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Konzert-Bericht
 
(Indie-)Rock im Park

De Affaire-Festival

Nijmegen, Valkhofpark
15.07.2012

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De Affaire
In Deutschland sind Umsonst-und-draußen-Festivals oft eher gut gemeint statt gut. Bei manchen entwickeln sich bereits die Einlasskontrollen - es soll ja bloß niemand ein Erfrischungsgetränk mit aufs Gelände schmuggeln! - zur ambulanten Darmspiegelung, bei anderen werden die Bühnen Atmosphäre-killend mitten in trostlosen Fußgängerzonen aufgebaut oder das Programm wird dadurch finanziert, dass ausschließlich von großen Plattenfirmen gehypte, ach so alternative Stars und Sternchen aufspielen, die nur genau so lange jemanden interessieren, bis die Majorlabelindustrie die nächste Sau durchs Dorf treibt. Beim De Affaire-Festival im holländischen Nijmegen war von alledem wenig bis gar nichts zu spüren. Keine Kontrollen an den Eingängen zum Valkhofpark, die Bühnen lauschig unter riesigen Bäumen rings um die Überreste des ehemaligen Schlosses gelegen und als musikalische Gäste einige der interessantesten, besten und meistdiskutierten Künstler aus dem Indierock-Universum. Live-Musik jeglicher Couleur gab es übrigens die ganze Woche lang auch an anderen Ecken der Stadt, wir konzentrierten uns allerdings auf das ausgezeichnete, vom legendären Club Doornroosje gebuchte Sonntagsprogramm im Park.
Es ist 15.00 Uhr, die Sonne scheint und Lou Barlow hat gute Laune. Zwar dürfte die US-Indierock-Legende nicht viel geschlafen haben - am Abend zuvor stand er noch mit seiner Band Dinosaur Jr. im belgischen Her-de-Stad beim Rock Herk-Festival auf der Bühne -, aber das versucht er sich nicht anmerken zu lassen. Im Gegenteil: Kaum hat er seine Saiteninstrumente und sein Rollköfferchen mit Merchandise auf der Bühne drapiert, legt er gleich mit einer echten Rarität los: "Skull" von Sebadohs "Bakesale"-Album. Der Song ebnet den Weg für einen einstündigen Rundkurs durch sein gesamtes Schaffen. Sogar Schlenker zur Folk Implosion ("Free To Go", "Pearl") leistet sich der 47-Jährige! Ausgerechnet bei "Rude" aus dem im September erscheinenden neuen Dinosaur Jr.-Album "I Bet On The Sky" schwächelt Barlow etwas, aber zur Wiedergutmachung gibt es "Willing To Wait", Hits für die Ewigkeit wie "On Fire" und sogar eine neue, unveröffentlichte Sebadoh-Nummer. Zwei Drittel des Konzerts bestreitet der Amerikaner, der sein Gesicht immer noch am liebsten hinter seinen Wuschellocken versteckt, auf der Akustikgitarre, dann greift er zur Ukulele und spielt Songs aus den ganz frühen Sebadoh-Werken, Obskuritäten wie "Vampire", "I Believe In Fate" oder "New Worship" genauso wie den unkaputtbaren Klassiker "Brand New Love". Zwischen den Songs macht Barlow augenzwinkernde Ansagen, macht auf die Diskrepanz zwischen seinen düsteren Songs und dem sonnigen Nachmittagswetter aufmerksam, wünscht sich Regen, weil es den in seiner Wahlheimat Kalifornien nicht gäbe, und erklärt seine bisweilen etwas kratzige Stimme damit, dass er am Vortag bei Dinosaur die ganze Zeit gebrüllt hätte - und demonstriert dem Nijmegener Publikum das gleich auch noch mit einer kurzen Schreiorgie, bis ihm auffällt, "dass das bestimmt jetzt nicht gut für meine Stimme ist". Ein äußerst kurzweiliger Einstieg in den Festivaltag!

