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Wetter hopp, Musik top!

Sonntag am See

Rietberg, Miniburg am Mastholter See
04.07.2021

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Loupe
Zugegeben, auf den ersten Blick scheint es ein wenig verwunderlich, dass nicht die Publikumslieblinge Tim Neuhaus oder Fee. bei diesem "Sonntag am See"-Minifestival die Headliner sind, sondern die völlig unbekannten Niederländerinnen Loupe, die noch nicht einmal eine einzige Veröffentlichung vorweisen können, doch die Veranstalter wissen, was sie tun. Schließlich stecken hinter dem gemütlichen Open-Air am Ufer des Mastholter Sees die Macher des Kulturgüterbahnhofs in Langenberg, die seit vielen Jahren mit viel Liebe für die Sache ein geschmackssicheres Konzertprogramm mitten in Ostwestfalen auf die Beine stellen, das selbst in Pandemiezeiten Highlights wie Ian Fisher, CATT oder Thees Uhlmann zu bieten hat. Die "Sommer am See"-Open-Air-Reihe nutzt das umtriebige KGB-Team nun, um endlich die Künstler zu präsentieren, deren Konzerte in den vergangenen Monaten den COVID-19-Gegenmaßnahmen zum Opfer gefallen sind. Neben den alten Helden wie Tim Neuhaus und Fee. sind das mit Loupe eben auch Amsterdams neueste Hoffnungsträgerinnen des verträumten Indie-Rock, die sich an diesem Sonntagnachmittag mit einem brillanten Auftritt in die Herzen der Zuschauer spielen und dafür sorgen, dass die unschönen Wetterkapriolen längst nicht das Bemerkenswerteste an diesem famosen Konzertnachmittag sind.
Als sich um kurz nach zwei die Tore zum Open-Air-Gelände direkt am See öffnen, sieht es noch nach Sonnenbrandwetter aus. Die Sonne strahlt und vor der Bühne bleibt auf der sattgrünen Wiese kaum einer der weißen Plastikstühle leer, die zuvor beim Soundcheck noch einen Hauch von Soldatenfriedhof verströmt hatten, wie KGBler Michael Langewender, seines Zeichens auch Kopf des Tonetoaster-Labels, bei der Begrüßung noch augenzwinkernd angemerkt hat. Die Wettervorhersage verheißt zwar nichts Gutes, aber ein bisschen Glück gehört für Konzertbesucher in diesem ungewöhnlichen Konzertsommer ja auch einfach dazu. Kurz nach 15:00 Uhr eröffnet dann der Künstler den Nachmittag, den viele als Headliner erwartet haben, und ganz ehrlich, der Bühnenaufbau sieht ein wenig so aus, als folge hier ein Bandauftritt. Schlagzeug, Keyboard, Gitarre, Gesangsmikro - alles da. Das Einzige, was fehlt, ist die Band, oder besser gesagt: Tim Neuhaus IST die Band. Mit scheinbar sechs Armen - und ein bisschen Unterstützung der Loopstation zu seinen Füßen und bei ein, zwei Songs mit seinem Kumpel Alex Norden als Drum-Partner - beeindruckt der ursprünglich aus Hagen stammende Tausendsassa sein Publikum mit einer oft irrsinnigen Performance, bei der er bisweilen tatsächlich drei Instrumente gleichzeitig bedient, ohne dass das Ganze zu einem zirkusreifen Gimmick verkommt. Das ist nicht zuletzt der Leidenschaft, der Inbrunst geschuldet, mit der sich der 42-Jährige allem widmet, was er tut. Er macht ganz einfach, was er will, und genau dieses Impulsive, Spontane, Echte ist es, was den Auftritt besonders macht. Unter seine eigenen Greatest Hits wie "As Life Found You" oder "American Dream in Berlin" - gewissermaßen sein "Lied vom Scheitern" über seinen Weg von Westfalen in die Hauptstadt - mischen sich an diesem Abend viele Coverversionen, die nicht nur aus seiner jüngst veröffentlichten, im Lockdown entstandenen EP "Echos Vol. 1" stammen. Stattdessen schlägt Neuhaus locker den Bogen von seiner eigenen musikalischen Sozialisation, wenn er die Foo Fighters, Radiohead oder Beck covert und Bruce Springsteens "Streets Of Philadelphia" im wahrsten Sinne des Wortes ganz neue Saiten (!) abgewinnt, erlaubt sich aber auch immer wieder Schlenker zu seiner eigenen Musikerbiografie, wenn er gleich mehrfach Clueso-Songs spielt, an denen er mitgeschrieben hat, oder Marcus Wiebusch zitiert, mit dem er bei "Konfetti" gemeinsame Sache gemacht hatte. Fast scheint es, als würde er mit diesem feinen Auftritt auch die Wettergötter besänftigen, aber ausgerechnet nachdem er "Shine On" gespielt hat, öffnet der Himmel dann doch seine Schleusen, und das so richtig. Nicht nur, dass viele Zuschauer fluchtartig ihre Stühle verlassen, um Schutz zu suchen, am Ende trommelt der Regen so heftig auf das Bühnendach, dass Neuhaus sein Set umstellen und auf den balladesken Ausklang verzichten muss, um sich lautstärketechnisch gegen Wind und Niederschlag durchsetzen zu können.

