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Konzert-Bericht
 
"If God is love, then let's make more God!"

Ken Stringfellow

Amsterdam, Paradiso/ Hamburg, Tanzhalle St. Pauli
29.03.2002/ 30.03.2002
Ken Stringfellow
Vier Tage. Vier Länder. Vier Shows. Mehr Zeit hatte Ken Stringfellow nicht für seine diesjährige Frühjahrstournee in Europa, aber das ist eigentlich auch nicht weiter verwunderlich, immerhin ist er derzeit nicht nur damit beschäftigt, sein großartiges Album "Touched", das letzten Herbst auf Poptones erschien, zu promoten, sondern er ist auch weiterhin bei The Posies, Big Star, R.E.M. und als Produzent schwer im Geschäft. Nach einer - dem Vernehmen nach - grandiosen Show zum Tourauftakt in Dublin folgte ein wenig berauschender Abend in Glasgow, und als Ken am Karfreitagmorgen in Amsterdam eintraf, hatte er praktisch noch nicht geschlafen, und wer weiß, wie der Tag geendet hätte, wenn er nicht bis 18.00 Uhr Zeit gehabt hätte, eine Mütze voll Schlaf zu nehmen.
Als er jedenfalls am Paradiso zum Soundcheck eintraf, war er bestens gelaunt und freute sich riesig, in dem legendären Venue - einer zum Konzertsaal umfunktionierten alten Kirche - auftreten zu dürfen. Der 900 Menschen fassende Saal war für den Abend zum Nachtclub umfunktioniert worden, mit Tischen und Stühlen und einer winzigen Bühne vor einem schweren roten Samtvorhang, die genau das richtige Ambiente schufen für Kens semi-depressive Soloperformance. Als er um kurz vor halb zehn die Bühne betrat, lag zwar die Setlist mit seinem üblichen 70-Minuten-Programm vor ihm, doch schnell zeigte sich, daß an diesem Abend vieles anders sein sollte als sonst. Denn der Mann aus Seattle - der bei der dritten Europa-Tournee innerhalb von acht Monaten übrigens auch mit der dritten Haarfarbe, dieses Mal pechschwarz, angetreten war - begann den Abend zwar wie gewohnt mit "Your Love Won't Be Denied", spielte den Song aus seinem ersten Soloalbum "This Sounds Like Goodbye" allerdings kurzerhand auf der Gitarre und nicht wie üblich am Klavier. Daß er aber gerade am Piano immer besser wird, bewies er gleich anschließend mit zwei der schönsten "Touched"-Songs, "This One's On You" und seinem vielleicht besten Stück überhaupt, "Reveal Love", die er mit so viel Leidenschaft und Inbrunst spielte, als habe er sie erst gestern geschrieben. Kurz danach meinte er: "Ich fühle mich heute so feierlich", und das war für ihn anscheinend Grund genug, den Solokünstler Ken Stringfellow für einige Zeit von der Bühne zu jagen und Ken Posie aus der Versenkung zu holen. Darf sich das Publikum in der Regel glücklich schätzen, wenn Ken ein, zwei Songs seiner legendären ersten Band bei seinen Soloauftritten spielt (zumeist als Zugabe), gönnte er uns an diesem Abend gleich vier hintereinander. Der größte "Schocker" dabei war sicherlich die beängstigend perfekte Fassung von "Pay You Back In Time", einem neun Jahre alten, nur als Demo existenten Song, der im Paradiso seine Livepremiere (!) erlebte. Daß die seltenen Pianoversionen von "Everybody Is A Fucking Liar", "The Certainty" und "Love Letter Boxes" bewiesen, daß sich hinter den grungigen Posies-Arrangements auch schon Mitte der 90er große Singer/Songwriter-Kunst verbarg, war allerdings kaum weniger überraschend. Das großartige Soulstück "The Lover's Hymn" inspirierte Ken zu einem langen Monolog über Gott und Liebe im Allgemeinen und Religiosität und Sex im Speziellen, und er stellte den Rest des Abends unter das Motto: "If God is love, then let's make more God!" Eigentlich wäre er rein zeitlich an diesem Punkt mit seinem regulären Programm bereits durch gewesen, aber anstatt die Bühne zu verlassen, meinte er nur spitzbübisch: "Okay, I'll start fucking around now!" Und als wolle er unterstreichen, daß der offizielle Teil des Abends nun beendet sei, spielte er den Beach-Boys-Song "Good Timin'", für gewöhnlich die erste Zugabe. Aber natürlich war noch lange nicht Schluß, denn Ken war gerade erst richtig auf Betriebstemperatur gekommen und beschloß, noch sein gesamtes Coverversionen-Repertoire zum Besten zu geben: "Baby Plays Around" von Elvis Costello in einer fast schon kitschig zu nennenden Crooner-Version, ein energiegeladenes "Girl Don't Tell Me" (The Beach Boys) oder den Henry-Mancini-Klassiker "Moon River"! Und es ging munter weiter, denn nach einer herzergreifend schönen Version des Stevie-Wonder-Hits "Knocks Me Off My Feet" und einem weiteren perfekt gespielten Beach-Boys-Favorite ("God Only Knows") holte Ken sogar, per Zuruf aus dem Publikum, einen Song von - ausgerechnet! - Heart aus der Versenkung, nämlich "Dog & Butterfly". Doch selbst nachdem er seine eigene Hymne "Here's To The Future" (diesmal nicht auf der Gitarre, sondern am Klavier) gespielt hatte, sollte noch nicht Schluss sein! "Wir haben es jetzt Viertel nach elf, das heißt, ich kann noch 15 Minuten für euch spielen, bevor sie uns hier wegen der Disco rausjagen. Allerdings weiß ich absolut nicht mehr, was ich jetzt noch bringen könnte", meinte Ken. Eine ganze Salve an Publikumswünschen, zumeist Posies- oder Big-Star-Songs, war die Antwort, bis dann als letzter Ruf aus dem Publikum noch der Wunsch nach der wohl aberwitzigsten Nummer laut wurde, die man sich als Zuschauer hätte aussuchen können. Lautes Gelächter des Rests im Saal war die passende Antwort, doch Ken schien die Idee ganz und gar nicht abwegig zu finden, stellte blitzschnell die Gitarre in die Ecke und setzte sich ans Klavier, um den Wunsch zu erfüllen. Mit der Erfahrung einiger Posies-Konzerte hatte wohl niemand erwartet, daß Ken mehr als das Intro und die erste Strophe des Songs spielen würde, schließlich hatte er ihn noch nie vor Publikum gebracht, aber die großartige Stimmung machte im Paradiso scheinbar alles möglich, und so spielte Ken die kompletten acht Minuten inklusive aller Soli von - "Stairway To Heaven"! Sogar Robert Plants berühmter Live-Zusatz "Does anybody remember laughter?" war mit dabei, und man konnte Ken die Begeisterung über die enthusiastische Publikumsreaktion noch drei Zeilen später anhören. Perfekt war die Version zwar nicht, weil Ken die dritte Strophe nicht wirklich kannte und auch einige Male nach den richtigen Akkorden suchen mußte, aber selten hat ein Stück die kollektive Stimmung eines Konzertes so gut eingefangen, und der begeisterte Singalong zum Schluß (bei dem Ken eine überragende Robert-Plant-Kopie abgab) war der Dank dafür. Danach beendete Ken den Abend stilvoll mit einer dem kürzlich verstorbenen Dudley Moore gewidmeten Version des Christopher-Cross-Classics "Arthur's Theme". Mehr als zwei Stunden hatte er auf der Bühne gestanden und trotz der melancholischen Töne seines Soloalbums ein ganz und gar mitreißendes Konzert abgeliefert. Ein Konzert, bei dem weder eine zu promotende Platte noch Greatest Hits im Mittelpunkt standen, sondern ganz allein die Musik. "It was a great evening of music", hatte Ken über den Auftritt in Dublin gesagt, und das gleiche gilt ohne Frage auch für die Show in Amsterdam. Ein besseres Konzert, so darf vermutet werden, hat der Amerikaner solo wohl noch nie gespielt.

