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Konzert-Bericht
 
Peace, Love, Rock'n'Roll

Static Roots Festival

Oberhausen, Zentrum Altenberg
09.06.2017/ 10.06.2017

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Danny & The Champions Of The World
Wieso eigentlich gibt es bei uns - anders als z.B. in den Niederlanden - kein Festival für Freunde handgemachter Roots-Musik bzw. warum sollen sich diese auf anderen Festivals "ihre Musik" mit allerlei unpassenden anderen Stilrichtungen teilen? Diese Frage stellte sich auch irgendwann Dietmar Leibecke, seines Zeichens selbst ein Fan dieser Musikgattung und auch als Konzertveranstalter diesbezüglich tätig. Also beschloss er bereits im letzten Jahr, es mal mit so etwas zu versuchen und startete - in Kombination mit einer Spendenorganisation für "Ärzte ohne Grenzen" (die auch in diesem Jahr fortgesetzt wurde) - das Static Roots Festival. Der internationale Zuspruch von der Presse, den beteiligten Musikern und natürlich der begeisterten Fans führte dazu, dass die Veranstaltung in diesem Jahr nun in die zweite Runde ging. An zwei Tagen präsentierten neun Acts im verkehrsgünstig gelegenen Zentrum Altenberg in Oberhausen ihre Songs dem - wiederum sehr international besetzten - "Fachpublikum".
Das Ganze muss man sich als Musikliebhaber zunächst mal sehr viel entspannter, familiärer und zugänglicher vorstellen, als "normale" Festivals. Denn hier kommt man ganz ohne die von Veranstaltungen dieser Art gewohnten Schikanen aus, sondern setzt eben bewusst auf "Piece, Love und Rock'n'Roll", wie es im Festival-Motto heißt. Ein Biergarten, ein mobiles Café und eine Burger-Bude, bei der es sogar einen "Static Roots Festival-Burger" zu erstehen gab, sorgten für die kulinarische Versorgung und dafür, dass sich auch sämtliche Musiker im lockeren Umeinander direkt mit den Fans auseinandersetzen konnten. Berührungsängste wurden also schon mal abgebaut. Durch das Programm führte dann - wie im letzten Jahr - Jeff Robson, ein kanadischer Fachmann in Sachen Americana, der im heimatlichen Winnipeg die Radiosendung "Tell The Band To Go Home" auf UMFM betreibt. Da Festivalplaner Dietmar aus eigener Erfahrung weiß, wie schnell man im Bereich Americana und Roots-Rock mit Klischees konfrontiert wird, hatte er darauf geachtet, Acts aus unterschiedlichsten Spielarten des Genres miteinander zu kombinieren, so dass am Ende eine in diesem Bereich eher ungewöhnliche Bandbreite an musikalischen Stilen und Stimmungen vertreten war.

Die Sache begann am Freitag gegen 19 Uhr mit einem Auftritt des Songwriter-Veteranen David Corley. "Veteran" ist im diesem Zusammenhang nicht unbedingt auf die musikalische Laufbahn Corleys zu beziehen, sondern auf das, was er in seinem Leben so alles durchgemacht hat. Der Mann aus Indiana blickte nämlich auf ein erfülltes Arbeitsleben, als Troubadour, eine Zeit als Einsiedler, und einen Herzinfarkt im Alter von 40 Jahren zurück, bevor er dann mit 53 sein Debüt-Album "Available Light" veröffentlichte, und nun seine zweite CD "Zero Hour" folgt, die - so Jeff Robson - noch eindringlicher geraten sei, als das Debüt. Das nimmt kein Wunder, denn David Corley sieht und hört man das, was er durchgemacht durchaus an - was zweifelsohne dazu führt, dass er seine Songs absolut glaubwürdig und authentisch darzubieten weiß. Unterstützt wurde er bei dieser Show von Brian Hassett und Cian Hefferman (der Rhythmusgruppe der Rats) und von seinem Songwriter-Kollegen Chris Brown. Das war dann klassisches, bodenständiges Songwriter-Kino, wie es einfach nur aus dem Herzland der USA kommen kann und was keiner großen Geste bedurfte.

