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Konzert-Bericht
 
Bettgeflüster

Senora May

Solingen, Valve Studios
26.10.2019

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Senora May
"In einem normalen Bett kannst du vor deinen Problemen nicht davonrollen", meinte Senora May bei ihrem ersten Konzert als Headlinerin auf europäischem Boden im malerischen Solingen. Zuvor war die Gattin des US-Barden Tyler Childers nämlich nur privat durch Europa getrampt und hatte dabei bestenfalls für Benzingeld gespielt. Nunmehr hatte sich der Solinger Musik-Tycoon Guido Ocker des Problems angenommen und Senora anlässlich der Veröffentlichung ihres Debütalbums "Lainhart" für einen einzigen Auftritt in die Klingenstadt Solingen gelockt. Am Tag zuvor hatte er ihr dann schon die Sehenswürdigkeiten und Eigenarten der kreisfreien Halbmetropole gezeigt und Senora hatte ihre Verbundenheit durch den Kauf eines Messers und das Flechten ihrer Zöpfe bereits zum Ausdruck gebracht. Eine gewisse Basis für ein Entrée war da also schon mal geschaffen. Notwendig war das allerdings nicht unbedingt, denn - und da kommen wir wieder auf das Eingangs-Zitat zurück - Senora May ist eine wahre Meisterin darin, sich durch ihre Musik, ihre Texte und ihre Geschichten selbst zu erklären und auszudrücken.
In den Songs ihres Debütalbums - und auch in den zahlreichen Tracks, die sich nicht darauf befinden - erzählt sie nämlich freimütig von sich selbst, ihren Lebensumständen, ihren Beobachtungen und ihrer Familie. Aber nicht etwa indem sie einfach Fakten, Daten und Namen aneinander reiht, sondern - und hier zeigt sich die zuvor angesprochene Meisterschaft - indem sie die betreffenden Charaktere und Situationen in einen Kontext einordnet, aus einer ungewöhnlichen Perspektive beobachtet und dann zu eigenwilligen und originellen Schlussfolgerungen kommt. Case in Point zum Beispiel die Sache mit dem Bett: In den USA gelte der Besitz eines übergroßen King-Size-Bettes als Ultima Ratio des Konsumverhaltens. Nur sei die Sache die, dass die übergroßen Betten eigentlich viel zu groß für zwei Leute seien. Wenn man also nicht vorhabe, Spielzeug, Tiere oder Kinder ins Bett mitzunehmen, um die Leere auszufüllen, dann solle man lieber ein normales Bett anstreben - so, wie es ja wohl hierzulande der Fall sei, denn (so die Schlussfolgerung) in einem normalen Bett müsse man sich eben seinen Problemen stellen. Das entsprechende Stück heißt "California King", was damit deutlich macht, dass es natürlich NICHT um einen kalifornischen König geht. Das nur mal als Beispiel für die komplexen, intelligenten Analysen, über die sich Senora so ihren Kopf zerbricht.

Ansonsten erfährt der Zuhörer viel Persönliches in Senoras Songs: "Lainhart", der Titel ihres Albums etwa, bezieht sich auf ihren Mädchennamen, ihre familiären deutschen Wurzeln ("Lainhart" = "Lionheart" = "Löwenherz") und vor allen Dingen ihren jüngeren Bruder, der diesen Namen logischerweise immer noch trägt, und der sich gerade im US-Militär befindet. Diesem Bruder, der als jugendlicher durch seine kreativen Geschäftsideen wie z.B. das Mäuse-Rösten bei der Herstellung von Schlangenfutter auf sich aufmerksam machte, widmete sie nicht nur diesen Track sondern auch "Semper Fi" ("Immer Treu") - das Motto der US-Streitkräfte, das als Rechtfertigung für die charakterbrechende Hirnwäsche herhalten muss, die in der Army üblich ist. Zahlreiche Stücke wie "Elusive", "Country", "Milk & Honey", "Don't Need A Lot" und natürlich "Family Tree" zeigen die Verbundenheit zu ihrer Heimat, ihrer Familie und ihr einfaches, bodenständiges Leben im ländlichen Kentucky im Herzen der Appalachen. Die politischen Gegebenheiten - wie z.B. die Umweltzerstörung oder die Armut in Kentucky - finden eher unterschwellig Eingang in Senoras Geschichten. Andere Stücke wurden dann offensichtlich durch Reisen inspiriert: In "Dogs Of Mexico" erzählt sie von Erlebnissen bei einem Aufenthalt in Mexiko in einem Schuppen, der ausgerechnet "Hotel California" hieß ("Ihr wisst schon - wo man niemals abreisen kann"), während "Bloom" in Australien nach einem Nervenzusammenbruch unter der Dusche entstand. Abgerundet wurde das Programm dann mit ein paar originellen Coverversionen. "Natchez Queen" etwa ist ein Song einer befreundeten Songwriterin, die sich aus dem Business zurückgezogen hat und Beyoncés "No Angel", Emmylous "Kentucky Girl" oder Rilo Kileys "Silver Lining" nahm sie ins Programm auf, weil sie diese Stücke eben selber mag. Dass Senora ihren Vortrag mit weiteren witzigen Anekdoten, humorvollen Interpretationen ihrer Songinhalte ("Da ist eine Menge schmutziges Zeug drin" erklärte sie etwa den Song "Intertwined", den sie geschrieben habe als sie noch richtig jung gewesen sei), einer Portion heilsamer Selbstironie, ein wenig Angeberei und einem leicht spöttischen Geplänkel mit dem Publikum garnierte, machte die Sache dann durchweg unterhaltsam.

