Diese werden zumindest bei dem in Deutschland stattfindenden Teil der Tour von Long Distance Calling unterstützt. Die fünf Münsteraner mit Metal-Hintergrund sind dabei eine gute Einstimmung auf die weiteren Geschehnisse, denn auch sie verstehen es – genau wie der Hauptact des Abends - hervorragend, eine düstere Atmosphäre zu erzeugen, auch wenn sich die dabei eingesetzten Mittel unterscheiden. Auf Gesang wird vollkommen verzichtet, stattdessen wird mit Samples gearbeitet, und die Gitarren sind oft deutlich härter. Long Distance Calling ist eine Band, der man im Moment wohl schlecht aus dem Weg gehen kann, da sie häufig als Support gebucht werden. Auch heute reicht die Zeit nur für vier Stücke, die sich aber zum Teil über zehn Minuten ausdehnen. Den Anwesenden scheint ihr Set gut zu gefallen, so dass Long Distance Calling ihre Anhängerschaft heute sicher wieder vergrößern können. Eine gut besuchte Headlinertour ist also einen Schritt näher gerückt.
In der Pause füllt sich der Konzertraum weiter, während auf der Bühne fünf bärtige Männer in langärmeligen, weißen Hemden umbauen. Schließlich geht das Licht aus, ein Film wird gestartet, und auf der Leinwand im Hintergrund der Bühne fangen die ersten Flammen an zu lodern. Dann kommt die Band, die ihr einheitliches Outfit in der Zwischenzeit noch um schwarze Krawatten und Armbinden erweitert hat, zurück auf die Bühne. Es ist noch Zeit für einen kurzen Blick ins Publikum, dann setzt Sänger David Martin mit düsterer Stimme an: "Call off your witch haunt. This time the French are not to blame." Es ist schier unglaublich, wie die fünf Musiker, die wenige Augenblicke vorher noch einen sympathischen, aber harmlosen Eindruck machten, es schaffen, innerhalb von wenigen Augenblicke das gesamte Gebäude 9 zum Schaudern zu bringen. Hat man sich schon vorher einmal näher mit iLiKETRAiNS beschäftigt, so ist es unmöglich zu übersehen, dass der größte Teil ihrer Lieder auf historischen Ereignissen beruht. So handelt beispielsweise das Eröffnungsstück "Twenty Five Sins" vom großen Feuer von London im Jahre 1666. Live geht die Band noch einen Schritt weiter und unterstützt die geschichtsträchtigen Lieder durch passende Videoprojektionen. Dabei scheinen die visuellen Effekte einen ebenso wichtigen Teil zu spielen wie die Musik selbst, schließlich ist ein eigenes Bandmitglied hauptsächlich für diese verantwortlich - Ashley Dean unterstützt die Band musikalisch sonst nur durch gelegentlichen Horn-Einsatz. Das wiederum hat zur Folge, dass es zu einer beispiellosen Verknüpfung von Musik und Filmelementen kommt, da letzte oft ganz genau auf die einzelnen Liedpassagen abgestimmt sind. Zu Beginn jedes Liedes wird zunächst einmal der Schauplatz und das Jahr der Handlung angezeigt, die weitere Umsetzung unterscheidet sich von Stück zu Stück. Am beeindruckendsten ist sicherlich die lange Liste der Toten, die während "We All Fall Down" wie der Abspann eines Filmes die Leinwand hinunterläuft – in dem Lied geht es um das Dorf Eyam, dessen Bewohner beschlossen, sich nach dem Ausbruch der Pest von der Außenwelt abzuschotten, und somit verhinderten, dass die Seuche im nördlichen England ausbrach. Am Ende sind schließlich die Worte "Thank You" zu lesen.
iLiKETRAiNS auf der Bühne zu sehen ist also auf so viele Arten beeindruckend, dass man kaum weiß, wo man zuerst hinschauen soll. Die Livequalitäten der Band haben sich mittlerweile scheinbar herumgesprochen, denn das Konzert an diesem Abend ist mindestens viermal so gut besucht wie das vor einem Jahr, als iLiKETRAiNS bereits schon einmal im Gebäude 9 spielten. Obwohl der Zuspruch groß ist, ist das Konzert nach weniger als einer Stunde schon wieder vorbei. Die Band verabschiedet sich mit "Before The Curtains Close Part Two", das an diesem Abend das einzige Lied ist, das nicht auf einer wahren Begebenheit beruht. Der Spielraum zur eigenen Interpretation ist also etwas größer – als Zeit und Ort wird daher auch nur "Here, Now" eingeblendet und das Publikum zu zum Abschluss in die Gegenwart zurückgeholt.
Während am Abend vorher in Köln zeitgleich mit iLiKETRAiNS im Gebäude 9 auch 65daysofstatic im MTC spielten, und somit das an britischem Post-Rock interessierte Publikum gezwungen war, sich für eine der beiden Veranstaltungen zu entscheiden, ist die Konkurrenz an diesem Abend in Berlin noch mächtiger. Schließlich treten am selben Abend auch Interpol in der Columbiahalle auf. Zum Glück ist das Konzert der New Yorker um viertel nach elf beendet, während iLiKETRAiNS vorher noch einmal per MySpace-Bulletin bekannt gegeben haben, dass sie vor Mitternacht nicht auf der Bühne stehen werden. Mit etwas Durchhaltevermögen ist also ein kleiner Konzertmarathon durchaus machbar. Viel früher als um zwölf Uhr hätten es iLiKETRAiNS wohl sowieso nicht zu ihrem eigenen Konzert geschafft, da ihr Van auf dem Weg von Köln nach Berlin liegen geblieben ist und sie erst zwei Stunden vor geplantem Konzertbeginn angekommen sind. Ihre Anreise wäre wohl unkomplizierter gewesen, wenn sie ihrem Namen alle Ehre gemacht hätten und mit dem Zug angereist wäre, eine ICE-Fahrt von Köln nach Berlin dauert schließlich nur viereinhalb Stunden und der Streik der Lokführergewerkschaft ist an diesem Wochenende vorerst unterbrochen.
Von der Möglichkeit, Interpol und iLiKETRAiNS an einem Abend zu sehen, haben nicht wenige Menschen Gebrauch gemacht. Zumindest gibt es auf die Nachfrage "Did anyone see the Interpol tonight?" einige Reaktionen aus dem Publikum. "Yes, but you are better!" ruft jemand zur Bühne, was bei der Band wiederum ungläubige Blicke hervorruft. Obwohl es manche Parallelen zwischen beiden Bands geben mag, wäre es unfair, sie miteinander zu vergleichen. Trotzdem spricht einiges für die Band aus Leeds, die nicht nur den Medieneinsatz besser beherrscht, sondern auch weniger kühl und abgeklärt sind. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass iLiKETRAiNS einige sehr hartnäckige Fans haben. So sind nicht nur einige Briten extra wegen dem Konzert nach Berlin gereist, nach wenigen Liedern macht sich ein anderer junger Mann bemerkbar. "We came all the way from Greece to see you", ruft der mit Interpol-Shirt und -Button bekleidete Konzertbesucher. "Oh, really? We came all the way from Leeds to play here", kontert Sänger David. Die mühsam aufgebaute düstere Atmosphäre ist durch dieses Zwischenspiel erst einmal zerstört. So kommt es dann auch in der ersten Reihe zu internationalen Fanverbrüderungen, und einige Lieder werden euphorisch mit nicht wirklich zur Musik passenden Tanzeinlagen gefeiert.