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Konzert-Bericht
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Alles ist erlaubt
Tom Liwa mit Flowerpornoes
Tourtagebuch Winter 2015/16
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Eigentlich hatte Tom Liwa vor zwei Jahren angedroht, überhaupt keine Platte mehr machen zu wollen, doch zum Glück war am Ende die Musik doch stärker. Deshalb veröffentlichte der inzwischen in Ostwestfalen-Lippe heimische Duisburger Singer/Songwriter diesen Herbst gleich ein Doppelalbum mit den Flowerpornoes namens "Umsonst & draußen" (auf Grand Hotel Van Cleef), das auf alten Stärken wie der unterschwelligen Melancholie in der Musik und den klugen Beobachtungen in den Texten aufbaut, bisweilen sehr freigeistig aber auch Neues präsentiert, wenn Liwa mit seinen Idolen abrechnet oder des Öfteren zum Banjo greift. Zudem hat der Ruhrgebiets-Troubadour bis Ende Februar viele, viele Konzerte in seinem Terminkalender stehen. Eine schöne Gelegenheit für Gaesteliste.de, ein paar subjektive Impressionen einzufangen und ein bisschen Tourtagebuch zu schreiben.
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Essen, Grend, 22.11.2015
Vier Wochen zuvor hatte es pünktlich zur Veröffentlichung von "Umsonst & draußen" bereits einige Konzerte gegeben, doch an diesem Abend startet sie ganz offiziell, die Tournee zum Album, und gleich vom ersten Ton an ist klar: Die Flowerpornoes haben geübt! Hatten die vereinzelten Konzerte der Band in den letzten Jahren bisweilen eher den Charakter von (sehr unterhaltsamen) offenen Proben, in denen Liwa und seine Mitstreiter Giuseppe Mautone (Schlagzeug), Markus Steinebach (Bass) und Birgit Quentmeier (Orgel) mit viel Spaß durch ihr Set und viele neue Songs stolperten, wirkt die Band in Essen fast schon unerwartet entschlossen und dabei hochkonzentriert. So sehr sogar, dass Liwa zunächst die Ansagen "vergisst". Das fällt ihm allerdings erst auf, als er sich nach etwa einer Dreiviertelstunde im Text von "Falsch bei Neil Young" über dessen Wortkargheit beim Konzert auf der Berliner Waldbühne mokiert. Erst dann richtet erstmals das Wort ans Essener Publikum...
Doch auch wenn nicht viel Raum für Ansagen oder andere Gimmicks bleibt, ist es trotzdem eine Freude, der Band beim Entdecken der Möglichkeiten zuzusehen. Immer wieder huscht den Musikern ein Lächeln übers Gesicht, wenn etwas genau so funktioniert wie geprobt oder sich heimlich doch noch spontan neue Ideen einschleichen. Überhaupt ist der Abend von einer schwer in Worte zu fassenden Neugier geprägt, die man bei einer Band, die es nun schon 30 Jahre gibt, in dieser Form eigentlich nicht (mehr) erwarten würde. Herrlich zum Beispiel, wie Quentmeier mitten im Set von ihren Keyboards aufsteht, um den mit allerhand Tand ausstaffierten Notenständer, den Liwa vor sich aufgebaut hat, näher unter die Lupe zu nehmen. "Ist was?", fragt er verdutzt, doch sie antwortet lediglich: "Ich wollte nur mal gucken!"
Dennoch: Während sich auf dem neuen Album die Liwa-Alleingänge und die Band-Nummern noch abwechseln, gibt es in Essen 100% Flowerpornoes. So werden selbst aus solistischen Banjo-Stücken des neuen Albums wie "Hayonedop" auf der Bühne echte, bisweilen fast schon psychedelisch angehauchte Bandnummern mit Stromgitarre, und auch die wenigen Rückgriffe auf Liwas Solo-Oeuvre wie "Für die linke Spur zu langsam" oder "Stunde des Zweifels" werden effektiv dem aktuellen Sound des Quartetts angepasst. Für dessen Bandbreite sind die beiden Coverversion exemplarisch, die das Konzert eröffnen, bzw. beenden. Los geht es mit Bob Marleys "Is This Love?", und als Rausschmeißer gibt es - kein Witz! - "My Generation" von The Who, oder anders gesagt: Von abgehangen-relaxt bis aufbrausend-rifflastig, von sanft reggaefizierter Gelassenheit bis zu power-poppiger Durchschlagskraft ist 2015 bei den Flowerpornoes alles dabei. Dass die meisten Songs des Programms vom neuen Album stammen, macht übrigens gar nichts. Warum sollte die Band ihre alten Hits spielen, wenn sie auch neue hat?
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Krefeld, Kulturrampe, 01.12.2015
Wer hätte gedacht, dass es an einem Dienstagabend in Krefeld voller werden würde als an einem Freitagabend in Essen? Die Band ganz sicher nicht, anders ist es zumindest nicht zu erklären, dass Liwa während des Konzerts Keyboarderin Quentmeier auffordert, ihn doch bitte bei nächster Gelegenheit im Proberaum daran zu erinnern, Krefeld wieder mit einer Stecknadel auf der Landkarte zu markieren. Die Seidenstadt ist also für die Flowerpornoes wieder eine Reise wert!