Der in Neuseeland geborene Brite Peter Bruntnell wurde bereits 2013 von seinem Label Loose Music mit einer Retrospektive geehrt, die auf seine bis dato erschienenen zehn Alben einging. Seit letztem Jahr ist bei uns auch sein letzten Album "Nos Da Comrade" erhältlich (ein neues ist in Planung - es sind aber erst sieben Songs fertig). Dennoch hatte es Bruntnell bislang nicht geschafft, in Deutschland mit seiner Band aufzutreten. Da den Mann mit Sicherheit auch niemand auf dem Schirm hatte, darf dieser als eine Art Überraschungsgast gegolten haben - zumal sich Bruntnells Stil auch nicht wirklich als Americana-Musik bezeichnen ließe. Ganz im Gegenteil: Gerade in der zweiten Hälfte der Show schlichen sich da Beatles-ähnliche Melodien, BritPop-Hooklines, Beat-Grooves und ein paar psychedelische Momente ein, die daran erinnerte, dass man Roots-Rock auf viele verschiedene Arten ausleben kann. Bruntnell gefällt als Performer durch eine gewisse stoische No-Nonsense-Art, bei der er zwar seine Musik durchaus ernst nimmt - nicht aber unbedingt sich selbst, was ihn als Performer einfach sympathisch macht.

John Blek & The Rats waren auch beim letzten Static Roots Festival schon mit an Bord. Zwar spielte dieses Mal die Keyboarderin Anna Mitchell - selbst Songwriterin in eigener Sache - kein eigenes Set, ansonsten aber wird durchaus erwogen, das Auftreten von John O'Connor und seinen Musikern zu einer festen Größe im Static Roots-Universum zu machen. "Alle die draußen sind, sollen jetzt verdammt noch mal hereinkommen", forderte John das Publikum auf, bevor es dann mit einem regelgerechten, gälisch geprägten Folk-Pop-Hootenanny mit hohem Bewegungspotential weiter ging. John Blek & The Rats schafften es jedenfalls erstmals, die Zuschauer zum Tanzen zu bewegen. Mehr noch: Sich seiner Verantwortung auf einem Americana-Festival wohl durchaus bewusst, stimmte John Neil Youngs "Don't Let It Bring You Down" an - was dann aber durchaus mit einer eigenen, leichtfüßigen Note garniert wurde. Insgesamt erfreuten John und seine Ratten aber durch einen betont gutgelaunten, leichtfüßigen Irish-Soul-Folk-Mix, der sich ebenfalls angenehm von typischen US-Manierismen absetzte.

Nadine Khouri, die mit ihrer Band - aber ohne Bassist - am zweiten Tag den Reigen eröffnete, passte vielleicht am wenigsten zur Vorstellung, die man sich von einem Roots-Rock-Act macht. Weniger, weil sie libanesisch-britische Wurzeln hat, nun wirklich überhaupt keine Rockmusik macht und nicht ein Mal Storytelling-Folk zu bieten hat, sondern weil ihre Songs von einem ganz anderen Ort herzustammen scheinen, als die ihrer Kolleg(inn)en. Jeff Robson versuchte das so in Worte zu fassen, dass Nadines Musik eine traumähnliche Stimmung zu evozieren scheine. Das traf es aber nicht ganz, denn obwohl Nadine als Komponistin dazu neigt, auf eher flachen Songstrukturen aufzusetzen, in denen viel Raum für lyrische Entfaltung bleibt, kommt ihre Kunst nicht körperlos daher. Tatsächlich schaffte sie es aber - mit betont sanftmütiger Stimme, zuweilen recht kantiger E-Gitarre und den Beiträgen ihrer Geigerin Basia Bartz - bei dieser Show mehr Emotionen in Töne zu packen als es manche Musiker in ihrer gesamten Karriere vermögen. Und das - wie gesagt - ohne eigentliche Geschichten, denen man hätte folgen können und ohne konventionelle Strophe/Refrain-Songschemata. Dafür aber mit so abenteuerlichen Beiträgen wie z.B. durch die Geige gesungenen Engelschören. Wunderschön, das.

