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Konzert-Bericht
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Spaß mit Ambition
Sonja van Hamel
Ken Stringfellow
Groningen, Vera/ Groningen, Elpee 14.04.2012/ 14.04.2012
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"Ich denke zwar, dass meine Musik auch für sich allein wirkt, aber die Visuals machen daraus ein echtes Erlebnis", sagte die holländische Musikerin Sonja van Hamel, einst gemeinsam mit Berend Dubbe (Bettie Serveert) im Duo Bauer aktiv und inzwischen als ambitionierte Solistin unterwegs, letztes Jahr im Gaesteliste.de-Interview in Anspielung auf die aufwendigen "Draw Clips" des Fotografen Eddo Hartmann, die die Songs ihres feinen aktuellen Albums "Trancendental Man" visuell umsetzen. In Groningen konnte man sich nun von der Richtigkeit dieser Aussage überzeugen, denn vor dem abendlichen Auftritt mit großem Besteck im legendären Vera spielte sie nämlich noch ein paar Haustüren weiter bei Elpee ein intimes, kostenloses Plattenladen-Konzert. Mit dabei war auch Ken Stringfellow, der nicht nur Sonjas letztes Album co-produziert hat, sondern die Chance nutzte, um schon mal ein bisschen die Werbetrommel für sein am 01. Oktober 2012 erscheinendes neues Soloalbum, "Danzig In The Moonlight", zu rühren.
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Mehr als ein Dutzend Platten hat Ken im vergangenen Jahr produziert und dabei mit Künstlern aus aller Welt zusammengearbeitet. Doch auch wenn er in seinem Blog mit großem Enthusiasmus von praktisch all diesen Auftragsarbeiten berichtete, waren die meisten Namen nicht mehr als ein kurzes Flackern auf dem Radar des amerikanischen Workaholics - mit einer Ausnahme. Aus der Zusammenarbeit mit Sonja hat er fraglos mehr mitgenommen als den Gehaltscheck des Produzenten. Die Niederländerin hat nicht nur das Cover seines kommenden Albums gestaltet, auch an seiner neu entdeckten Liebe zum Guitaret und an den Schlenkern zu Psychedelia und Prog, die einige seiner neuen Songs machen, ist sie vermutlich nicht vollkommen schuldlos. Kein Wunder also, dass sich die beiden bei ihren gemeinsamen Auftritten mit spielerischer Leichtigkeit und gut gelaunt die Bälle zuwarfen.
Obwohl beide einen Hang zu ausladenden Arrangements haben, die ihre Liebe zu den 60s, dem goldenen Zeitalter des makellosen Pop, ebenso offenbaren wie die zu einem bisweilen etwas verspielten, retrofuturistischen Zeitgeist-Sound, brauchten sie beim Auftritt vor der Theke des winzigen Elpee-Ladens nicht mehr als Kens Akustikgitarre, Sonjas Omnichord und ihre beiden Stimmen, um selbst auf der Platte recht vertrackt klingende Songs zum Leben zu erwecken. Das unerwartete Highlight dabei war sicherlich die neue Ken-Nummer "Superwise", die von Sonja auf unerwartet psychedelisches Terrain geschubst wurde, was dem Song aber ganz ausgezeichnet bekam. Besonders gelungen auch Sonjas "Freezing Time", das auf Kens Initiative hin vom Album geflogen war ("Produzenten machen so etwas!", meinte er lapidar) und vielleicht gerade deshalb von Sonja mit besonderer Intensität vorgetragen wurde. Nach sechs eigenen Songs hatten die beiden dann sogar noch Muße, zwei Coverversionen zu spielen, zunächst den eher obskuren Psychedelic-Folk-Song "Shadows On My Wall" von der Poppy Family - sehr zur Freude der beiden war übrigens das Album mit dem Original im Laden vorrätig - und ganz zum Schluss noch Big Stars "India Song", bei dem Sonja doch tatsächlich ihr iPhone zückte, um damit den Mellotron-Part beizusteuern!
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Dass die Präsentation am Abend eine vollkommen andere sein würde, konnte man schon beim Betreten des Vera erahnen. Von der Theke hinten links führte nämlich eine auf den Boden geklebte Papierbahn quer durch den Club direkt bis zur Bühne. Darauf zu sehen war eine lange, sich windende Straße, mit Zeichnungen und kurzen Zitaten entlang des Weges, die immer wieder an Sonja-Songs erinnerten. Vor der Bühne selbst stand eine ganze Armada seltsam anmutender Maschinen, die Eddo später bedienen sollte: Sich drehende Zylinder, Spiegel mit Kameras, ein überdimensionales Pop-up-Book und Weiteres mehr deuteten bereits an, mit wie viel Detailverliebtheit Sonja und ihre Mitstreiter später ihre Show bestreiten würden.