Kaum hat Barlow auf der Arc-Stage seinen letzten Ton gespielt, lassen es Mozes And The Firstborn auf der direkt daneben gelegenen kleinen Boog-Bühne krachen. Psychedelischen 70s-Garagen-Rock haben sich die Newcomer aus Eindhoven auf die Fahnen geschrieben, den sie mit großer Lautstärke, wilden Gesten und allen Klischees, die dazugehören, zelebrieren. Innovativ ist das zwar überhaupt nicht, aber deutlich unterhaltsamer als das, was Dylan Leblanc anschließend auf der großen Bühne veranstaltet.

Für sein letztjähriges Debütalbum auf Rough Trade ist der gerade einmal 22-jährige Amerikaner letztes Jahr mit Lob überschüttet worden, aber wie schon letzten Sommer im Vorprogramm von Alela Diane lässt der Shootingstar aus Louisiana zumindest den Schreiber dieser Zeilen auch in Nijmegen vollkommen kalt. Zu seinen mit bisweilen geradezu weinerlich-brüchiger Stimme vorgetragenen, skizzenhaften Folk- und Americana-Songs passt immerhin die Besetzung: Neben Leblanc und seiner Akustikgitarre ist nur noch Pedal-Steel-Legende BJ Cole mit auf der Bühne, doch auch der kann den Songs nur bedingt seinen Stempel aufdrücken. Bezeichnend: Leblanc beendet seinen Auftritt mit zwei Coverversionen und huldigt damit zwar den richtigen Idolen (Neil Young und Bob Dylan), unterstreicht mit der Songauswahl ("Harvest Moon" respektive "Lay Lady Lay") aber lediglich seine Ideenlosigkeit. Besser schnell abhaken!

Spannender ist da die Kalifornierin Jesca Hoop, die danach auf der kleinen Bühne zwar auch nur in Duo-Besetzung (in diesem Falle mit einer Dame für die zweite Stimme) auftritt, aber mit ihren im Folk verwurzelten, allerdings in alle möglichen anderen Genres abdriftenden Songs zwischen Traditionalismus und theatralischer Spleenigkeit gefällt - zumindest denjenigen, die sich auf ihre Lieder und ihre bisweilen etwas zu langen Ansagen einlassen wollen, denn ihre Musik ist mitunter durchaus ambitioniert bzw. anstrengend. Praktisch übrigens auch, dass der Platz vor der Boog-Bühne komplett unter großen Bäumen liegt: Der einzige Regenschauer des Nachmittags stört so kaum. Danach geht auf der Arc-Bühne die Sonne auf - und das Wetter wird auch besser.

