ließ sich zunächst gut an, bis sich dann - nach den Zutons, dem dritten Act auf der Hauptbühne - ein Ereignis einstellte, das die Anwesenden eigentlich nicht so richtig und wenn, dann nur mit dem Begriff "Weltuntergang" beschreiben konnten. Innerhalb kürzester Zeit stand ein großer Teil der Freifläche unter Wasser, welches dann in aufopferungsvoller Art von der Feuerwehr abgepumpt werden musste. Wer einmal im Halderner Regen vor der Bühne gestanden hat, weiß so etwas wertzuschätzen. Der dritte Tag indes, bei dem auch Gaesteliste.de vertreten war, sollte sich dann als - auch wettermäßig - rundum gelungener, klassischer Festivaltag erweisen.
Im Spiegelzelt fanden sich schon früh unglaublich viele Fliegen ein, so dass die wenigen Besucher immer gut zu tun hatten. Als dann - ziemlich spät - die Musik spielte, war das dann eine willkommene Abwechslung. Den Anfang machten Klein, ein junges Trio aus Hamburg, das mit Computer, Gitarre und Bass spröde englischsprachige Popmusik ohne rechten Dringlichkeitsfaktor machten. Miracle Cure aus Manchester spielten dann allerdings jene unwiderstehliche No-Nonsense Britpop-Gitarren-Beat-Musik mit 60s Touch, der um diese Zeit schwerlich jemand etwas entgegenzusetzen hatte. Das machte Spaß, war hochenergisch und fast zu kurz. Dann war es aber auch schon Zeit für den Einlass auf das Festival-Gelände.

Hier hatten die Organisatoren (und die Feuerwehr) ganze Arbeit geleistet: Das Wasser war fast weg und der gefürchtete Haldern-Matsch war mit Sägespänen abgedeckt worden, der dem Ganzen einen Flair von Beach-Party verlieh. Und dann gings los: Gem waren die einzige holländische Band und das neueste Signing auf dem hausinternen Halder-Pop-Label. Gem überzeugten - nicht zuletzt aufgrund der positiven Energien, die Frontmann Maurits Westerik (im Matrosenkostüm) verströmte, mit knackigem Gitarren-Power-Pop. Die Punkvergangenheit der Band hörte man da kaum noch raus. Die Rifles aus London schließlich waren wieder eine dieser typischen Gitarrenbands, die nichts anbrennen lassen. Auch wenn man die im Info-Heft beschrieenen Folk-Einflüsse nicht wirklich heraushören konnte, überzeugten auch diese jungen Herren, die sich à la Arctic Monkeys in ihrer Heimat bereits per Internet eine gewisse Reputation erarbeitet haben, mit Sendungsbewusstsein und Energie pur. Nicht zuletzt ist das Haldern Festival ja dafür bekannt, immer wieder überzeugende Live-Acts zu präsentieren, die ihrer Zeit quasi voraus sind, was ihre Popularität hierzulande betrifft. (Was meint: Wer in Haldern erstmals auftritt, wird öfters später ganz groß.)

Zu diesen Acts zählen gewiss auch die Islands. Dies ist das Projekt von Nick Diamonds und J'aime Tambeur (Jamie Thompson) aus Kanada, die auf ihrem kürzlich erschienenen Debüt "Return To The Sea" ein großartiges rockmusikalisches Augsburger Puppenkisten-Szenario skizzierten. Thompson hat die Band inzwischen verlassen - dafür wurde mit Geigerin / Sängerin Kate Perkins aber nicht nur ein Blickfang, sondern ein mehr als gleichwertiger Ersatz gefunden. "Diese Band ist auch ein wenig Retro", versuchte der Conferencier in Worte zu fassen, was dann folgen sollte - traf damit aber nicht direkt den Nagel auf den Kopf. Mit Bassklarinette, bis zu drei Streichern, Blockflöte und einer abgeschnittenen Hand am Mikrophon begeisterten die Islands mit einer grandiosen Rock'n'Roll-Revue, die im Gegensatz zur Konserve sehr viel mehr Kontur und Schmiss hatte. Eigentlich hätten die Islands nur ihren schon auf Scheibe über zehnminütigen Über-Song "Swans" spielen zu brauchen, der bereits alles enthält, was eine psychedelisch / spinnerte Rockoper braucht. Doch überraschten die Islands mit Material, das es auf der CD nicht gab und gefielen besonders aufgrund des Wechselspiels zwischen Gitarrenrock, zweistimmigem Gesang und all der anderen Zutaten, von denen besonders die ungewöhnlich akzentuierten Streichereinlagen zu erwähnen sind. Dass die Band aus Kanada kommt, bestätigt wieder einmal, dass hier momentan die Post abgeht, was überraschend vielseitige Live Acts betrifft. Und: Die Musikanten hatten echten Spaß bei ihrem Tun, was sich auch aufs Publikum übertrug.

