In seiner Heimat zählt der sympathische Mann aus Gloucestershire bereits zu den Geheimtipps und hat mit seiner EP "Bones" eine Art Szene Hit - noch bevor im September sein Album erscheinen sollte. Josh macht pflegeleichten Singer-Songwriter-Pop, den er mit hoher Stimme auf seine eigene Art recht soulig interpretiert. Der Mann, der sich seine Inspiration auf ausgedehnten Reisen und bei der Zusammenarbeit mit jugendlichen Streetkids holt, bot somit einen geeigneten Einstieg in den Festivaltag.
Das Geschehen im Spiegelzelt eröffnete derweil die US-Combo Dawes. Der Band aus Malibu gelang mit ihrem Album "North Hills" im Genre Americana-Folkpop der Überraschungs-Durchbruch des Jahres 2012. Kein Wunder, denn mit ihrer ausgeschlafenen, handwerklich perfekt inszenierten und charismatisch selbstbewussten Darbietung und besonders aufgrund des ausgezeichneten Songmaterials zählen Dawes momentan schlicht zu den besten ihres Fachs. Ein Umstand, der auch Conor Oberst nicht verborgen blieb, der die Herren kurzerhand als Begleitband für die Präsentation seiner aktuellen Solo-Songs außerhalb des Bright Eyes-Umfeldes engagierte. Eine Randnotiz sei erlaubt: Bands wie diese, die also erkennbar ihre ganze Jugend im Übungskeller verbracht haben und demzufolge mit einer unglaublichen Präzision agieren, die aber dennoch nicht steril rüberkommt, gibt es einfach nur in den USA.
Auf der Hauptbühne wurde derweil bereits ein beeindruckendes Backdrop für den Auftritt von First Aid Kit befestigt. Auf einem Banner von der Größe eines mittleren Postleizahlengebietes war das Motto der aktuellen CD der Söderberg-Sisters "Stay Gold" aufgemalt - die demzufolge übrigens in goldenen Pailletten-Kleidchen auftraten. Wer befürchtet haben mochte, dass die Schwestern mit ihrem minimal inszenierten Folkpop auf der großen Bühne etwas untergehen könnten, der wurde stimmgewaltig eines besseren belehrt. Klara und Johanna Söderberg besitzen eine Gesangsintensität, die physikalisch eigentlich gar nicht möglich ist. Da bleibt gesangstechnisch wahrlich kein Auge trocken - weder bei den moderat entschlackten Songs des aktuellen Albums, noch bei den leicht umarrangierten Hits des Erfolgsalbums "The Lions Roar", noch bei gelegentlichen Coverversionen - dieses Mal Dylans "Cup Of Coffee". Und wie könnte es anders sein: Auch das blieb Conor Oberst nicht verborgen, der es sich nicht nehmen ließ, seinen Gastbeitrag auf der "Stay Gold"-CD live in Haldern zu reproduzieren. Später mehr zu diesem Verhältnis. Kurzum: Der Auftritt von First Aid Kit geriet am Ende so viel besser, als er auf dem Papier eigentlich hätte sein können. Sogar die von ihren Club-Konzerten gewohnte A-Cappella-Einlage ließen sich die Schwestern nicht nehmen - auch wenn ihnen von der Bühnentechnik bereits der Saft abgedreht wurde, während sie noch das Publikum animierten, ihren heimlichen Hit "Emmylou" zu singen.
Es folgte dann ein absoluter Kontrapunkt: Massenkompatibler Brutal-Pop-Rock von den Augustines aus New York. Was Billy MacCarthy und seine Herren an jugendlichem Boygroup-Charme ggf. vermissen lassen, machen sie durch Körpereinsatz und Publikumsanimationen wieder wett. Eine ganz andere Rocksparte durften Interessierte dann im Spiegelzelt erleben. Speedy Ortiz, das Bandprojekt um die aparte Frontfrau Sadie Dupuis, überraschte mit einer ungemein spielfreudigen und kurzweiligen Post-Punk-Art-Rock Variante, die vor allen Dingen dadurch überzeugte, dass jeder der vier abgedrehten Protagonisten in seiner eigenen, kleinen, autistischen Klangwelt vor sich hinzumusizieren schien, und dass am Ende doch ein schlüssiges Ganzes dabei herauskam. Eine Prise charmanter Naivität - insbesondere in Bezug auf die kinderliedartig gegen den Strich gebürsteten, unschuldigen Kindermelodien, mit denen Sadie ihren Gesang konstruiert - rundeten das Ganze ab. So etwas hat man auch schon längere Zeit nicht mehr präsentiert bekommen.
Der bekennende Soulfan Andrew Hozier-Byrne bot dann - wiederum im Zelt - eine eher ungewöhnliche Besetzung, in der Keyboards, Cello und Backing-Vocals ebenso eine Rolle spielten, wie Hoziers bluesiger, elektrischer Folkpop-Gitarrenspiel. Aufgrund seines aktuellen, politisch motivierten Radio-Hits "Take Me To Church" erfreute sich auch Hoziers Gig einem entsprechenden Zuspruch durch ein vorwiegend jugendliches Publikum für das seine - in seiner Heimat ja grundsätzlich verankerte - Melange aus Folk, Gospel und Northern Soul durchaus ja auch etwas ganz Neues dargestellt haben dürfte.