Zunächst allerdings stand Ken allein auf der Bühne. Obwohl sein nächstes Soloalbum erst in sechs Monaten erscheint, bestand das Programm seines rund 45-minütigen Auftritts mit einer einzigen Ausnahme aus unveröffentlichten Songs. Das war einigermaßen ambitioniert, schließlich sind viele seiner neuen Kreationen wortlastige Songs mit gedämpftem Folk-Vibe, die dem Publikum viel Aufmerksamkeit abverlangen, doch die Zuschauer waren an diesem Abend gewillt, sich darauf einzulassen. Zur Auflockerung gab es zwischendurch immer wieder ellenlange, streckenweise etwas zu spleenige Monologe von Ken, bevor er nach drei Solonummern Sonja aufforderte, das nächste Stück mit ihm zu singen. "Von hier aus?", fragte sie etwas geistesabwesend von ihrem Platz vorn links vor der Bühne, worauf Ken nur kopfschüttelnd zurückfragte: "Nach allem, was ich dir beigebracht habe, stellst du so eine Frage?" Sonja nahm dann dem schweren Klaviersong "Shit Talkers" durch ihre zweite Stimme etwas von seiner Verbitterung, bevor sie anschließend für "Superwise" erneut zum Omnichord griff. Interessant dabei: Weil Ken, anders als am Nachmittag, nun Klavier spielte, klang das Stück gleich viel weniger psychedelisch.
Danach traute er sich dann kaum, wie sonst üblich von der Bühne ins Publikum zu hüpfen, weil er die aufwendigen "Draw Clip"-Aufbauen nicht beschädigen wollte ("Ich befürchte, das Zeug ist nicht versichert"), aber letztlich bestritt er doch einige Nummern vom Publikum umringt, angestrahlt von ungeliebtem "Verhör-Licht": Eddo hatte kurzerhand eine der Lampen seiner Apparaturen zum Scheinwerfer für Ken umfunktioniert! Für "Doesn't It Remind You", das feine Duett im Stile von Lee & Nancy, das am Nachmittag ob einiger Texthänger von Sonja noch etwas wackelig geklungen hatte, gab's dieses Mal einen Spickzettel, den die Niederländerin kurzerhand auf Kens Rücken platzierte, denn genau dorthin leuchtete der einzige Scheinwerfer... Interessant war der Auftritt ob der vielen neuen, oft überraschend untypischen Songs allemal. Einen echten Anfang und ein kalkuliertes Ende hatte er indes nicht. Während andere Musiker für die kurze Zeit des Auftritts leben, vermittelte Ken an diesem Abend das Gefühl, dass er ein 24/7-Musiker ist, der geradezu zufällig für diese 45 Minuten auf der Bühne des Vera gestanden hat. Diese Beiläufigkeit hatte allerdings durchaus ihren Charme.
Ganz anders Sonja: Der sympathischen Musikerin war die Vorfreude auf ihren Auftritt bereits vor dem Konzert backstage anzumerken gewesen, nicht zuletzt deshalb, weil die Bühne des Vera groß genug für ihre Band - Annie Tangberg am Cello, Diets Dijkstra am Bass, Mark van den Driest am Schlagzeug und Ken an allen erdenklichen Instrumenten - war und ausreichend Projektionsfläche für die Animationsclips bot, die nicht etwa vorproduziert zu den Songs eingespielt wurden, sondern live und in Echtzeit von Eddo allein manuell aufgeführt, abgefilmt und auf die Bühnenwand projiziert wurden. Mal tauchte er die Band mit rotierenden bunten Drehscheiben in farbenfrohe Lichtreflexe, bei anderen Stücken wie "The Roman Empire" erzählten die Bilder auf der Leinwand ganze Geschichten im Stile eines Kinderbuchs für Erwachsene.
Abwechslungsreich war auch die Musik: Natürlich schien, wenn Sonja an ihrem E-Piano saß, hier und da ihr Faible für den lupenreinen Brill-Building-Songwriter-Pop der 60er-Jahre durch, beim wunderbar eingängigen "Fast Fragmented Mind" etwa, dagegen erinnerte die verspielte Uptempo-Nummer "The Procastinator", die Sonja ebenso wie "The Roman Empire" gemeinsam mit Ken sang, von der Rhythmik und ihrem Gesamtsound her fast ein wenig an die frühen Stereolab, und bei anderen Nummern wurde sogar Indierock mit dezenten Prog-Versatzstücken angereichert, ohne dass das Soundgefüge aus dem Leim zu gehen drohte. Mal tauchte das Cello die Songs in warme Melancholie, mal durfte das Guitaret für eine herrlich spleenige Soundkulisse sorgen, dann wieder wurde ein hauchdünner psychedelischer Schleier über die Songs gestülpt, und immer, wenn Ken zur Stromgitarre griff und Sonja ihren Platz hinter dem E-Piano verließ, wie etwa bei "A Virtuoso Of Unspecific Anger", durfte auch enthusiastisch gerockt werden. Der Spaß für Band und Publikum kam bei allem Anspruch nämlich auch nicht zu kurz.
Beeindruckend war aber nicht nur die künstlerische Bandbreite, die hier musikalisch wie visuell abgedeckt wurde, sondern vor allem, wie mühelos die Akteure auf und vor der Bühne - unvermeidliche kleine Fehler stets mit Humor und Charme überspielend - die anspruchsvolle Aufgabe meisterten, die beiden Elemente bruchlos zusammenfließen zu lassen.
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Surfempfehlung:
www.sonjavanhamel.nl
www.kenstringfellow.com
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Text: -Carsten Wohlfeld- Foto: -Carsten Wohlfeld-
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