Dennoch versicherten beide, dass sie jede Menge Spaß an der Aktion gehabt hätten. Es gab die ungewöhnliche Mischung, die MBD auszeichnet: Tief in der US-Folklore verwurzelte Songs mit blumigen, spirituell inspirierten Lyrics, die aber in Form von ruppigen, lauten Indie-Rock-Epen dargeboten werden und von Sarah Baillets klassisch inspiriertem Cello sozusagen eingerahmt werden. Neben Material der neuen CD "Bitter Drink, Bitter Moon" überraschten MBD noch mit einer Cover-Version von INXS' "Never Tear Us Apart" im markigen Grunge-Modus. Langer Rede kurzer Sinn: Das war die bislang überraschendste Überraschungsband der Festivalgeschichte. Weiter so, bitte. Kleine Anekdote am Rande: Caroline Keating machte immer noch das Festivalgelände unsicher und war auf ihrem universellen Fraternisierungs-Trip nun bei MBD gelandet. Dort stellte sie sich folgendermaßen vor: "Ich bin Caroline, spiele Piano und klinge nicht wie Kate Nash."
Im regulären Programm ging es dann weiter mit Lokalkolorit. Crocozebrá sind die beste Band aus dem Weserbergland und hatten somit wahrlich noch auf der OBS-Bühne gefehlt. Die Jungs machen eine bemerkenswert freistilige Subkategorie von Indie-Pop und hatten besonders unter den jüngeren Festivalbesuchern, von denen es nach der Öffnungsklausel deutlich mehr gab als in den Jahren zuvor, viele Fans - die auch die Texte mitsingen konnten.
Die dann folgende Schwedin Christine Owman ist eine echte Glitterhouse-Entdeckung. Die schuhlose Dame mit dem strengen Make-Up wurde aus dem Dunstkreis der Labelkollegen von Golden Kanine herangetragen und überraschte mit einem der ungewöhnlichsten Acts, die jemals die Hauptbühne geziert hatten. Mit Cello, Ukulele und singender Säge (im ersten Track, "Apart", alles drei zusammen) bot sie eine Show, die in Sachen Originalität und innovativem Freigeist ihresgleichen suchte. Natürlich hatte das ziemlich große kleine Biest hier - anders als auf ihrer CD - Mark Lanegan nicht dabei, dafür aber eine Gitarristin und einen Bassisten und jede Menge interessanter Ideen: Ein zweites Mikro etwa, für elfenhaft vibrierende Geistergesänge, einen Plastikschlauch als organischen Wirbelsound-Generator und einen iPod mit Autostart-Funktion, der, wenn er denn mal korrekt einsetzte, gesampelte Beats und Sounds enthielt. In der Tat hatte es hier so etwas hier noch nicht gegeben.
In den Umbaupausen spielten an diesem Tag Mighty Mike und sein Bauch auf der Publikumsbühne den Blues - gut gelaunt und ziemlich flott oberndrein. Torpus & The Art Directors gehören wie Crocozebrá zu den Nachwuchshelden, die sich noch Löcher in Bäuche freuen können, wenn sie mal auf der anderen Seite der OBS-Bühne stehen dürfen. Sie haben sich aber - anders als Crocozebrá - ein klassisches Americana-Setting als Basis ausgesucht, das sie indes mit viel Brimborium (Mandoline, Blasinstrumente, Mini-Orgel usw.) recht ansprechend in Szene setzen. Und das dann auch endlich mal bei strahlendem Sonnenschein und mitsingendem Publikum.
The Desoto Caucus sind bekanntlich als die "europäischen Giant Sand" unterwegs, aber eben nicht nur eine international gesuchte Backingband (auch von Isobel Campbell und Mark Lanegan), sondern auch eine Truppe in eigener Mission. "Tut mir leid, aber unsere Texte kann man ohne Wörterbuch so einfach nicht verstehen", versuchte Anders Pedersen den inhaltlichen Mikrokosmos seiner Band zu erklären. Was nicht notwendig gewesen wäre, denn musikalisch bewegen sich The Desoto Caucus auf für Genrefreunde gewohntem Terrain - freilich mit ureigenen Noten. So verwendet die Band eine Vielzahl analoger Effektgeräte - gerne auch in Kombination mit Keyboards -, die dem Klangbild eine ganz eigene, unwirkliche Stimmung verleihen. Dabei wirken die Jungs auch immer recht spacig, weswegen sie wohl ihre Musik auch als "Cosmic American" bezeichnen und letztlich überzeugten sie auch durch ein abwechslungsreiches Set und ziemlich genialische Gitarrensoli.
Die Flaming Stars aus London sind eine dieser Ausgrabungen, die Rembert gerne hobbymäßig für das Festiival betreibt. Die nicht mehr ganz taufrischen Herren aus dem Stingrays und Gallon Drunk-Umfeld spielen eine recht eigenwillige Mischung aus Underground-Trash-Pop, Garage-Rock, Psycheldelia und vor allen Dingen Punk Power. "Der nächste Song enthält nur ein Riff", erklärte Frontmann Max Décharmé, "mal sehen, ob ihr das erkennen könnt." Das war ja nicht so schwer, denn alles, was die Flaming Stars tun, präsentieren sie auf einem geradezu aufdringlichen Energielevel und durchaus recht flott.
"Flott" ist dann vielleicht nicht der richtige Begriff, um die Indie-Legende Come hinreichend zu beschreiben. Es ist dieses aber immerhin die erste Band, deren Debüt-Tonträger das Glitterhouse Label gleich zwei mal veröffentlichte: "11:11" erschien Anfang der 90er zum ersten Mal (damals unter Sub Pop Europe) und nun, mit einer Bonus-Live-CD nochmals auf Glitterhouse. Demzufolge ließ es sich Frontfrau Thalia Zedek nicht nehmen, die alten Gassenhauer als "Songs vom neuen Album" anzukündigen. "Also neue Songs jetzt", fügte Chris Brokaw (seines Zeichens OBS-Veteran de Rigueur) hinzu. Der dann folgende Elektro-Blues-Auftritt zählte wahrlich zu den druckvollsten, intensivsten und lautesten, die die Glitterhouse-Bühne jemals gehört hatte. Geradezu so, als seien die wuchtig/sperrigen Tracks gerade erst erschaffen worden, steigerten sich Thalia und Chris - unterstützt von der Original-Rhythmusgruppe Arthur Johnson und Sean O'Brien - in einen geradezu manischen Spielrausch hinein. Es war da schon höchst passend, dass Thalia auf ihrer Gitarre "Hate" und Chris "Love" stehen hatten, denn die Songs des Quartetts bestehen schließlich - neben etlichen dramatischen Haken und Ösen - aus komplex verzahnten Gitarrenduellen, in denen sich Gut und Böse schließlich in einer Art dröhnenen Symbiose vereinen. Da blieb kaum noch Raum zum atmen.