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Garagen-Operette

Deer Tick
Samantha Crain

Köln, Underground
04.02.2014

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Deer Tick
Bevor mit dem Auftritt von Deer Tick aus Providence ein regelgerechter, klassischer Power-Pop-Abend anstand, kletterte die Songwriterin Samantha Crain mit ihrer Gitarre auf die Bühne. Samantha ist eine Choktaw-Indianerin und kommt aus der amerikanischen Provinz in Oklahoma. Während ersteres keine große Rolle für sie zu spielen scheint, nutzt sie letzteres um klassische US-Folksongs aus der Sicht des kleinen Mannes (bzw. der Frau) zu formulieren, die in dieser schlüssigen Perfektion wahrlich ihresgleichen suchen. Dabei macht Samantha wahrlich nichts Ungewöhnliches - nur schafft sie es, alleine mit ihrer ausdrucksstarken Stimme, brillant inszenierten Songs und virtuosen Gitarrenspiel Geschichten zu erzählen, die jenen der ganz Großen des Genres in nichts nachstehen.
Nachdem Samantha zunächst die CD "Songs In The Night" mit der Band Midnight Shivers und danach die bei uns offiziell nicht aufgelegte CD "You (Understood)" herausbrachte, wundert es nicht, dass das von John Vanderslice produzierte, gerade erschienene Album "Kid Face", aus dem die meisten Tracks ihres kurzen Sets stammten, sich anhört wie jenes einer ausgebufften, langjährigen Veteranin des Genres. Was Samantha wichtig ist zu betonen, ist, dass der Song "Never Going Back" keineswegs von Taylor Swift inspiriert wurde, wie ein Journalist fälschlich kolportierte, sie dafür aber für den kürzlich verstorbenen Jason Molina, noch zu dessen Lebzeiten, den Song "For The Miner" schrieb. Aber es ist eigentlich egal, worüber Samantha auch singt: Man hört ihr gerne zu - und sehr viel mehr kann man als Songwriter (insbesondere bei Solo-Shows) eigentlich nicht erreichen.
Der Headliner des Abends, die Rhode Island Power-Glam-Artpop-Truppe Deer Tick, scheint Bartträger anzuziehen - jedenfalls waren Gesichtshaarträger aller Alters- und Bartklassen in überproportional erstaunlicher Anzahl im zwischenzeitlich gut gefüllten Auditorium zu finden, als die Jungs kurz nach 20:00 Uhr auf die Bühne krabbelten. Der Band um den schrulligen Frontmann John McCauley präsentierte sich im Underground als leicht desorganisierte, aber begeisterungsfähige Chaostruppe, die mit enormer Lautstärke eine wahre Party-Operette zwischen Klassischem Rock'n'Roll, Power-Pop und Schweinerock mit Elementen aus Garage-, Glam-, Punk- und Artrock aufführte. McCauley (der zuletzt seine Kollegin Vanessa Carlton im Beisein von Stevie Nicks geehelicht hatte) präsentierte sich - sofern man sein Genuschel denn verstehen konnte - als gut gelaunter Underdog-Conferencier, der keinen Hehl aus seinen technischen Limitationen ("wenn das nächste Stück etwas komisch klingt, ist das möglicherweise meine Schuld, weil ich nicht so gut Gitarre spiele"), seiner Herkunft, seinem Goldzahn und seiner Begeisterung für sein Tun machte.

Nachdem die Band einige ihrer starken Power-Pop-Hits hingelegt hatte, gab es mit einem Rock'n'Roll-Medley, das mit einer gut gelaunten Punk-Pop-Version von Buddy Hollys "Oh Boy" zum Trinksong "Let's Go All To The Bar" überging, bei dem es McCauly schaffte, ohne seine Hände zu bemühen, eine Bierflasche zu leeren, den ersten Ausflug in die Wirren US-amerikanischer Musiktraditionen, aus denen sich Deer Tick zu bedienen pflegen (freilich ohne diese zu entwirren). Die Band - insbesondere der 2009 hinzugekommene Gitarrist Ian O'Neil (mit dem sich McCauley zuweilen die Gesangspflichten teilt) - legte sich derweil ins Zeug als gälte es Preise zu gewinnen. Zwar hatte die Band natürlich nicht das ganze von Produzent Steve Berlin angeregte Instrumentarium angeschleppt, das das letzte Studioalbum "Negativity" ziert, aber immerhin stand neben Keyboarder Rob Crowell ein Saxophon griffbereit und McCauley selbst wechselte ständig zwischen Gitarre und Keyboard hin und her (auf dem er einige erstaunliche Kapriolen, wie orchestrale Intros oder kompetente Piano-Läufe fabrizierte). Dass sich die Mehrzahl der Tracks auf "Negativity" tatsächlich mit düsteren Kapiteln aus McCauleys Lebensgeschichte beschäftigen, spielte zumindest bei dieser Show keine Rolle - zum einen, weil McCauleys Gesang eh nicht zu verstehen war und zum anderen, weil die ganze Band absolut positive Rock'n'Roll-Vibes versprühte - inklusive stadientauglicher Posen im Garagen-Format (denn dass die Show im Undeground 2 - einer ehemaligen Garage - stattfand, bekam hier eine ganz besondere Bedeutung).

Deer Tick mögen zwar ihre Musik, nicht aber sich selbst besonders ernst nehmen - und das macht sie auch sympathisch. Nicht, dass hier alles perfekt war - aber bekanntlich ist perfekt ja auch nicht gut genug und im Rock'n'Roll fehl am Platze. Das führte natürlich dazu, dass die eine oder andere Nuance - insbesondere das clevere Songwriting oder McCauleys zuweilen durchaus kontroverse Topics betreffend - im Live-Vortrag verloren ging. Aber sei's drum: Der Band gelang es mühelos, das begeisterte Publikum mitzureißen - und darauf kommt es ja an. So muss Rock'n'Roll! Wes Geistes Kind Deer Tick sind, ist dabei gar nicht so leicht festzustellen: Sicher, die Jungs coverten ganze Nirvana CDs, begeistern sich an klassischem US-Rock'n'Roll, mögen dramatische Intros, spielen Neil Young ("Kennt ihr Neil Young? Ich glaube, der kommt aus Deutschland... oder Kanada oder sonst so einem Ausland", murmelte McCauley etwa), aber festlegen lassen sich die Herren nicht. Viellicht macht ja auch gerade diese stilistische Unberechenbarkeit den Reiz des ganzen Unternehmens aus? Gemessen an dieser Show ist das auf jeden Fall so... Von solchen Zecken lässt man sich gerne stechen.

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Surfempfehlung:
deertickmusic.com
www.facebook.com/deertick
samanthacrain.com
www.facebook.com/Samanthacrainmusic
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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