Das Trio The Lost Wages des Kanadiers Jack Marks entsprach dann schon eher den Vorstellungen, die man sich von einer traditionellen Americana-Kapelle macht. In der Tat erinnerte das Setup - mit Jack Marks an der Gitarre, einem schlaksigen Bassisten im Flanellhemd und einer aparten Steh-Drummerin auf der linken Bühnenhälfte - an einen Showcase bei einer Prairie Hometown Companion Radio-Show. Dazu passte auch die Musik, die sich Marks ausgesucht hat - ein betont gutgelauntes, humorvolles Country-Honky-Tonk-Retro-Setting mit dezenten Rock'n'Roll-Ansätzen. Das lavierte dann allerdings fast am Rande der Parodie herum, auch wenn es ganz nett anzusehen und zu -hören war. Man man fragt sich aber doch, wieso gerade die Kanadier zuweilen unbedingt US-amerikanischer sein wollen, als ihre südlichen Nachbarn, wenn es um das Ausloten klassischer Musikformen geht.

Auch Erin Rae McKaskle und ihre Band The Meanwhiles widmen sich einer klassischen US-Musikform - der gepflegten Country-Ballade nämlich. Die aus Tennessee stammende Erin lebt aber auch Nashville und ist damit sozusagen fast genetisch gezwungen, sich dieser Musikform zu widmen. Allerdings muss doch angeführt werden, dass im bei diesem Deutschland-Debüt im Live-Setting - ohne Bassisten und ohne Country-Zutaten wie Fiddle oder Steel-Gitarre - der Folk-Aspekt ihres Tuns weit deutlicher in den Vordergrund tritt, als die Country-Roots. Erin Rae präsentiert ihre persönlich gefärbten Songs über "childhood obsessions with the great oppression" oder Familienzusammenkünfte in "Monticello" mit einer zu Herzen gehenden Intensität, die die eh schon tragende Wirkung ihrer samtweichen, raumfüllenden Gesangsstimme im Zusammenspiel mit den filigranen Gitarrenfiguren ihres Gitarristen Mark Sloan effektiv unterstützte - auch wenn sie dabei unnötig viele Grimassen zu schneiden scheint. Diese werden jenseits der Bühne übrigens durch ein freundliches Lächeln ersetzt und scheinen eher "bühnenbedingt" zu sein.

Den Engländer David Ford entdeckte Dietmar Leibecke auf einer Hochzeitsfeier in Schottland, wo seine Musik eine wichtige Rolle in der Zeremonie spielte. Ford ist einer dieser Künstler, die aus irgendwelchen Gründen durch die Maschen der öffentlichen Wahrnehmung gefallen sind. An seiner Musik kann es nicht wirklich liegen. Seit 2005 veröffentlicht er seine Songs (seine Debüt-Scheibe "I Honestly Apologize For All The Trouble I've Caused" gab es z.B. als Vinyl beim Festival zu erstehen) und ist seither auch ständig live unterwegs. Dabei präsentiert sich Ford mit Gitarre, Piano, Sampler und diversen Percussion-Instrumenten als eine Art Ein-Mann-Band und baut seine Songs ergo vor dem Publikum von der Basis her schichtweise auf. Eine solche Arbeitsweise ist ja heutzutage nicht mehr ganz ungewöhnlich - außer vielleicht in Davids Setting, denn er hat sich dem klassischen Storytelling Folkpop verschrieben - was die Sache dann schon wieder hinreichend exotisch erscheinen ließ. Witzigerweise war David dann derjenige Act, der am längsten brauchte, sein umfangreiches Instrumentarium auf- und abzubauen.

