Kathleen Edwards dagegen hatte nicht nur eine computergetippte Setlist (von der leider das sonst jeden Abend gespielte Big-Star-Cover "September Gurls" der strikten 22.00-Uhr-Curfew im Studio 672 zum Opfer fiel), sondern auch noch ein großes Sammelsurium an Instrumenten mitgebracht. Die zugegebenermaßen winzige Bühne sah ähnlich vollgestellt aus, wie man es von den Auftritten von Kathleens Lebensabschnittsgefährten (und Co-Produzenten ihres tollen aktuellen Albums "Voyager") Justin Vernon mit Bon Iver kennt.
Obwohl, oder vielleicht sogar gerade weil sie auf dem Alternative-Country-Terrain nur mit den Besten verglichen werden kann - ihr 2003er-Debüt, "Failer", zählt mit zu den schönsten und besten Platten, die das Genre jemals hervorgebracht hat -, schienen ihr in Köln vor allem die poppigeren Songs besonders am Herzen zu liegen. Nicht dass die Songs mit schwerfälligem Tempo, rauen Gitarren und satter Orgel wie "Mint" nicht überzeugt hätten, im Gegenteil, denn jeder Song saß wie eine Eins, doch das besondere Glänzen hatte Kathleen vor allem in den Augen, wenn sie zur leichtfüßigen Begleitung ihrer umwerfend guten Band Zeilen wie "I'm moving to America" trällern und diese dann sofort als leere Drohung enttarnen durfte - so geschehen bei "Empty Threat". Doch nicht nur mit diesem Song machte sie in Köln keinen Hehl daraus, dass sie Kanadierin durch und durch ist. "I want to be snow bound in Ottawa so bad right now”, schrieb sie wenige Stunden vor ihrem Auftritt auf ihrer Facebook-Seite, und auch in vielen Ansagen nahm sie Bezug auf ihre Heimat. Das wunderschöne "Hockey Skates", eine von zwei Solonummern, mit denen sie zur Mitte des Sets ein bisschen die Lautstärke dämpfte, leitete sie mit einer langen Geschichte über ihren Ex-Freund ein, der nachts um vier in ihr Schlafzimmer gestolpert sei - "Er war der Typ von Freund, der häufiger mal um vier Uhr früh reingestolpert kam", fügte sie noch spitz hinzu -, sie aufweckte, um sie zum Eislaufen auf dem Rideau Kanal zu schleifen. Dass es in dem Song heißt: "I don't even have hockey skates", zeigt, dass der Herr nicht nur in puncto Uhrzeit oft ein bisschen danebenlag mit seinen Ideen.
Das Herzstück des Konzerts war indes das bestimmt achtminütige "Goodnight California", das trotz soulig-groovender Bassline und Kathleens fast in Richtung eines Jazz-Crooners deutendem Gesang als melancholischer Popsong begann (woran das feine Geigen-Intro der Protagonistin nicht ganz unschuldig war), sich dann aber, zunächst fast unmerklich, mit einem sensationellen, sich ständig steigernden Gitarrensolo von Gord Tough zu einem Rock-Orkan aufschwang, der gewissermaßen selbst Neil Young und Crazy Horse zur Ehre gereicht hätte. Applaus auf offener Szene war der Dank dafür. Überhaupt war das Publikum ganz hin und weg, und nicht wenige dürften überrascht gewesen sein, als sich Kathleen plötzlich mitten in einem Stück für ihre schlechte Gesangsleistung entschuldigte. "Ich habe offenbar vergessen, wie man singt", sagte sie zerknirscht und beschrieb ihre Darbietung als "shit-ass singing". "Ich weiß, dass das kein Trost für euch ist, die ihr heute hier seid, aber für gewöhnlich singe ich viel besser!" Zugeben, ein wenig brüchig klang ihre Stimme schon, aber genau das verlieh der Performance bisweilen das gewisse Etwas. Eine Erklärung dafür gab es übrigens auch: Die Band hatte am Abend zuvor in Brüssel in den Geburtstag von Bassist John Dinsmore reingefeiert, und dabei hatte sich Kathleen offenbar etwas verkühlt. Am Ende der Party hatten sich die Musiker nämlich auf dem Dach ihres Tourgefährts wiedergefunden, was auch der belgischen Polizei nicht entging. Die Aufforderung, doch bitte sofort vom Bus herunterzusteigen, hatte die Band allerdings trocken mit einem Seitenhieb auf die Kollegen, die die nächsten zwei Abende im gleichen Saal in der belgischen Hauptstadt spielen sollten, gekontert: "Das ist schon okay, wir sind Wilco!"
Ein Scherz mit einem durchaus wahren Kern, denn Kathleen kann durchaus als Seelenverwandte von Jeff Tweedy und den Seinen durchgehen, so mühelos und ohne Berührungsängste wie sie Tradition und Moderne, Tiefsinniges und Federleichtes verbindet und dabei trotz oft radiotauglicher Eingängigkeit nie der Vorhersehbarkeit anheimfällt. Der einzige Unterschied: Während Wilco große Säle füllen, musste Kathleen offenbar zwei Konzerte ihrer aktuellen Tour mangels Zuschauerzuspruch absagen und freute sich deshalb offen und ehrlich über die vielleicht 100 Seelen, die es nach Köln geschafft hatten. Die bekamen bei der Zugabe zwei Songs zu hören, die gewissermaßen noch einmal die gesamte Bandbreite von Kathleens Schaffen abdeckten: Der countryesken Uptempo-Nummer "Six O'Clock News" folgte der getragene Popsong "For The Record". Da war längst klar, dass Kathleen nach der Show noch lange damit beschäftigt sein würde, die Hände begeisterter Besucher zu schütteln und Platten zu signieren - was sie dann auch sehr gerne tat.