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Konzert-Bericht
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Heimatlieder und kommunistische Propaganda
Bernd Begemann
Essen, Grend 26.01.2013
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Es ist nur allzu verständlich, dass Künstler, die 25 Jahre oder mehr im Geschäft sind, lieber ihre neuen Songs spielen, anstatt zum 2000. Mal ihren ersten Hit zum Besten zu geben. Auch bei Bernd Begemann war in den letzten Jahren der Trend weg vom beschwingten Frühwerk hin zu düster gestimmten aktuelleren Nummern unverkennbar. Nachdem er sich letzten Herbst zum 50. Geburtstag von seinem Label Tapete Records mit einer Best Of-Compilation beschenken ließ, hat der elektrische Liedermacher aus Hamburg aber offenbar sein Herz für seine großen Hits vergangener Jahre wiederentdeckt. Selten haben wir in den letzten zehn Jahren ein Begemann-Konzert erlebt, bei dem er so viele alte All-time-Favorites nicht nur auf Zuruf aus dem Publikum, sondern vollkommen "freiwillig" gespielt hat.
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Deshalb war es auch vollkommen in Ordnung, dass er kurz nach dem Beginn mit "Ich erkläre diese Krise für beendet" sagte: "Ich werde euch später nach Publikumswünschen fragen. Jetzt bin ich noch nicht bereit dafür", denn das bedeutete keinesfalls, dass er das Publikum nicht trotzdem im Auge hatte. So spielte er zum Beispiel, kaum dass er einen Zuschauer mit Tocotronic-Shirt erspäht hatte, "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein" an! Auch der erste Schlagabtausch mit dem Publikum ließ nicht lange auf sich warten - wenngleich Bernd daraus erstaunlicherweise als zweiter Sieger hervorging. Denn damit, dass auf seine stolze Erklärung, sein Anzug habe gerade einmal 40 Euro gekostet, "Oh, da haben sie dich aber abgezogen, Bernd!" zurückkommt, hatte er wohl wirklich nicht gerechnet!
Doch selbst davon ließ Bernd sich die gute Laune nicht vermiesen, spielte "Weil wir weg sind" im Geiste einer lauten The Who-Nummer und "Katrins Gesicht" danach in einer wunderbar langsamen, leisen Gänsehautversion, die so gut war, dass wir fast geneigt sind zu sagen: Der Song klang nie besser! Ähnlich verhalten spielte er später übrigens auch "Der brennende Junge" - und punktete auch damit. Dass es ein wirklich guter Abend war, konnte man auch daran ablesen, dass Bernd selbst beim allabendlich gespielten "Judith, mach deinen Abschluss" noch ein paar Ad-libs parat hatte, die selbst hartgesottene Fans noch nicht kannten, zum Beispiel die herrliche Frage "Glaubst du wirklich, dass ein Surflehrer namens Rodrigo als Auslandserfahrung zählt?"
Apropos Fragen: Weil sich einige Zuschauerinnen am Vorabend beschwert hatten, dass Bernd bei seinen DVD-Verlosungsaktionen immer nur Jungsfragen stellt ("Zum Beispiel: Wer hat beim dritten Track der vierten Byrds-LP Tamburin gespielt?"), wollte er es in Essen mit einer expliziten Mädchenfrage versuchen, allerdings scheiterte das Publikum daran, denn niemand wusste, wie die drei Typen heißen, die Rory Gilmore geküsst hat! Doch selbst davon ließ sich Bernd nicht entmutigen und fragte: "Welche Serien guckt ihr denn? Dann kann ich euch abfragen!" Doch bevor es dazu kam, kriegte erst einmal Rainer Brüderle sein Fett ab. Dabei war es nicht so sehr der Sexismus-Vorwurf an sich, der Bernd mit dem Kopf schütteln ließ, sondern eher die Frage "Wie konnte er glauben, dass das klappt?". Passend dazu spielte er anschließend "Die neuen Mädchen sind da"...
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In der zweiten Showhälfte gab es dann nicht nur die Publikumswünsche zu hören, die Bernd zuvor verweigert hatte ("Viel zu glücklich, um es lange zu bleiben" zum Beispiel und Unausweichliches wie "Zweimal 2. Wahl"), sondern ähnlich wie im ersten Teil auch feine, unerwartete Highlights wie ein ungemein emotionales "Ich kann dich nicht kriegen, Katrin" und ein herrlich melancholisches "Du wirst mein Süden sein", das so wunderbar gelang, dass danach eigentlich nichts mehr kommen konnte. Großartigerweise sah Bernd das genauso und sagte nach dem Song nur noch leise "Vielen Dank, gute Nacht" und verließ die Bühne.
Zwar unterbot er deshalb die lange Jahre obligatorischen drei Stunden Spielzeit locker, trotzdem war dieser Abend in jeder Hinsicht - Song- wie Ansagen-technisch - perfekt dosiert. So fiel die Tatsache, dass Bernd nur zwei Arten von Songs hat ("Heimatlieder und kommunistische Propaganda") gar nicht weiter auf.
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Surfempfehlung:
www.bernd-begemann.de
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Text: -Simon Mahler- Fotos: -Simon Mahler-
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