Kate Nash kommt aus England und gilt dort als Musterbeispiel der "MySpace-Theorie", nach der eine Musikerkarriere auch ohne Plattenlabel grundsätzlich möglich ist. Musikalisch bietet Kate eine sympathisch eigenständige Variante der Girl-Piano-Pop-Sparte - mit je einer Prise Indie-Ästhetik und Folk (letzteres auf den Punkt gebracht von der bemerkenswert beiläufig agierenden Geigerin Mei-Ling Wong). Das war ein angenehmer Auftakt und gleich auch eine interessante Neuentdeckung.
Grand Island aus Norwegen genießen auf dem Haldern-Festival natürlich Heimvorteil, weil die Hektiker um Espen Gustavsen soeben auf dem hauseigenen Label Haldern-Pop reüssierten. "Hektiker" ist übrigens in diesem Zusammenhang eher noch untertrieben. Espen und seine Wikingerfreunde müssen schlicht das Amphetamin mit der Muttermilch aufgesogen haben. Anders ist die unbändige Energie, mit der das Quintett zu Werke geht, nicht zu erklären. Die Tracks des Debütalbums - die übrigens von den Fans teilweise lautstark mitgesungen wurden - kamen jedenfalls von der Bühne noch mal verdichtet runter. Da qualmte am Ende nicht nur Pål Gustavsens Banjo! Wer jetzt noch nicht wach war, dem war wahrscheinlich sowieso nicht mehr zu helfen.
Der Name Get Well Soon sagt bislang eher Eingeweihten etwas, weil die Band um den genialischen Kompositeur Konstantin Gropper irgendwie nicht mit dem Release ihres Debüt-Albums in die Pötte kommt. Das Konzert des Mini-Orchesters bot wieder all jene Qualitäten, die seit einiger Zeit selbst ausgebuffte Musik-Misanthropen an ihrer Berufung zweifeln lässt. Mit großer Geste, großem Gefühl und großem Geschick versteht es die Band mit Geige, Trompeten, Akkordeon und Lucino Visconti, eine Nische zwischen Drama und Pop zu besetzen, die es hierzulande noch nie zu besetzen gab. Und natürlich gab es wieder "If This Hat Is Gone Missing" - den "verfickten Hit", wie ihn Rembert Stiewe nannte und die quasi inoffizielle Single zur aktuellen Digital EP der Band. "Shoot, Baby, Shoot", kann man da nur sagen - hoffentlich bald...
Es folgte - eine Ansage: Die nächste Band sei nicht zum Party-machen angereist, so der Haldern-Sprecher, und man solle sich doch bitte das laute Reden verkneifen, denn die Musik von Tunng aus London müsse man ruhig auf sich wirken lassen. Das stimmte dann allerdings nur zum Teil. Die sechsköpfige Band um das Kernduo Sam und Mike Lindsay überzeugte mit einem einzigartigen Konzept: Drei Akustik-Gitarren, vier- bis fünfstimmiger Harmoniegesang (zu dem besonders die ca. 1,20 m kleine brasilianische Sängerin Cibelle nicht unerheblich beitrug) und zwei Leute, die an Spielzeug herumfummelten - einer elektronisch, der andere - mit Händen und Füßen - organisch. Es blieb dann auch nicht lange beim beschaulichen Psycho-Folk. Nicht nur, dass das alles sehr schön locker daherkam - auch das Publikum wurde einbezogen, indem es kurz für einen Song in die Band eingemeindet wurde. Und als der neue Track "Bullets" vom kommenden Album "Good Arrows" angestimmt wurde, gab es kein Halten mehr: Zu diesem stampfenden Rhythmus konnte kaum jemand stille stehen: Das war dann am Ende doch eher Party pur - vielleicht auch deswegen, weil zahlreiche technische Missverständnisse für eine besonders lockere Stimmung sorgten. Ach so: Zu laut gequatscht hat dann tatsächlich auch niemand.
Die beiden Galane, die dann ihr Equipment aufbauten, hatten ja erst vor kurzem auf der Halderner Landpartie aufgespielt, bei der das Programm des Festivals der Presse vorgestellt wurde. Damals noch akustisch, nun wieder elektrisch - mit neuem Material des kommenden Albums unter dem Gürtel. Nun ist das so, dass, was die Inbrunst des Vortrages betrifft, sich Adam Stevens und Tyson Vogel weder im einen noch im anderen Metier etwas schenken. Außer, dass Stevens mit der E-Gitarre nicht sitzt und diese natürlich lauter ist als eine Wandergitarre, ändert sich am Vortrag der Two Gallants nicht so viel. Vogel explodiert an seinem Drumkit immer wieder gerne auf eigentümliche Weise vor sich hin und in Stevens Gesicht schwellen Adern an, die bei phlegmatischeren Menschen erst gar nicht vorhanden sind. Das Ganze betreiben die Herren mit großer Konzentration. Lediglich, als ihm eine aufmerksame Bühnenhelferin zu den drei bereits bereitgestellten Wasserflaschen noch zwei weitere anreichen wollte, musste Adam kurz lachen. Wem die White Stripes zu hip oder zu monochrom sind, der ist bei den Two Gallants nach wie vor gut aufgehoben.