Torpus & The Art Directors sind eigentlich auch keine klassische Roots-Band, passen aber mit ihrem gut gelaunten, eigenwilligen Indie-Dance-Rock-Ansatz gut auf jede Art von Festival. Vielleicht deswegen hätten sie eigentlich schon im letzten Jahr spielen sollen - dieses Mal jedenfalls, hatte es dann geklappt. Zwar hatte Gitarrist Melf Petersen zu Hause bleiben und die Band kurzfristig das Material noch mal ohne ihn proben müssen - das war jedoch beim besten Willen nicht herauszuhören. Denn das, was vielleicht an Manpower gefehlt haben mochte, machten Sönke Torpus und seine Kunst-Regisseure durch Spielfreude, Intensität und ansteckende Begeisterung für ihr tun wieder wett. Dass Jeff Robson die Band als "Tanzkapelle" ankündigte, mag man ihm nachsehen, denn obwohl es bei Torpus & The Art Directors nicht vornehmlich um das Schwingen des Tanzbeines geht (zuweilen klingen sie gar meditativ wie Van Morrison in seinen besten Momenten oder auch mal abrasiv wie eine Garagenband), ist der Partyfaktor doch keineswegs ausgeschlossen. Was auch daran liegen mag, dass die Jungs (und Bassistin Jenny Apelmo) so sympathisch unproblematisch rüberkommen.

Das ist bei Danny & The Champions Of The World schon etwas anders. Zumindest auf der professionellen Ebene. Denn da brach in der Umbaupause eine konzentrierte Hektik aus, bis alle Instrumente des Sextetts dann auch richtig verstöpselt waren. Kaum zu glauben: Aber die Combo aus London hatte zuvor schon mal in Dietmars Wohnzimmer gespielt. Im Zentrum Altenberg gab es aber zum Glück genügend Platz für all diejenigen, die - nach dem obligatorischen Gruppenfoto, bei dem alle Festivalbesucher, die das wollten, auf einem gemeinsamen Foto abgelichtet worden waren - noch Lust hatten, das Tanzbein zu schwingen. Und das waren eine ganze Menge und es war auch gut so, denn Danny George Wilson selbst lud mehrmals ausdrücklich zum Tanzen ein. Das neue Album der Band - ein mehrscheibiges Epos namens "Brilliant Light" - war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erschienen, trotzdem ließen es Danny & Co. sich nicht nehmen, mehrere der epischen neuen Tracks live aufzuführen. Während auf der Scheibe dieses Mal soulige Bläsersätze dominierten, konzentrierte sich die Band hier eher auf die Gitarrenarbeit insbesondere von Paul Lush und die Beiträge des neuen Keyboarders Geoff Widdowson, der auch gelegentlich zum Saxophon griff. Trotz der in Oberhausen nicht präsenten Bläsersätze beschworen Danny und seine Champs hier soundmäßig die seligen 70er dies- und jenseits des Atlantik hervor - inklusive deutlicher Referenzen an die angestrebten Idole aus jener Zeit. Das Publikum begeistert dieses bis hin zur angedeuteten Extase. Und das ist ja gemeinhin das Wichtigste.

Fazit: Mit dem Static Roots Festival ist das Kunststück geglückt, einerseits eine Heimstatt für all jene zu schaffen, die an handgemachter, bodenständiger, zeitloser Musik interessiert sind - und die von der restlichen Festival-Strategie eher links liegen gelassen werden, andererseits aber auch musikalisch Ausrufezeichen zu setzen, indem nämlich die eigentlich engen Genre-Regeln zugunsten persönlicher Vorlieben und menschlicher Connections insofern ignoriert wurden, als dass eine Vielzahl musikalischer Stimmungen und Zielrichtungen geboten werden. Und das dann auch noch Ärtze ohne Grenzen unterstützt wird, macht die Sache auch moralisch trittsicher. Bitte weiter so und mehr davon.

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Surfempfehlung:
staticrootsfestival.com
www.facebook.com/StaticRootsFestival
www.aerzte-ohne-grenzen.de
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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