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Konzert-Bericht
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Zwischen Topf und Bühne
Anchor Award
Hamburg, Reeperbahn 20.09.2017/ 21.09.2017/ 22.09.2017
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Erstmals auf dem letztjährigen Reeperbahn Festival ins Leben gerufen, stellt der Anchor Award im Kanon der zahlreichen Preise, die ansonsten jährlich auf dem Festival vergeben werden (Helga Award, Music Film Contest, Journalism Award, VUT) insofern eine Ausnahme dar, als dass es hierbei tatsächlich um die Live-Musik geht, die ja nun mal den Kern der ganzen Sache ausmacht. Die Idee ist dabei ebenso reizvoll wie innovativ: Eine illuster besetzte Fachjury aus Musikerkollegen besucht im Laufe des Festivals die Konzerte einer Riege von nominierten Newcomer-Acts (bzw. Acts, die noch nicht im Rahmen der Industrialisierung des Business etabliert sind), die im Rahmen des Festivals auf ganz normalen, öffentlich zugänglichen Konzerten - sozusagen in ihrer natürlichen Umgebung - live auftreten und wählt dann daraus einen "Gewinner". "Gewinner" ist hierbei in Anführungszeichen gesetzt, weil die Musik per se natürlich prinzipiell nicht wirklich auf dem Konkurrenzgedanken als treibender Kraft aufsetzt. Der Gedanke ist dabei, den Gewinnern auf diese Weise einen Popularitäts-Boost zu verleihen, der ihr Bestreben auf konstruktive Weise unterstützen soll. Im letzten Jahr ging mit der Preisverleihung an Albin Lee Meldau diese Idee insofern auf, als dass der Mann seither gut beschäftigt auf den Bühnen der Welt unterwegs ist. Dass das auch in diesem Jahr wieder der Fall sein wird, steht außer Frage.
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Das tat es eigentlich bereits auch schon vor der Veranstaltung, denn die Besetzung der internationalen Jury mit Valeska Steiner und Sonja Glass von Boy, Shirley Manson von Garbage, Emily Haines von Metric (die zugleich als Botschafterin des diesjährigen Partnerlandes Kanada fungierte) aus der Musiker-Riege sowie BBC-Redakteur Huw Stephens und natürlich der Produzentenlegende Tony Visconti (der bereits im letzten Jahr der Jury angehörte) ließ von Anfang an vermuten, dass hier nach fairen und musikalisch relevanten Kategorien geurteilt werden würde. Die Präsentation der Jury und der Nominierten fand dieses Mal im Rahmen der offiziellen Festival-Eröffnung im Schmidtchen-Theater am Spielbudenplatz statt und wurde von Ray Cokes moderiert, der dieses Jahr nicht selbst in der Jury saß. Wie im letzten Jahr auch schon, war die Riege der Nominierten auch dieses Mal wieder stilistisch breit gefächert. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist dann der, dass stilistisches Dünkeldenken keine Rolle bei der Vergabe des Preises spielen kann - während auf der anderen Seite auch keine direkte Vergleichbarkeit anhand musikalischer Kriterien gegeben ist und man sich als Juror so ganz auf die Performance-Aspekte konzentrieren kann.
Nominiert waren: Matt Maltese, ein junger Piano-Man und Songwriter aus London, Jade Bird, seine noch jüngere Songwriter-Kollegin von ebendort, Fenne Lily, die wie Matt und Jade aus England - allerdings aus Bristol - stammt, Alice Merton, deren Herkunft mit Wurzeln in Deutschland, Kanada, England und den USA so kompliziert ist, dass sie dieses in ihrem aktuellen Hit "No Roots" thematisierte, das harte Rock-Trio (um es gegen den Begriff Hardrock abzugrenzen) Pabst aus Berlin, Joseph L. Jones, die neueste Soul-Pop-Sensation aus dem United Kingdom - der sich sogar nicht für Gospel-Sounds zu schade ist, das Synthie Pop Duo First Hate aus Kopenhagen, das trotz des unpassenden Namens eher versöhnliche Töne anschlägt und schließlich - als Vertreter der Kanadischen Fraktion - das Kleinorchester Fast Romantics aus Toronto, das mit seinem Americana-Mix schon seit einiger Zeit erfolgreich auf den Spuren anderer Kanadischer Kommunal-Bands wandelt.