"Kennst du diese Aliens, die einfach zu Staub zerfallen?" waren Kens erste Worte, als wir ihn am nächsten Morgen am Bahnhof von Amsterdam trafen. "Das passiert, glaube ich, gleich auch mit mir!" Er hatte die Nacht mit einer nicht gerade jugendfreien Party verbracht und sah dementsprechend derangiert aus. Da halfen selbst die fünf Stunden Ausspannen auf der Fahrt nach Hamburg nichts, und eigentlich war schon Stunden vor dem einzigen Deutschland-Konzert klar, daß der Abend auf der Reeperbahn nicht annähernd so grandios werden würde wie die Paradiso-Show. Nicht nur, daß Ken verkatert und müde war, auch die restlichen Umstände waren nicht gerade ideal. Die Show in Hamburg war erst knapp drei Wochen zuvor bestätigt worden, dementsprechend mau war die Werbung ausgefallen, und daß dieser Ostersamstag der erste wirklich sonnige Tag des Jahres in der Hansestadt war, tat ein Übriges dazu, mal ganz abgesehen davon, daß die Stimmung in einer vollen Tanzhalle St. Pauli sehr gut sein kann, eine schlecht besuchte Veranstaltung dort allerdings auch ohne Kens traurige Songs depressiv machen kann. Da half es auch überhaupt nicht, daß sich Ken gleich bei "This One's On You", dem ersten Song des komplett umgestellten Programms, mit einem Zuschauer anlegte, der es offensichtlich für ratsam hielt, mit seiner Privatunterhaltung Kens Song zu übertönen. Die Stimmung jedenfalls war von Anfang an zum Zerreissen gespannt. Glücklicherweise erreichte Ken danach schnell den Punkt, an dem ihm offensichtlich alles egal war und er den Abend eher als offene Probe für eine Handvoll Freunde im Publikum betrachtete. Und ohne jemals die großartige Form des Vorabends zu erreichen, schlug er sich dann doch noch beachtlich. Vor allem, weil sein Klavierspiel streckenweise sogar besser war als am Abend zuvor und die Songs von "Touched" ein erstaunlich authentisches Maß an innerer Zerrissenheit und Desillusionierung widerspiegelten. Und daß sogar der Posies-Song "You're The Beautiful One" im Set auftauchte, hat mit Sicherheit auch nicht geschadet. Nachdem er sich nach knapp 50 Minuten - dieses Mal mit der "Extended Gitarrenversion" von "Here's To The Future", das er zwei ziemlich betrunkenen Bekannten in der ersten Reihe mit den Worten "auf den Rest eurer Zukunft oder was noch davon übrig ist" widmete - eigentlich schon verabschieden wollte, war es danach einmal mehr ein Schwung Coverversionen, der den Abend doch noch rettete. Da spielte Ken doch tatsächlich "Too Much Heaven", das in seiner Klavierversion kaum mehr an die schlimme, typische 70er-Jahre-Produktion des Bee-Gees-Originals erinnerte, und die Beach-Boys-Songs "Don't Talk" (als Publikumswunsch) und "Wouldn't It Be Nice" waren eh über jeden Zweifel erhaben. Und irgendwie schien Ken dann doch noch etwas Gefallen an dem Abend zu finden, jedenfalls ließ er sich sogar zu einer Zugabe überreden und spielte zuerst, ohne Mikro und mitten im Publikum stehend, seinen wohl größten Hit, den Posies-Knaller "Solar Sister", und dann sogar noch einmal "Stairway To Heaven", dieses Mal übrigens wesentlich flüssiger und mit einem völlig anders gesungenen Schlußteil. Irgendwie hatte Ken dann trotz der seltsamen Atmosphäre in der Tanzhalle doch wieder 80 Minuten auf der Bühne gestanden und jede Menge Songs gespielt, für die so mancher Stringfellow-Fan in Amiland ohne mit der Wimper zu zucken seine Großmutter in Zahlung gegeben hätte.