Der nächste Act, die Guillemots hauten ansatzweise in dieselbe Kerbe. Auch hier gab es z.B. eine Klarinette und neben dem Keyboardsammelsurium des klassisch trainierten Frontmannes Fyfe Dangerfield und Bassistin Aristazabal Hawkes akustischem Kontrabass auch eine Bohrmaschine zu bewundern, mit der die Gitarre bearbeitet wurde. Fyfe Dangerfield singt offensichtlich für sein Leben gern - auch wenn er das nicht besonders gut kann (was Timing, Tonlage und Rhythmusgefühl betrifft). Das macht er aber im Live Kontext durch Inbrunst wett. Und da Aristazabal Hawkes als erdender Anker die Sache zusammenhält ist die Angelegenheit auch längst nicht so erratisch / chaotisch wie auf Tonträger. Dass die Guillemots auch ein bisschen verrückt sind, schadet in diesem Zusammenhang nicht wirklich. Die Wrens aus New Jersey sind dann eine dieser typischen Underdog-Bands, ohne die die ganze Sache nur halb so viel Spaß machen würde. Seit ca. 15 Jahren im Geschäft (oder auch nicht), schaffen es die Herren selbst im reifen Alter noch so zu tun, als haben sie die Rockshow gerade erst erfunden. "Hört mal Leute", meinte Sänger / Bassist / Vorturner Kevin Whelan, "wir sind keine Rockstars und werden es auch nie werden. Das ist uns auch scheißegal. Aber heute sind wir Rockstars für einen Tag. Ihr seid das beste Publikum der Welt!" Die geschah mit solcher Inbrunst, dass man ihm das ohne weiteres abnahm - obwohl die Wrens so etwas bei jeder Show sagen. Was die Wrens machen, könnte dabei eigentlich jede Rockband tun - wenn sie denn den gleichen Enthusiasmus an den Tag legten, wie die Jungs um Herrn Whelan. Auf der großen Bühne wirkte alles, was die Wrens taten, natürlich noch eine Nummer größer: Wenn Whelan hier vom Bassverstärker sprang, sah das ein bisschen so aus als flöge er durch die Gegend. Und Drummer Jerry MacDonnell bat - den Arm voller Drumsticks, die er im Publikum verteilte - eben nicht fünf sondern 20 Leute auf die Bühne, um die Band beim Trommeln zu unterstützen. Das war wieder ganz großes Rock'n'Roll-Theater und festigte den Status der Wrens als die alternative Live-Band schlechthin. "Wer von euch war denn dieses Jahr bei den Stones?", fragte der Conferencier nachher, "die waren scheiße, nicht? Ja, nach Haldern müsst ihr kommen..." Bei solchen Live Acts auf jeden Fall nachzuvollziehen.

