"Chez Axel Ressler" steht als Auftrittsort für diesen letzten Freitagabend vor dem erneuten COVID-19-Shutdown auf Tom Liwas Website, aber das ist ein wenig geflunkert. Da in diesen Zeiten natürlich keine Hauskonzerte stattfinden, tritt der inzwischen im Wendland heimische Singer/Songwriter mit Duisburger Wurzeln im Lukas, dem kulinarischen Bahnhof im Essener Stadtteil Kupferdreh auf. Trotzdem ist er gleich in doppelter Hinsicht bei Axel Ressler zu Gast. Nicht nur, dass das geladene Publikum im ehemaligen Bahnhofs-Wartesaal (für die 3. und 4. Klasse!) ausschließlich aus dem Umfeld des Essener Lyrikers kommt, die Texte der Lieder, die Liwa an diesem Abend singt, stammen allesamt aus der Feder von Ressler. Unter dem Titel "6/8 rot - Tom Liwa singt Texte von Axel Ressler" erscheinen sie im Dezember als Vinyl-LP, die livehaftige Vorpremiere gab es aber bereits an diesem Abend.
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Die Coronavirus-Pandemie konnte Tom Liwa bislang nicht viel anhaben. Im Gegenteil: Die ungeplante Konzertpause gab ihm die Gelegenheit, richtig in der neuen Heimat anzukommen, sich seiner Familie zu widmen und trotzdem noch viel Zeit für verschiedene kreative Projekte zu haben. Eine Reihe digital veröffentlichter Singles zu den Themen der Zeit, für die er bisweilen neue, ungewohnte Ausdrucksformen wählte, und ein neues CD-Album namens "Der, den mein Freund kannte", das Ende November vorbei an Amazon und Co. über Liwas Bandcamp-Seite und den gut sortierten Fachhandel - online oder um die Ecke - erhältlich sein wird und ihn mit alten und neuen Klängen experimentieren sieht, gehören genauso dazu wie die Ressler-Lieder, die Liwa von seiner traditionellsten Seite zeigen.
Nachdem er sich draußen vor dem Eingang auf einer Bank sitzend warmgespielt hatte und eingeleitet durch eine kleine Rede von Ressler selbst, beginnt Liwa, solo an der Akustikgitarre, das Konzert mit "Du lässt die Liebe alt aussehen", was tatsächlich auch der erste Text war, den er vertont hat. "Ich habe Axel das Lied geschickt - und danach durfte ich weitermachen", erklärt er zur Belustigung des Publikums. Das dezente "Blood On The Tracks"-Flair der Nummer, in einem alten Bahnhofsgebäude natürlich besonders passend, kommt nicht von ungefähr. Ressler und Liwa sind beide Fans von Bob Dylan und scheuen sich nicht, das auch zu zeigen. Ressler durch seine Art, Situationen und Gefühle betont eigen, gerne auch ein wenig eigensinnig in Worte zu fassen, die bisweilen ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein scheinen, Liwa, indem er musikalisch und gesanglich zu seinen Wurzeln zurückkehrt. "Ein schöner Aspekt bei der Arbeit war, dass ich hier mal wieder so richtig Bob Dylan sein durfte, was ich mir bei meiner eigenen Arbeite seit etwa zehn Jahren streng verbiete", erklärt er. Dabei war er nicht nur Songwriter, sondern in gewisser Weise auch Kurator: Er war es, der aus den ursprünglich 49 Gedichten die auswählte, die es jetzt als Songs zu hören gibt.
Die Nähe zu "Blood On The Tracks", Dylans großem Herzschmerz-Album, ergibt aber auch aus inhaltlicher Perspektive Sinn. Auch in Resslers Gedichten geht es um eine schmerzliche Trennung, und nicht zuletzt deshalb war Liwa - selbst Experte für Songs und Platten zu diesem Thema, man denke nur an das Karriere-Highlight "Eine Liebe ausschließlich" von 2010 - eine gute Wahl für dieses Projekt, oder wie er es augenzwinkernd ausdrückt: "Es war sehr schön, mal eine Trennungsplatte zu machen, bei der es nicht um meine Schmerzen ging." Vielleicht auch deshalb achtet Liwa gerade zu Beginn des Auftritts darauf, Ressler immer wieder mit einzubeziehen, wenn er sich freut, weil mit "Huckepack" so ein schönes Wort in "Kein Wagenheber" auftaucht oder wenn er in "Die Geigerin zu Gmünd" mitten im Lied Resslers Lieblingszeilen ankündigt, bevor er sie singt.
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