Ken Stringfellow
Nach der Show zog dann eine Handvoll Leute mit Ken weiter ins Indra - also genau den legendären Laden, in dem am 07. August 1960 The Beatles ihren ersten Auftritt außerhalb von England hatten -, wo Jakobus Siebels von der Hamburger Band Ja König Ja feinsten 60s und 70s Soul auflegte. Und bevor Ken "No, thank you!" sagen konnte, war am Klavier in einer schummerigen Ecke des Indra ein Mikro aufgebaut, und Ken spielte um halb drei morgens noch ein knapp fünfzehnminütiges, improvisiertes Set für die vielleicht 10 oder 12 Gestalten, die an der Bar hockten. Und die waren von "Knocks Me Off My Feet" ebenso angetan wie von der einmal mehr großartigen Version von "God Only Knows", mit Jakobus [an Percussion und Backing Vocals], doch den richtigen Kracher hatte sich Ken ganz bis zum Schluß aufgehoben. Ganz im Sinne des Abends - schließlich ging es um "Sweet Soul Music" - sang er "Ooh Child" von den Five Stairsteps, das er eigentlich nur zusammen mit Jon Auer bei den Posies und auf der Gitarre spielt, das aber auch in der Klavier-Soloversion, noch dazu mit dem Rücken zum Publikum - ein echtes Highlight war. Vor allem, weil Ken viel befreiter und entspannter wirkte als noch wenige Stunden zuvor in der Tanzhalle.

Das Fazit dieses Wochenendes mit Mr. Stringfellow? Ähnlich wie bei Bob Dylan sind auch die Konzerte von Ken eine Art Lotterie. Mit ein bißchen Glück zieht man einen Hauptgewinn wie Amsterdam, mit ein bißchen Pech nur einen Trostpreis wie Hamburg. Das ist natürlich manchmal etwas unbefriedigend, doch letztendlich ist es Ken hoch anzurechnen, daß er sich nicht nur auf das verläßt, was er kann, sondern für alles offen ist, egal, ob das nun wirre Publikumwünsche oder wilde Aftershow-Parties sind. Denn das zeigt, daß er noch nicht am Ziel angekommen ist, sondern weiterhin auf der Suche ist. Und das garantiert, daß auch in Zukunft Kens Platten und Konzerte alles andere als langweilig sein werden. Gute Reise!

Text: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Carsten Wohlfeld-


 
 

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