Sharon Van Etten ist an der Reihe und verbreitet schon beim Line-Check vor dem Konzert gute Laune. Wie eine Band, die bereits seit knapp einem halben Jahr praktisch nonstop um den Globus hetzt (diese Europa-Tournee ist bereits die dritte seit März!), wirken Sharon und ihre drei Mitstreiter nun wirklich nicht. Selten haben wir bei einem Konzert so eine freundliche Atmosphäre auf der Bühne gesehen, ständig lachen sich die Musiker an, tauschen vielsagende Blicke aus und haben, obwohl sich das Programm seit Beginn der Tour kaum verändert hat, offenbar immer noch einen Riesenspaß daran, die Songs zu spielen. Die unglaubliche Intensität und bisweilen hypnotische Wirkung ihres Club-Konzerts in Köln vor wenigen Wochen erreichen Sharon und die Ihren in Nijmegen nicht - auf einer Bühne, die größer ist als der komplette Club in der Domstadt, noch dazu unter freiem Himmel, bei strahlendem Sonnenschein und um kurz nach halb sieben ist dies allerdings auch kein Wunder. Allerdings unterstreicht der Auftritt eindrucksvoll, dass Sharon das Charisma besitzt, nicht nur ein paar Dutzend Eingeweihte in Kellerbars zu bezirzen, und ihre bisweilen als kompliziert verschrienen Songs trotz aller Haken und Ösen eingängig genug sind, um auch bei einem weitaus größeren Umsonst-und-draußen-Festival bestehen zu können. Das gilt für die eindringliche Indie-Folk-Nummer "Give Out" ebenso wie für das zur Mitte des Sets von Sharon solo auf der Stromgitarre gespielte "I Fold", bei dem das Open Air-Publikum eindrucksvoll still und andächtig zuhört, und ganz besonders für das grimmig-entschlossene "Serpents", das sich in diesem Rahmen als geradezu stadiontaugliche Schlussnummer entpuppt. Lässig plaudert die schöne Amerikanerin derweil zwischen den Songs mit dem Publikum, fragt die Zuschauer zum am Fuße des Parkhügels aufgebauten Riesenrad aus ("Wenn ich jetzt nicht spielen würde, wüsste ich, wo ich jetzt wäre!"), amüsiert sich köstlich über das von einem Fan zu ihren Füßen aufgebaute Plastikschwein und widmet dem kleinen Jungen mit blonden Locken und Nickelbrille, der auf den Schultern seiner Eltern sitzt, gleich mal ein Lied, weil er so niedlich ist. Begeistern kann sie damit nicht nur das holländische Publikum, sondern auch ihre Musikerkollegen: Dylan Leblanc und Kurt Vile und seine Violators verfolgen den Auftritt gebannt vom Bühneneingang aus.

Auf der kleinen Bühne jagen danach Plants And Animals aus Montreal mit viel Energie durch ein Set höchst dynamischer, bisweilen sogar geradezu tanzbarer Indierock-meets-Post-Punk-Nummern, die, wie sich das für eine kanadische Band heute gehört, auch mit ein wenig Arcade-Fire-Flair kokettieren. Die großen, im Ohr hängen bleibenden Refrains fehlen dem Quartett zwar (noch), doch der Enthusiasmus, mit dem die Band sich an diesem Tag präsentiert, macht sie zumindest zu einem echten Hingucker.

Um 20.15 Uhr ist es dann Zeit für den Act, auf den, dem Andrang vor der Arc-Bühne nach zu urteilen, die meisten an diesem Tag gewartet haben: Kurt Vile And The Violators. Der frühere War On Drugs-Gitarrist legt auch gleich mit seinem Hit "Jesus Fever" los und wird dafür vom Publikum frenetisch gefeiert, dabei ist seine Stimme überhaupt nicht zu hören und der Opener gerät so unfreiwillig zur Instrumentalnummer. "Was, ihr habt von meinem großartigen Text gar nichts mitbekommen?", fragt er lachend, als die Mikroprobleme nach dem Song behoben sind. "Was für ein Verlust!" Auch danach bleibt die amerikanische Band - drei Gitarren, Schlagzeug, aber kein Bass - ihrer Vorliebe für ausgefranste, psychedelisch verschwurbelte Folk-Songs mit schwer zu erklärendem Pop-Appeal treu, die an anderer Stelle bereits treffend als Konglomerat aus Neil Young, Bob Dylan, Velvet Underground und ziemlich bekifften Fleetwood Mac beschrieben worden sind. Die Marschrichtung ist zwar von Anfang an klar, Abwechslung gibt es aber trotzdem, zum Beispiel wenn Drummer Mike Zanghi zu den Maracas greift, Gitarrist Jesse Trbovich sein Saiteninstrument gegen ein Saxofon eintauscht oder Kurt zur Mitte des Konzerts allein auf der Bühne steht, um "Peeping Tomboy" zu singen, als gälte es, den Geist von John Fahey in die Jetztzeit zu transportieren. Zwar versteckt sich Vile lieber hinter seiner beeindruckenden Lockenpracht, als groß mit den Zuschauern zu interagieren, doch am Ende ist das Publikum so begeistert, dass sogar eine Zugabe hermuss!

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Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-


 
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