Was folgt, ist mehr als eine Stunde zwischen Hoffen und Bangen. Lange Zeit sieht es nicht so aus, als würde es an diesem Nachmittag noch einmal Live-Musik geben können. Einige Zuschauer verschwinden nach Hause oder suchen Zuflucht in ihren Autos auf dem Parkplatz, manche wohnen auch nah genug, um sich kurz daheim trockene Klamotten organisieren zu können, nicht wenige harren aber einfach unter den Zelten am Eingang oder unter den Bäumen aus, die das Festivalgelände entlang des Sees säumen. Gegen 17:30 Uhr hat das Wetter dann tatsächlich ein Einsehen. Richtig trocken wird es zwar noch nicht, aber zumindest kann die nun nicht mehr ganz so sommerliche Sause weitergehen, zumal die Wiese an der Miniburg standhaft bleibt und kein Woodstock-Feeling aufkommen lässt. Die undankbare Aufgabe, das verstreute Publikum wieder einzufangen, fällt der Frankfurter Singer/Songwriterin Fee. zu. Schnell wird allerdings klar, dass sie für diesen Job bestens geeignet ist. Anfangs solo, dann zu zweit mit Ellen Pellen, ihrer neuen Partnerin in crime an Bass und zweiter Stimme und am Ende zu viert in kompletter Bandbesetzung setzt sie ihre Social-Media-Selbstbeschreibung - "ein bisschen Hippie, ein bisschen Indie, ein bisschen Pop und viel Quatsch im Kopp" selbstbewusst in die Tat um. Ein Lied ihres aktuellen Albums "Nachtluft" heißt zwar "Ernst des Lebens", doch statt in Betroffenheitslyrik zu versinken, widmet sich Fee., die eigentlich Felicitas Mietz heißt, lieber den leicht-beschwingten Momenten des Lebens, und das gilt für ihre federleichte Popmusik genauso wie für ihre deutschsprachigen Texte. Sogar ihre Ansagen sind, den widrigen äußeren Umständen zum Trotz, sommerlich unbeschwert - ob das nun feine Ironie oder blanker Sarkasmus ist, wird dabei nicht ganz klar. Nur bei "Straßburger Straße", das Fee. ihrer verstorbenen Oma gewidmet hat, wird es kurz mal richtig tiefgründig und melancholisch, doch das Gefühl hält nicht lange an, denn spätestens, als sie sich mit dem Ohrwurm "Cheri" nach einer kurzweiligen Dreiviertelstunde verabschiedet und dabei ein letztes Mal angenehm an Wir Sind Helden erinnert, kommt wieder die Sonne raus. Ein Festivalauftritt wie aus dem Lehrbuch.
Auch Loupe stehen dann anschließend kaum mehr als eine Dreiviertelstunde auf der Bühne, länger brauchen die vier jungen Damen aus Amsterdam allerdings auch nicht, um die Unentwegten, die bis hierhin ausgeharrt haben, von neugierig interessierten Zuhörern in restlos begeisterte Fans zu verwandeln. Denn auch wenn das Quartett wirklich noch keinen einzigen Song veröffentlicht hat und an diesem Abend überhaupt erst zum vierten Mal vor Publikum auftritt, wird schon sehr früh klar, dass Loupe all das haben, was große Bands ausmacht: mitreißende Songs, die charmant und catchy, aber deshalb noch lange nicht simpel sind, einen Sound, der viele Genres streift und sich trotzdem gängigen Schubladen durch unerwartete Drehungen und Wendungen immer wieder geschickt entzieht, vor allem jedoch vier Musikerinnen mit individuellem Aussehen, Temperament und Stil, die dennoch eine beeindruckend enge Einheit bilden, in der die Chemie sichtbar stimmt. Bisweilen macht es genauso viel Freude, Loupe zuzuhören, wie ihnen zuzusehen, denn es vergeht kaum eine Sekunde des Auftritts, in der nicht eine der vier Damen über das ganze Gesicht strahlt, und immer wieder werfen sich die vier auch lächelnd konspirative Blicke zu, sei es nun, weil sie selbst nicht glauben können, wie gut sie sind, oder vielleicht einfach auch nur, weil sie sich nichts Schöneres vorstellen können, als gemeinsam auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen. All das sorgt für ein von der ersten bis zur letzten Sekunde fesselndes Live-Erlebnis.

