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Konzert-Bericht
 
Trostlosigkeit mit einem Lächeln

Codeine
Jesus Is My Son

Groningen, Vera
28.05.2012

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Codeine
Zwanzig Jahre ist es her, dass Stephen Immerwahr, John Engle und Chris Brokaw zuletzt gemeinsam als Codeine auf einer Bühne gestanden haben. Auch die letzten Auftritte mit Brokaws Nachfolger Doug Scharin liegen bereits 18 Jahre zurück. Ein Comeback der sagenumwobenen Band, die mit zwei Alben und einer EP Anfang der 90er die Blaupause für das schuf, was später Slowcore genannt werden sollte, schien lange unmöglich. Nicht nur, dass sich die Musiker seitdem persönlich und musikalisch ein gutes Stück von dem entfernt haben, was die damals dazu antrieb, einen ureigenen, düster-stimmungsvollen Sound zu erschaffen, auch der betont würdevolle Umgang mit dem Vermächtnis ihrer gemeinsamen Band schien eine Reunion zu verbieten. Erst die liebevollen Reissues des Band-Backkatalogs, die The Numero Group dieser Tage in die Läden stellt, bewegte die Band zum Umdenken. Für einige wenige Konzerte würden Codeine diesen Sommer noch einmal auf der Bühne stehen - Wiederholung ausgeschlossen.
"No weak new songs, no holographic Doug Scharin on drums, no guest vocals by Scarlett Johansson, no synched films: just the three of us playing these shows. And, I promise, what's on our schedule now will be the only Codeine shows until the next century", erklärte Immerwahr in einem Interview vor Beginn der kurzen Europatournee, der im Juli ausgewählte Konzerte in den USA und im November noch ein kurzer Abstecher nach Japan folgen. Doch obwohl das kategorische Statement des Bassisten und Sängers gut zur düsteren Grundstimmung der Band passt, überraschte uns das Trio beim Soundcheck für ihren Auftritt in Groningens legendärem Club Vera am Pfingstmontag mit augenzwinkernder Heiterkeit: Immerwahr sang für den Mikrofoncheck doch tatsächlich das von Frank Sinatra bekannt gemachte "I Get A Kick Out Of You" (vermutlich, weil die Eröffnungszeilen "My story is much too sad to be told / But practically everything leaves me totally cold" auch gut zu Codeine passen würden), Gitarrist Engle befand nach der Auswertung der YouTube-Aufnahmen des vorangegangenen London-Auftritts, dass sie dort zu schnell gespielt hätten (!), und der Soundmann vermutete, der nirgends zu sehende Drummer Brokaw, berühmt-berüchtigt für seine in schneller Folge veröffentlichten Soloalben, sei "vermutlich backstage, um eine weitere Platte aufzunehmen", und als er dann endlich auftauchte, hämmerte er erst einmal ein paar Drum Patterns der Jimi Hendrix Experience raus!

Auch beim an diesem Pfingstmontag leider nur spärlich besuchten Konzert war eine Leichtigkeit spürbar, die zumindest diejenigen, die das Trio in den 90ern nie live gesehen haben, wohl kaum mit dieser Band assoziiert hätten: So wurden zum Beispiel die beim erst vierten Konzert nach der langen Auszeit unausweichlichen kleinen Abstimmungsschwierigkeiten von den drei Musikern stets mit einem Lächeln quittiert, und als Brokaw gegen Ende für zwei Songs vom Drumkit an den Bass wechselte und Immerwahr plötzlich ohne Instrument am Mikro stand, konnte er sich nicht verkneifen zu erwähnen, dass er beim letzten Abstecher ins Vera vor fast 20 Jahren in dieser Situation zweifelsohne eine Fluppe in der Hand gehalten hätte... Interessant auch die leichte Rollen-Verschiebung innerhalb der Band. Natürlich ist Immerwahr als Songwriter und Sänger immer noch der unangefochtene Chef der Band, deutlich wurde an diesem Abend allerdings auch, dass Brokaw inzwischen der einzige echte "Musik-Profi" in der Band ist, der Engle immer wieder liebevoll "coachte".

Musikalisch setzten Codeine an diesem Abend nicht nur auf tödliche Langsamkeit, instrumentale Kargheit und die ausweglose Trostlosigkeit ihrer Texte, sondern beeindruckten mit einem Sound, der ungemein druckvoll und bisweilen unerwartet laut war: Trotz verhaltenem, oft einem Trauermarsch gleichendem Tempo - natürlich finden sich nach der Show dennoch Menschen, die glauben, ausgerechnet ihr Lieblingssong sei zu schnell gespielt worden - spielte das Trio oft herrlich brachial mit Licht und Schatten und entfaltete dabei eine beeindruckende Breitwand-Wirkung, die die Platten allenfalls erahnen lassen. Songtechnisch präsentierten Codeine vor allem Songs aus den zusammen mit Brokaw entstandenen ersten Werken, plus vereinzelte Auszüge aus dem nach seinem Abschied entstandenen finalen Album "The White Birch". Zu Klassikern wie "D", "Tom", "Loss Leader", "Barely Real" gesellten sich auch einige Überraschungen. So spielten die drei auch das ausgezeichnete "Median", den letzten Song, den sie je zusammen aufgenommen hatten, der allerdings bis heute unveröffentlicht geblieben war. "Das nächste Lied habe ich in einem versifften Club namens Tramps in New York geschrieben, während ich auf einen Auftritt der Mekons gewartet habe", sagte Immerwahr zur Einleitung, woraufhin Chris ein verdutztes "Wirklich???" entfuhr. Er spielt das Stück zwar seit Jahren bei seinen Soloauftritten, aber diese Geschichte war offenbar sogar ihm neu. Kleine, oft fast unmerkliche Details wie dieses machten den Abend zu etwas ganz Besonderem. In die Kategorie Rarität gehörte auch die letzte Zugabe, mit der das Konzert nach viel zu kurzen 70 Minuten zu Ende ging: Als positiven Song kündigte Immerwahr lächelnd die großartige B-Seite "Broken-Hearted Wine" an, wohlwissend, dass Zeilen wie "You can come on over, cry on my shoulder and drink broken-hearted wine" wohl nur im Codeine-Universum als uneingeschränkt lebensbejahend verstanden werden dürften.

Nach dem Konzert standen alle drei Musiker noch lange am Merchandise-Stand, um nicht nur ihre Devotionalien (die unglaublich niedlichen Shirts mit einem Foto von Engles Katze gingen weg wie warme Semmeln) an den Mann zu bringen, sondern sich auch ausgiebig mit dem Publikum zu unterhalten, geduldig alle Autogramm- und Fotowünsche zu erfüllen und den Supportact zu loben. Grégory Duby aus Brüssel, der unter dem gewöhnungsbedürftigen Namen Jesus Is My Son auftritt, hatte den Abend sitzend mit einer Solo-Performance auf der Stromgitarre eröffnet, die bisweilen autistische Züge trug. Ohne Mikro (und damit folglich auch ohne Ansagen), aber auch ohne sichtbare Kontaktversuche mit dem Publikum versank er ganz in seinen Stücken, die mit ihrer Sparsamkeit selbst die spartanischen Codeine-Lieder in den Schatten stellten. Künstlerisch war das, was Duby selbst als "a desire for sadness, loneliness and power" beschreibt, sicherlich wertvoll, der Funke wollte an diesem Abend allerdings nicht so recht überspringen. Letztlich war das allerdings egal, denn Codeine waren dafür umso eindrucksvoller.

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Surfempfehlung:
www.heartofhunder.com/codeine
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Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-


 
 

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