Musikalisch kommt dabei zu Pass, dass Senora (wie natürlich auch Hubby Tyler Childers) sich herkunftsbedingt dem Sog von Nashville entziehen konnten und sich musikalisch somit eher an den Folk-Traditionen der Appalachen und weniger dem Country-Tenor der Ostküste verpflichtet fühlen. Dabei gelingt es Senora ihre Stücke betont abwechslungsreich und stilistisch ungebunden in Szene zu setzen - ohne dabei auf Formalismen oder Klischees zurückgreifen zu müssen. Das gilt gleichermaßen für den Live-Vortrag wie auch die LP "Lionheart", die demgegenüber auch durch fülligere Arrangements und originelle Klangideen überzeugt.

Kurzum: Senora May dürfte für viele des anwesenden Kennerpublikums eine jener Songwriterinnen sein, auf die sie schon lange gewartet hatten - ohne davon bisher zu ahnen.

Senora May
NACHGEHAKT BEI: SENORA MAY

GL.de: Du lebst ja im ruralen Teil von Kentucky. Die Herkunft ist dir auch in deinen Songs sehr wichtig, oder?

Senora: Ja, ich lebe zwar im östlichen Teil Kentuckys - aber nicht in Ost-Kentucky, wo es viel mehr Probleme mit der Armut, dem Fracking und der Umweltzerstörung durch Kohleabbau gibt. Wo ich lebe, gibt es noch eine schöne, ländliche Natur. Wir haben noch unberührte Quellen, aus denen wir unser Trinkwasser gewinnen können. Was bei uns auch notwendig ist, weil wir noch keinen Anschluss ans Wassernetz haben und auch noch auf Strom aus Solarpaneelen warten müssen.

GL.de: Die politischen Aspekte sprichst du in deinen Songs aber nicht direkt an?

Senora: Indirekt. Ich finde meine Inspiration eher in meiner Stadt und den Leuten um mich herum. Ich habe eine große Familie. Ich bin eines von sechs Kindern. Ich fühle mich meinen Geschwistern eng verbunden und wir haben all unsere freie Zeit draußen verbracht - mit Jagen, Fischen, Gartenarbeit in unseren großen Gärten. Man kann also sagen, dass die Gemeinschaft, meine Familie und alles, in das ich in Kentucky verwickelt bin, das sind, worüber ich schreibe. Ich schreibe viel über die Natur und die Leute, die ich mag und die mir nah sind und wie meine Familie denkt. Man muss sich ja für andere Leute interessieren.

GL.de: Wie gehst du die Sache denn musikalisch an? Es ist ja erfreulich, dass sich da nicht alles in Conutry-Klischees ergeht und dass sich deine Scheibe anhört, als sei alles spontan entstanden.

Senora: Also ich wollte die Erwartung an meine Live-Performances einfach nicht zu hoch ansetzen. Ich mache ja Fehler, bin noch ganz neu im Geschäft und wollte nicht, dass sich das dann zu poliert anhört. Und die Soundeffekte und Field Recordings, die du auf der Scheibe zu hören bekommst, sind Dinge, an die ich dachte, als ich die Songs schrieb. Ich wollte die Zuhörer auf diese Weise klanglich mit zu den Orten nehmen, an denen ich mich befand - es sollte das Gesamterlebnis werden; also nicht nur Text und Musik. Wir haben das Ganze dann live im Studio aufgenommen. Ich habe dann noch einen Flöten-Track für den "Country"-Song hinzugefügt - weil ich Flöten Spielen gelernt habe - aber eine Menge entstand tatsächlich ziemlich spontan.

GL.de: Was würdest du denn als deine musikalischen Wurzeln bezeichnen? Country-Musik scheint es ja nicht zu sein.

Senora: Ich denke, meine musikalische Basis bestand immer aus dem, was meine Mutter hatte. Das waren aber Indie-Sachen und weibliche Künstlerinnen wie Edie Brickell, Joan Osborne, Tracy Chapman oder Natalie Merchant. Das war die Basis. Bluegrass und Country habe ich dann im Radio gehört und fand das in Bezug auf das Geschichten erzählen interessant. Aber die Welt in der wir leben ist ja mit Genres überfrachtet. Ich höre HipHop, Country, Rock und Folk - und versuche von allem etwas mitzunehmen.

GL.de: Geht es denn auch darum, eine eigene Identität als Musikerin zu finden?

Senora: Das weniger. Denn indem ich keine musikalische Ausbildung genossen habe, sind die Richtlinien für mich ja sowieso freier. Ich habe also keine Erwartungen daran, wie ein Song klingen müsste, sondern ich mache das, was sich richtig anfühlt - auch wenn das nicht das ist, was ich hörte, als ich aufwuchs.

GL.de: Damit sind wir dann ja auch wieder beim Thema "Musik hat ein Eigenleben".

Senora: Ein bisschen ist das ja auch so. Es geht ja auch darum, seine Gefühle herauszulassen und nicht darum, im Voraus auszuarbeiten, was am Besten funktionieren könnte.

GL.de: Was ist denn für dich die größte Herausforderung als Songwriterin?

Senora: Mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten. Denn weil ich eben keine musikalische Ausbildung habe, sondern mir vieles selbst beigebracht habe, fehlt mir oft die Terminologie, mittels derer ich mich mit anderen austauschen könnte. Daran muss ich noch arbeiten.

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Surfempfehlung:
senoramaymusic.com
www.facebook.com/senoramaymusic
www.youtube.com/watch?v=K9-i3RiWwcg
www.youtube.com/watch?v=NUnZ0NQUz9A
Text: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-


 
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