Klanglich setzen Loupe dort an, wo das Vorgängerprojekt Dakota aufgehört hat, als Sängerin Lisa Brammer die Band aus persönlichen Gründen verlassen musste, wenngleich die Lieder nun vielleicht ein bisschen weniger düster ausfallen. Dass sich Gitarristin Jasmine van der Waals, Bassistin Lana Kooper und Schlagzeugerin Annemarie van den Born mit Julia Korthouwer nicht nur eine neue Sängerin gesucht haben, sondern gleich noch einen neuen Namen gegeben haben, unterstreicht aber dennoch, dass sie nicht einfach nur die Vergangenheit fortschreiben, sondern ein neues Kapitel aufschlagen wollen. Ähnlich wie Dakota, die zwischen einem verwaschenen Shoegazer-Wall-of-Sound, Westcoast-Pop-Unbeschwertheit, lärmigem Garagen-Rock und in Schwermut gehülltem Dream-Pop ihren Weg gefunden haben, sind auch Loupe im Herzen eine Indie-Rock-Band, die Freud und Leid des Alltags in ihren Songs verarbeitet. Dabei faszinieren ihre Lieder mit hinreißenden Gitarrenmelodien, die sich selbst Johnny Marr kaum schöner hätte ausdenken können, einer eng verzahnten Rhythmusgruppe, die mehr tut als nur den Takt vorzugeben, und einer in süße Melancholie getauchten Gesangsstimme. Gleich zu Beginn entpuppt sich "Leave Me There" seinem getragenen Tempo und resignierenden Inhalt zum Trotz als perfekter Popsong, bevor "Run Around" mit Morrissey'schem Selbstmitleid zu kokettieren scheint und sich das rasante "21" als der heimliche Hit des Sets entpuppt. "Fair Enough" begeistert dagegen mit nervöser Energie und ist klanglich die Nummer, bei der sich Loupe am weitesten von ihren Inspirationsquellen entfernen, und es ist kein Wunder, dass ausgerechnet dieses Lied ein Kandidat für eine Singleveröffentlichung ist, während der zickige Indie-Pop-Song "My Fault" bei den Tempowechseln fast schon einen Hauch von Doom versprüht. Zwischen den betont wuchtigen Stücken, bei denen das Publikum kurzerhand mitgerissen wird, gibt es aber auch Atempausen. "Better Off" glänzt als sphärische Crooner-Ballade mit Lagerfeuer-Flair, während "What You Want" in Richtung "Twin Peaks"-Dramatik deutet. Anders gesagt: Kein Song ist wie der andere und trotzdem klingt das Set wie aus einem Guss. Amüsant am Rande: Obwohl es in ihrem ersten Song heißt "I wanted it to rain when the sun came out", sind die Niederländerinnen der einzige Act des Tages, der es trocken durch seinen Auftritt schafft. Die stürmisch geforderte Zugabe muss dann ausfallen, weil die vier Damen ihre Möglichkeiten schon zuvor restlos ausgeschöpft haben, fest steht da aber schon lange: Loupe sind die Newcomer des Sommers, ach was, des Jahres!

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Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-


 
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