Der Auftritt in der drangvollen Kulturrampe ist aber nicht nur wegen des Publikums ausgezeichnet. Das Konzert im Grend ist zwar keine zwei Wochen her und die Setlist praktisch unverändert (nur ganz am Anfang mit einem 20-minütigen (!) Märchen und bei der Zugabe gibt es etwas Bewegung und "My Generation" wird gegen eine brillante Version des verlorenen Klassikers "Gelogen" ausgetauscht), trotzdem erleben wir hier eine ganz andere Band. Die in der Zwischenzeit gemeinsam auf der Autobahn, auf der Bühne und bei Aftershowpartys verbrachten Tage haben ihre Spuren hinterlassen. Gab es in Essen noch ein vorsichtiges Abtasten, präsentieren die vier in Krefeld blindes Verständnis, und es bleibt auch noch Zeit für ein bisschen Klamauk: ein neuer, funky Riff am Anfang von "Saving Grace", ein paar mehr lachend gebrüllte als gesungene Worte bei "Linke Spur", viele Ad-Libs, ein paar merklich längere Soli (mit Abstechern zu Marleys "Get Up, Stand Up", CSN&Ys "Déja-vù" und Coltranes "A Love Supreme") und ein augenzwinkerndes Reggae-Ende bei "Eng in meinem Leben", ganz zu schweigen von einem fast durchweg höheren Tempo und einem willkommenen Rock'n'Roll-Feeling, das sich bei vielen Liedern einschlich.
Doch nicht nur Liwa ist merklich lockerer als in Essen. Sogar Bassist Steinebach gibt in einigen Momenten seine Reserviertheit auf, wenn er bei der Zeile zum freihändigen Fahrradfahren in "Falsch bei Neil Young" mit den Armen rudert oder bei "Wir sind die Beatles" sogar ganz uncharakteristisch eine (einzige) Zeile mitsingt, übrigens ausgerechnet "Wir haben alle Schwimmen gelernt, im Pool mit Brian Jones"! Das Prädikat "außergewöhnlich" verdient sich allerdings das komplette Konzert in der Kulturrampe.
Düsseldorf, BiBaBuZe, 18.12.1015
Tom Liwa mag die Festtage. "'Frohe Weihnachten' sage ich einfach sehr gerne", gesteht er. "Es gibt Sätze, die gehen mir schwerer raus." Vielleicht auch deshalb spielt er mit seiner unnachahmlichen Mischung aus "jugendlicher Gefahr und fahrlässiger Altersweisheit" (augenzwinkernde Selbstbeschreibung) kurz vor dem Fest in Bielefeld und in Düsseldorf solo und akustisch noch zwei Konzerte ohne die Flowerpornoes. Gerade in der Landeshauptstadt wird es bei Liwas Auftritt in der Buchhandlung BiBaBuZe richtig heimelig. Bisweilen vielleicht sogar etwas zu heimelig, denn nicht nur das Inventar lässt den Duisburger Troubadour zu Beginn etwas unkonzentriert erscheinen ("Die Bücher machen mich ganz kirre", murmelt er vor der Show), auch seine Border Collie-Hündin Emmi lenkt die Aufmerksamkeit von Protagonist und Publikum immer wieder auf sich - offensichtlich sind ihr die Auftritte auf dem Cover des aktuellen Flowerpornoes-Albums und auf den dazugehörigen Promofotos noch nicht genug Öffentlichkeit gewesen.
Sobald sich die anfängliche Unruhe gelegt hat, wird es allerdings ein richtig schöner Abend, oder wie Liwa ganz am Ende selbst sagt: "Ich selber hatte großen Spaß." Obwohl es keine Setlist gibt, orientiert sich das Programm eng an den Bandauftritten. So erzählt auch in Düsseldorf am Anfang wieder das lange Märchen, bevor Bob Marleys "Is This Love?" den musikalischen Teil eröffnet. Trotzdem ist der Auftritt natürlich mehr als nur Flowerpornoes light. Mit "Krähen zählen" und "Dein Wille geschehe" gibt es willkommene Rückgriffe auf das großartige "Goldrausch"-Album, die im Bandkontext bislang fehlten, und kurz vor Ende geht es mit "Gib ihnen was sie wollen" sogar mehr als 15 Jahre zurück. Bei den schon mit den Flowerpornoes gespielten Liedern verschiebt sich derweil der Fokus vom Sound auf die Texte, und einmal mehr wird klar, wie einzigartig die klugen Momentbeschreibungen Liwas in der deutschsprachigen (Rock-)Musik sind. Das Publikum hört gebannt zu.
Doch Liwa ist nicht ganz allein nach Düsseldorf gekommen. Das i-Tüpfelchen ist der Gastauftritt von Willi Kissmer, einst Gitarrist der Duisburger Krautrockband Bröselmaschine, weltweit ausgestellter Maler und nicht zuletzt auch Liwas alter Gitarrenlehrer, der seinen alten Schützling bei drei Songs an der Stromgitarre begleitet. Ohne große Proben vorher haben die Stücke zwar ein paar Ecken und Kanten, dennoch ergänzen sich die gedeckten Farben von Liwas Songs und das flüssig elegante Spiel Kissmers, das in diesem Zusammenhang ein bisschen an Mark Knopfler und Eric Clapton erinnert, ganz hervorragend. Abgesehen davon ist es immer wieder eine Freude, wenn das fantastische "Eh egal" aus Liwas heimlichem Meisterwerk "Komm Jupiter" im Programm ist.
Am Ende ist das Publikum so begeistert, dass noch eine ungeplante zweite Zugabe hermuss. Liwa beendet den Abend, wie er angefangen hat, mit einem Bob Marley-Cover: Mit "Redemption Song" entlässt er sein Publikum in die Freitagnacht.
Nächste Station: Dortmund, Subrosa, 08.01.2016
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Surfempfehlung:
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Text: -Carsten Wohlfeld- Foto: -Carsten Wohlfeld-
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