Während der beiden vorangegangenen Acts hatte sich dann bereits An Pierle aus Belgien bemerkbar gemacht. Und zwar indem ihre Bühnencrew umständlich das aufwändige Piano zusammenschraubte und sie selber vergeblich versuchte, einen Platz für ihren Hüpfball zu finden, den sie als Hockerersatz hernimmt. An Pierle ist einer dieser Paradiesvögel, die schon alleine aufgrund ihrer leicht spinnerten Gesinnung sehr gut in ein Zirkuszelt wie jenes in Haldern passen. Die eher abenteuerlichen Kook-Pop-Operetten der "belgischen Kate Bush" bildeten jedenfalls einen ziemlich krassen Kontrast zu den eher straighten Naked Lunch, mit denen der erste Festivaltag dann - sehr spät bzw. früh - zu Ende ging. Außer der Tatsache, dass all diese Acts auch einem größeren Auditorium gefallen hätten, war das ein sehr schöner Auftakt auf gleich bleibend hohem Niveau eines für seine musikalische Freiläufigkeit eh schon berühmten Festivals. Man konnte zu den unterschiedlichen Acts stehen, wie man wollte - nur nicht irgendeinen als Lückenbüßer oder zweite Wahl ausmachen.
Den zweiten Festivaltag beging man traditionellerweise mit den Gewinnern des Zippo-Nachwuchs-Wettbewerbes im Zelt und anschließend - zum Aufwärmen - den Brakes, einer Indie-Superband aus Mitgliedern von British Sea Power und Electric Soft Parade, die den wenigen, unermüdlichen Fans ihre knallharten musikalischen Koffein-Pillen um die Ohren schossen. Besonders die eingestreuten Drei-Sekunden-Tracks, die mittlerweile zum Markenzeichen der Brakes geworden sind, sorgten dabei für Erheiterung.
Auf dem Festivalgelände gab es leichte Modifizierungen zu beobachten: Die Hauptbühne war seitlich versetzt aufgebaut - einfach weil der neue Leitstand des Reitplatzes ansonsten für akustische Probleme gesorgt hätte - und was das Wetter betraf, so hatte man auf die Vorhersage vertraut und gar nicht erst versucht, Matsch-Schutz-Unterlagen vor der Bühne auszubreiten. Die erste Band auf der Hauptbühne waren Ripchord aus Wolverhampton. Das ist eine blutjunge Brit-Pop-Combo, die noch so sehr von sich selbst überzeugt sind, dass sie bereits allen Ernstes hinter der Bühne Posen für ihren Auftritt übten. Ripchord sind eine jener typischen Gebrauchsbands dieser Art, die genau einen starken Songs haben (den ersten) und sich dann bemühen müssen, die folgende halbe Stunde mit Würde über die Runden zu bringen. Das gelang den Jungs mit ihrem dann doch irgendwie ansteckenden Enthusiasmus. Dass der Gitarrist ein Sleeper-T-Shirt trug, machte dabei bewusst, wie schnell die Generationswechsel in diesem Segment mittlerweile erfolgen.
Da man es irgendwie geschafft hatte, trotz pünktlichen Beginns bereits beim zweiten Act im Zeitplan zurückzuliegen, hatte Gabriel Rios, der aus Puerto Rico stammende Belgier, keine Zeit mehr für Zwischenansagen. Zum Glück, denn mit seinem Latin-Lover-Gehabe quatscht sich Rios ansonsten schon mal gerne auf die Julio-Iglesias-Gedächtnis-Ersatzbank. Was dann blieb war - neben der Übermacht der Schweden - das andere Leitthema des Festivals: Das musikalische Allerlei. Mit Elementen aus Bossa, Pop, Folklore, Soul und Rock präsentierte Rios seine Version des Multikulti-Auteurs. Zu dieser Zeit und bei diesem Wetter funktionierte das auch ganz gut. Das war zwar keine musikalische Großtat, aber genau das richtige, um erstmals richtig in Schwung zu kommen.
Nach dem Auftritt von Gabriel Rios betraten dann erst einmal die "Freunde vom Rockpalast" die Szene. So sehr sich das Haldern Festival bislang aus dem Kommerz-Zirkus herausgehalten hatte, ist diese Einrichtung dann doch als dicker Abzug in der B-Note zu werten. Denn von nun ab gab es nur noch eingeschränkte Sicht auf die Stars der Wahl, denn die pausenlos hin und herwuselnden Kameraleute verdeckten das Geschehen auf der Bühne - gerade auch für die Fans vor derselben - nahezu permanent. (Die diesbezügliche Krönung war der Auftritt von Spiritualized, bei dem alle Musiker saßen und so rein gar nichts mehr zu sehen war.) Das ist - nicht nur für die Fotografen - eine massive Behinderung. Die Frage wäre hier, ob man da nicht eine andere Lösung finden könnte - z.B. die, die Konzerte nur teilweise mitzuschneiden (schon alleine deswegen, weil ja längst nicht alles gesendet wird). Was die Rockpalast Crew übrigens nicht verdeckte, tat dann der sinnlos eingesetzte Kunstnebel, der jeden folgenden Act für eine weitere viertel Stunde unsichtbar machte. Auch das wäre nicht unbedingt nötig gewesen.