Nach den Wrens hatten es die Kooks aus Brighton - der neueste Hype aus der englischen Gitarrenfraktion - natürlich schwer. Hierbei zeigte sich auch der typische Effekt dieser Art von Bands. Diese haben jede Menge Attitüde, Energie und zwei, drei gute Songs - jedoch keinesfalls ein Repertoire, das einen ganzen Auftritt spannend gestalten könnte. Was man vom ersten Auftritt von Paolo Nutini in unseren Gefilden nicht gerade sagen konnte. Der junge Schotte mit den italienischen Wurzeln ging die Sache mit einer Nonchalance an, die suggerierte, er mache das schon seit 20 Jahren (was bei einem Alter von 19 Jahren ja nicht gut möglich ist). Getragen von einer exzellenten Band, mit einem Haufen erstklassiger Songs im Gepäck (die durch eine sympathische Coverversion von "What A Day For A Daydream" abgerundet wurde) und gesegnet mit einer samtweichen Soulstimme, für die mancher Sänger sein letztes Hemd geben würde, begeisterte der international bereits als nächste große weiße Hoffnung gefeierte Mann mit einem rundum gelungenen Auftritt. Und wenn dann noch jemand seinen besten Song ("Jenny Don't Be Hasty") als letzten spielt, hat das schon was Genialisches. Und alle, denen dieser Auftritt gefallen hat, dürfen des weiteren bedenkenlos zu Paolos im September erscheinender Debüt-CD greifen, die alles, was er in Haldern versprach auch einlöst. Als bei Gaesteliste.de redaktionsintern die Solo-CD des Manic Street Preachers-Vositzenden James Dean Bradfield angekündigt wurde, hieß es sinngemäß, dass diese "wie immer" klänge. Das war dann auch ein bisschen das Problem beim Auftritt des Mister Inbrunst: Im Prinzip war das eine MSP-Show ohne die üblichen Kollegen (dafür aber mit Ed Harcourt, der später im Spiegelzelt spielte, als Gast an den Keyboards). So ließ der - nicht unbedingt schlechte, aber auch keineswegs grandiose - Auftritt des Meisters dann doch ein wenig Spannung und Überraschung vermissen.

Das gab's dafür alles beim anschließenden Auftritt von Neil Hannon und seiner Divine Comedy. Dieses Mal zwar ohne Orchester, aber bestens aufgelegt unterhielt Hannon das Publikum nicht nur mit den Tracks seines neuen Albums "Victory For The Comic Muse", sondern auch mit einer - zugegebenermaßen dümmlichen - Coverversion von Nelly Furtados "Maneater" und vor allen Dingen mit jeder Menge haarsträubender Gags und Einlagen. So stieg er dann z.B. von der Bühne hinunter, fiel im Sicherheitsgraben "in Ohnmacht" oder unterhielt die Zuhörer beim Gitarre-Stimmen mit der Aufzählung der Noten. "He, ich kenne die Namen von Noten", meinte er, "ich bin echt cool." Das Publikum fraß Hannon jedenfalls aus der Hand und schaffte es, ihn sogar zu einer Zugabe zu bewegen - was es in Haldern so gut wie nie gibt. "Ich hoffe, ihr kommt dann auch alle zu meinen Konzerten im Herbst", lud er abschließend ein, "weil Konzerte sind ziemlicher Müll, wenn niemand kommt." Greg Dulli ist ein Haldern-Veteran - auch wenn sich nicht mehr viele daran erinnern konnten. Wer die Twilight Singers waren, wussten jedenfalls die wenigsten im Publikum - und auch nicht, wer die Afghan Whigs waren, mit denen Dulli vor fast zehn Jahren beim Haldern Festival aufgetreten war. Im Prinzip ist das ehemalige Side-Project des Meisters heute das, was die Whigs früher waren: Eine Unheildräuende düstere Rockband mit tiefschwarzer Seele. Ein Eindruck, der übrigens dadurch noch verstärkt wurde, dass (der mittlerweile ganz schön korpulente) Dulli sich Kumpel Mark Lanegan als Gastsänger eingeladen hatte, der dann mit Grabesstimme nachtschwarze Blues-Hymnen ins Mikro röhrte - was schließlich in einer apokalyptischen Version von Leadbellys "Where Did You Sleep Last Night (In The Pines)" endete - jenem Song also, den Kurt Cobain weiland beim MTV-Acoustic-Set coverte. Beschlossen wurde das Festival dann im Spiegelzelt mit Auftritten von Ed Harcourt und Kante. Fazit: Das Haldern-Festival 2006 bot keinen klar auszumachenden Headliner im klassischen Sinne, dafür aber zahlreiche, nahezu gleichwertige Höhepunkte. Vor allen Dingen aber überzeugte Haldern dieses Mal wieder mal als Fundgrube für allerlei spannende Live-Acts, die man in dieser Form anderweitig wohl kaum zu Gehör bekommen hätte.

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Surfempfehlung:
www.haldern-pop.de
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
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