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Langer Rede kurzer Sinn: Trotz der sorgsam ausgewogenen Besetzung der Nominierungsliste war die Sache am Ende ziemlich unfair. Denn gegen die Gewinnerin des diesjährigen Anchor - Jade Bird - hatten die anderen Kontestanten schlicht keine Chancen. Denn obwohl sich darunter solche virtuosen Live-Granaten wie zum Beispiel Alice Merton oder die Fast Romantics befanden, schaffte es Jade (anders als zum Beispiel ihre eher schüchtern und zurückhaltend agierende Kollegin Fenne Lily, die mit einem ähnlichen Konzept antrat) alleine mit ihrer Bühnenpräsenz, ihrer beiläufig virtuos gehandhabten akustischen Gitarre, ihrer Mörderstimme (die in geeigneten Momenten an Janis Joplin auf Speed erinnert), ihrer mitreißenden und humorvollen Performance und ihren grandiosen, selbstgeschriebenen Songs das Publikum und die Jury mühelos für sich einzunehmen. Warum? Weil es ihr im zarten Alter von 19 Jahren gelingt, eine konsensfähige, generationenübergreifende Aura der unaffektierten Altersweisheit zu verbreiten, die selbst altgediente Profis ansonsten schon mal vermissen lassen. Dabei macht sie gar nichts Besonderes: In einem Setting zwischen Blues, Folk, Pop und ein wenig Country und Gospel - allesamt orientiert an der von ihr bevorzugten US-amerikanischen Ausrichtung (weil sie diese einfach cooler findet) - schreibt sie einen Instant-Klassiker nach dem anderen und erfüllt diesen auf der Bühne mit einem sympathisch mitreißenden Eigenleben. Woran das liegt, kann sie selber nicht so genau sagen; vermutet aber, dass es daher rühren könne, dass sie viel gereist ist und aus einer Familie stammt, in der sowohl die Eltern wie die Großeltern sich getrennt haben. Sei es drum: Jade Bird ist mit Sicherheit DER kommende Star der Songwriter-Szene und somit zweifelsohne die richtige Wahl für den Gewinn des Anchor Awards. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass auch die anderen Nominierten sich ordentlich Mühe gaben und zu überzeugen wussten. Und einige - wie etwa Matt Maltese oder Alice Merton - ließen es sich (wie Jade Bird selbst) auch nicht nehmen, mehrfach auf dem Festival aufzutreten.
Ein besonderes Bonbon sollte nicht unerwähnt bleiben. Auf der Eröffungsveranstaltung präsentiert wurde ebenfalls das neue Projekt des Reeperbahn Festival-Guerillas Matthias Arfmann (der im Vorjahr mit seinem Ballet Jeunesse bereits für Furore sorgte). Es ging um das Prinzip Cook'n'Dub, das Arfmann mit seinem Turtle Bay Country Club initiierte. Dabei ging es darum, dass die Band (zu der auch der ehemalige James Brown-Drummer Tony Cook gehörte - was dem Namen des Projektes dann noch mal eine ganz neue Dimension verlieh) einige Live-Tracks aufführte und dazu der Spitzenkoch Stevan Paul auf der Bühne zu dieser Musik ein Gericht kreierte, das am Ende dann dem Publikum kredenzt wurde. Zwar funktionierte der Ansatz, Kochgeräusche als Bestandteil der Musik zu integrieren, nicht so richtig und auch das Popcorn auf dem veganen Gemüse-Burger, den Paul kreierte, irritierte ein wenig - aber als innovatives Entertainment-Konzept überzeugte das Ganze dann doch schon...
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Surfempfehlung:
www.anchor-award.com
www.facebook.com/ANCHORAward/ www.reeperbahnfestival.com www.facebook.com/reeperbahnfestival
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Text: -Ullrich Maurer- Foto: -Ullrich Maurer-
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