Collette outete sich im Folgenden als eine Mischung aus Jeff Buckley und Joseph Arthur. Obwohl er keinesfalls die durchdringende Stimme des Ersteren hatte, sang er mit dergleichen Intensität, spielte aber vor allen Dingen Gitarre wie der zu früh verstorbene Meister. Und wie Joseph Arthur sampelte er sich während des Spiels stufenweise selber und spielte über die so erstellten Instrumentalcollagen lange, psychedelische Soli. Collettes Stücke gerieten indes spröder als jene von Arthur, dessen Gespür für Melodien und Texturen er einfach nicht hat, und weniger Komplex als jene von Buckley. Allerdings darf Collette auch nicht der Vorwurf gemacht werden, sich bewusst an jemandem Anderen zu orientieren. Sein Vortrag hatte Stil, seine Stücke sind anspruchsvoll, intelligent, atmosphärisch dicht und eben so ungewöhnlich, dass er eben auch ganz alleine auf der weitern Bühne nicht klingt wie der nächstbeste Folky. Schon alleine deswegen nicht, weil er ja E-Gitarre spielte. Und: Das ausufernde Format seiner ellenlangen Epen passte dann ganz gut zum folgenden Vortrag von Joanna Newsom.
Wie sich dann herausstellte, spielte Joanna auf dieser Tour in der Besetzung Harfe / Stimme, Geige / Stimme, Mandoline / Banjo, Drums / Stimme. Die Arrangements für dieses Setting, so erklärte sie zu Beginn des Konzertes bei einer ihrer wenigen Ansprachen, basierten dann auf jenen von Van Dyke Parks (die ja wiederum auf ihren ursprünglichen Solo-Versionen beruhten). Das versprach also zumindest mal interessant zu werden.
Den folgenden Auftritt fasste ein anwesender, international anerkannter, praktizierender Musiktheoretiker fachmännisch folgendermaßen zusammen: Das Herunterbrechen der Arrangements funktionierte nicht, weil die Musiker zu distanziert und angestrengt agierten und sich nicht gegen Joanna Newsom durchsetzen konnten. Ihre Musik klang wie ihr Kleid, was viel zu verspielt gewesen sei. Die Texte seien ziemlich pubertär und ihre Stimme ziemlich schrill. Und das Dargebotene sei zwar bemüht, aber keine wirkliche Kunst gewesen. Na klar, und wahrscheinlich spielte Joanna auch zu viel Harfe... Wie das immer so ist mit praktizierenden Musiktheoretikern: Die verlieren schon mal aufgrund ihrer Fachkenntnis den Blick für die Zusammenhänge und das komplette Bild. Und das passte eigentlich ganz gut. Einmal abgesehen davon, dass die neuen Newsom-Tracks ja nun mal ziemlich komplex sind und sich aufgrund der Arrangements kaum Möglichkeiten ergaben, sich als Musiker irgendwo "durchzusetzen" (einfach weil nicht die Musiker, sondern die Songs im Vordergrund standen), war das auch gar nicht deren Aufgabe. Diese - Joanna Newsoms Vortrag so gut wie möglich aussehen zu lassen und entsprechend zu unterstützen - lösten die Musiker dann nämlich mit Bravour. Das erschloss sich eigentlich als Ganzes ebenso wie im Detail. Natürlich braucht es bei Musik wie dieser Konzentration. Da kann man eben nicht impulsiv drauflos spielen. Und ergo lauerten Joanna und ihre Musiker ständig wie Jazzer aufeinander, um die komplexen Einstiege nicht zu verpassen, die sich in den ständigen Harfenkaskaden eigentlich kaum ausmachen ließen. Hinzu kamen dann die Gesangsparts, die es auch miteinander zu koordinieren gab - wohlgemerkt ohne irgendwelche konventionellen rhythmischen Impulse, denn Drummer Neal Morgan illustrierte die Songs eher, als das er irgendeinen Takt vorgab. Das tat Joanna selber, allerdings - wie auf ihren Scheiben - mehr so aus dem Bauch heraus, als nach metronomischer Genauigkeit.
Stilistisch tat sich eine ganze Menge - besonders im Detail. So streute Joanna selber z.B. immer wieder - wie z.B. bei dem solo vorgetragenen "Sawdust & Diamonds" - kleine barocke Schlenker ein, die es auf der CD so nicht gibt. Ein Bottleneck auf der Mandoline sorgte etwa punktuell dezent für Blues-Töne und die orchestralen Passagen des beeindruckend vielschichtig dargebotenen "Cosmia" kamen beispielsweise als nahöstlichen Folk-Einlagen daher. Insofern bot das verkleinerte Setting sogar noch mehr als das bloße "Herunterbrechen" der großen Arrangements. Und mit der schottischen Folkballade "Bonnie Dearie" zollte Joanna ihren Wurzeln Tribut. Newsom als Performerin wirkte dabei ein wenig zwiespältig: Einerseits sympathisch zurückhaltend und fast schüchtern, andererseits aber stets das Geschehen unter jedem Aspekt kontrollierend. Ihr Stil schwankte dabei zwischen verspielter Gelassenheit (also so etwa im Sinne des Kleides) und angespannter Konzentration - was sich vor allen Dingen durch die eigenartigen Gesichtsverrenkungen bemerkbar macht, derer sich die Gute beim Singen bedient. Übrigens klang sie in gewissen Passagen dabei erstaunlich nach Kate Bush. Das ist ja auch so eine Künstlerin, über deren "schrille" Stimme am Anfang viele gelächelt haben. Und was die "pubertären" Texte betrifft. Mein Gott, Joanna Newsom entstammt im weitesten Sinne der Tradition der Folkies. Und da darf es doch ein wenig Raum für vertontes, poetisches, spinnertes Landleben, esoterische Erleuchtungen, und sonstige Fabeln geben, oder? Analytisch betrachtet könnte man gar so weit gehen, in Joanna Newsom das idealisierte, naturnahe Frauenbild des viktorianischen Autors Thomas Hardy (Tess) entdecken zu wollen - aber im Grunde genommen hat Joanna vermutlich einfach keinen Bock auf standardisierte Boy-Girl-Geschichten oder politische Statements. Außerdem sind ihre - unglaublich wortreichen - Texte auch immer unterhaltsam und witzig. Die Zunge hat sie jedenfalls stets in der Backe.