Auf der Hauptbühne stand derweil der Auftritt von Conor Oberst an. Wie gesagt, hatte sich Conor ja bereits die Combo Dawes als Hausband auserkoren. Dass der Mann daneben noch Schwestern sammelt, dürfte indes eher eingeweihten bekannt sein. Den Anfang machten weiland Maria und Kate Taylor aus dem Saddle Creek-Umfeld. In den USA adoptierte er soeben Rebecca und Megan Lovell von Larkin Poe als Harmoniesängerinnen für seine Live-Auftritte. Und auf dem Haldern Festival waren es eben die Söderberg-Schwestern, die diesen Part übernehmen durften. Das Ganze hätte man dann als Spinnerei abtun können - wenn es nicht so gut funktioniert hätte. Die technische Expertise, mit der sich Dawes das komplexe und zuweilen auch gerne verzettelte Material des Meisters zu eigen gemacht hatte, sorgte am Ende für ein straightes Set, das man in dieser Klarheit vom Liebhaber exzessiver songwriterischer Haken, Ösen und Schlenker gar nicht erwartet hätte. Und die Harmonien der Söderberg-Schwestern sorgten nicht nur für ein performerisches Glanzlicht nach dem nächsten, sondern machten auch den Unterschied zwischen einem gelungenen Festivalaustritt und einer kleinen, memorablen Legende aus. Das kann der Mann auf seiner nun folgenden, regulären Tour unmöglich toppen. Bemerkenswert übrigens, dass der Auftritt Obersts - trotz aller schnieken musikalischen Effizienz - nicht im Mainstream versackte. Der Mann hat halt Charakter.
Über einen Mangel an Charakter kann sich wahrlich auch Patti Smith nicht beklagen. Die Grande Dame des Underground-Rock kann sich als eine der letzten überlebenden, aktiven Legenden aus der großen Zeit der Geburt des US-Alternativrock natürlich so einige Star-Allüren erlauben. Das ganze Team zitterte also den ganzen Tag dem Auftritt entgehen, um sich auch bloß keinen Fauxpas hinsichtlich der vielen Anweisungen Pattis zu erlauben (keine TV-Aufnahmen, klar definierte Grenzen für die Fotografen, austariertes Licht-Design und Absperrungen allenthalben). Auf der Bühne freilich kam dieses Divengehabe kaum zum Ausdruck. Patti Smith begrüßte das Publikum wie alte Freunde (sie war ja vor elf Jahren bereits ein Mal zu Gast auf Haldern) und präsentierte im Folgenden ein an Höhepunkten wahrlich nicht armes, aber ausgeglichenes, wenn auch an melancholischen Hommagen an verstorbene Kollegen (Jerry Garcia, Johnny Winter und Lou Reed) reiches, sentimentales Set. Es ging gleich los mit "Dancing Barefoot" - und mehr brauchte es dann auch nicht, um das ganze Publikum sofort in Beschlag zu nehmen. Dieses bestand übrigens nur zum Teil aus ergrauten Alt-Fans. Viele junge Leute zeigten gesteigertes Interesse am Auftritt der lebenden Ikone - und erwiesen sich im Folgenden als echte Fans - als es nämlich daran ging, Pattis emotional wirklich berührende Hommage an Lou Reed, den dem Publikum gewidmeten Song "Perfect Day" oder ihren Mainstream-Hit "Because The Night" mitzusingen. Patti beschränkte sich zum Glück aber nicht darauf, nur die alten Hits zu spielen, sondern bot auch neueres Material. Den Kernpunkt bildeten allerdings die angesprochenen Hommagen (angeführt von "Grateful" für Jerry Garcia, dessen "Dark Star" sie zuvor zitiert hatte), die Patti zusammen mit alten Gedichten, politischen Schlenkern und Andeutung und sehr viel esoterischer Emotionalität zu einem letztlich schlüssigen und berührenden Ganzen verquickte, bei der sie das Publikum spuckend, tanzend, gestikulierend und beschwörend auf eine leicht unklare, spirituelle Botschaft mit kleinen Polit-Schlenkern einschwor. Ein allgemeines Gefühl der Verbundenheit und Ergriffenheit machte sich demzufolge im Publikum breit. So viel ehrliche, aufrichtige Begeisterung, kollektive Verbundenheit und kontemplative Glückseligkeit gibt es selbst in Haldern nicht so oft zu bewundern. Das war dann einer dieser Auftritte, der weit über die musikalischen Aspekte seiner selbst hinauszuwachsen wusste. Auch, wenn Patti die eine oder andere Nummer früher schon mal besser gespielt, "Gloria" schon mal mehr Power gehabt, oder "Horses/Land Of A Thousand Dances" schon mal schärfer gekommen sein mochte. Aber das war hier und jetzt und heute. Und dann war da ja noch Grant Hart, den Patti bei einem Spaziergang durch die Maisfelder Halderns zufällig getroffen und eingesammelt hatte und als Gast etwa für den Hunde-Song "Banga" hinzu bat. Kurzum: Das hätte alles so viel banaler und gewöhnlicher sein können. War es aber nicht - und das macht eben Haldern Pop aus.