Leider nötig war wohl ein ausgiebiger Soundcheck von Polarkreis 18 - der dummerweise dazu führte, dass die Herren aus Dresden ihren Auftritt auch wegen des ohnehin schon vorherrschenden Zeitverzugs verkürzen mussten. Schade eigentlich, denn der Band eilt der Ruf einer hervorragenden Live-Band voraus - das hatte sich auch beim Festival-Volk herumgesprochen und dementsprechend voll war es am späten Nachmittag vor der Bühne. Die Band bestritt wie immer uniform in weiß gekleidet den Auftritt (lediglich Sänger Felix Räuber lief mit dunkler Hose auf), und auch wenn sich bei Sonnenschein die hypnotisch und vielfältig instrumentierten Songs wohl nicht so ganz entfalten wollten, war die Stimmung auf und vor der Bühne mehr als nur gut. Das Zusammenspiel der Band ist neben der Bühnenpräsenz enorm gewachsen, und Felix Räuber trifft auch live die höchsten Töne. Ein sehr schöner Auftritt, der leider viel zu kurz ausgefallen ist.
Mit großen Worten wurde Paul Steel vor seinem Auftritt auf der Hauptbühne angekündigt. Man habe extra einen Talentscout nach England geschickt, hieß es, und als dieser Paul Steel entdeckte, war man beruhigt, weil man dem Halderner Publikum wieder einmal einen neuen zukünftigen Superstar der britischen Musikszene präsentieren könne. Auf diese Worte folgten leider wenige Taten, denn die Musik von Paul Steel entpuppte sich als belangloser Radiopop à la Keane, und bevor es dann endgültig zu langweilig wurde, missglückte dann auch noch der Versuch, lustig zu sein. Denn was beim Publikum ankam, wirkte eher albern und nervtötend. Kann schon sein, dass Paul Steel mal ein Großer wird - aber bitte ohne uns!
Über The View musste man sich da schon fast wieder freuen. Denn die Briten haben nicht nur einige Hits im Gepäck, sie sind auch für kurze und schnell gespielte Auftritte berühmt - zumindest bestand die Chance, dass der Zeitplan, der mittlerweile fast eine halbe Stunde hinterherhinkte, wieder gerade gerückt werden konnte. Was kurz und knackig hätte werden können, wirkte dann aber leider eher lustlos heruntergespielt. Ein paar herausstechende Lieder gab es zu hören - ansonsten konnten sich The View aber live keine weiteren Sympathiepunkte erspielen.
Die Sympathiepunkte schien Jamie T schon lange zu besitzen - entsprechend voll wurde es vor der Bühne, als der schmächtige Engländer mit seiner Band seine Musik mit Elementen aus Punk, R'n'B, Garage, Drum'n'Bass, Reggae und Dub darbot. Man konnte direkt von Beginn an überall auf dem Gelände die Köpfe nicken sehen - natürlich besonders bei den richtig bekannten Nummern wie "If You Got The Money" und "Sheila". Jamie T kommt dabei wie der nette Junge von nebenan rüber, dem man irgendwie nichts übel nehmen kann, selbst wenn er den größten Scheiß gebaut hat. Entsprechend entspannt gestaltete sich der Auftritt und sorgte für sehr gute Laune auf dem Gelände.
Die Magic Numbers waren gerade von einem Südamerika-Auftritt zurückgekehrt, der für die Band, die ja bekanntlich aus zwei Geschwisterpaaren besteht, zum erfolgreichen Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere geraten sein musste. Folglich waren sie nicht ganz auf der Höhe ihrer Kunst, legten aber dennoch ein kurzweiliges, abwechslungsreiches Set hin, wobei gerade der wechselseitige Gesang und die betont poppige Retro-Note gefiel. Zum Schluss durfte dann noch eine Schar von Kindlein auf die Bühne und von dort noch ein wenig Glückseligkeit verbreiten.
Am Nachmittag noch wurden uns Paul Steel und The View als heißer Scheiß aus England verkauft, ohne das wirklich nachzuvollziehen war, warum. Was dagegen im Anschluss an den Auftritt der Magic Numbers im Zelt geboten wurde, das hatte deutlich mehr Potential. Der Auftritt von den Maccabees aus Brighton wird wohl so manchem Festivalbesucher als Höhepunkt in Erinnerung bleiben. Denn die Musik der Band ist eben doch eigenständiger und damit mehr als der dritte Aufguss eines längst überstrapaziertem Konzepts. Leider war das Spiegelzelt wie immer zu klein, und die Schlange der Interessierten lang. So konnte längst nicht jeder, der die Maccabees sehen wollte, und sich nicht rechtzeitig von den Magic Numbers losreißen konnte, diese dann auch auf der Bühne erleben. Immerhin hatte man vor dem Spiegelzelt eine Leinwand zum Public Viewing eingerichtet, so dass ein bisschen von der intimen Clubatmosphäre auch draußen zu spüren war.