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Pop-Kultur Festival 2021 - 2. Teil

Berlin, Kulturbrauerei
27.08.2021/ 28.08.2021

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Culk
Der dritte Festivaltag begann mit einem interessanten interkontinentalen Kulturmix: Tereza ist nominell erst mal DJane und Radiomoderatorin. Kesiene "Keeswa" Wanogho international in Sachen Jazz, Soul, R'n'B, Elektronica und Ambient als Sängerin und Komponistin tätig. Beide zusammen führten bei ihrem frühabendlichen Set nun so gegensätzlich erscheinende Elemente wie Kraftwerk (via "Trans-Europa-Express"), Detroit Deep House, Techno und Souljazz-Beats zusammen - teilweise in Remix-Form, teilweise im Songformat und teilweise gemischt. Als besonderer Geniestreich darf des Weiteren ein unangekündigter Gastbeitrag des Berliner Crossover-Urgesteins George Kranz eingerechnet werden, dessen NDW-Zufalls-Hit "Din Daa Daa" selbstironisch mit einer Hitparaden-Ansage von Dieter Thomas Heck aus dem Jahre 1984 in das Set mit eingebaut wurde. Auch so etwas will ja erst mal organisiert werden!
Natallia "Mustelide" (=Marder) Kunitskaya wohnte noch in Minsk, als sie Alan Bangs 2016 auf dem Reeperbahn Festival als neue Hoffnung in Sachen E-Pop aus Weißrussland ankündigte. Inzwischen ist sie nach Berlin gezogen, behauptet, dass sie aus "Berlinsk" komme und ließ es sich natürlich nicht nehmen, in einer ihrer Ansagen auf die aktuelle politische Situation in ihrer Heimat hinzuweisen und allgemeine Freiheitsrechte einzufordern. 2016 agierte Mustelide mit noch im experimentellem Depri-Setting. Heutzutage haben ihre charmant mehrsprachig auf Russisch, Englisch und Pigeon-Deutsch vorgetragenen E-Pop-Songs aber auch sonnigere, lebensbejahendere Party-Qualitäten zu bieten. Auch optisch und stylisch ist Natallia heutzutage aufgeblüht und hat sich auch so aus der Düster-Ecke befreit.

Mit ihrem Bandprojekt Die Heiterkeit sorgte Stella Sommer jahrelang für manifestierten Stoizismus im Deutschpop-Genre. Seit sie sich mit ihrem Solo-Projekt dafür entschieden hat, sich mit englischsprachigen Songs eher dem klassischen Singer/Songwriter-Kontext anzunähern, hat Stella sich eine ganz neue Klientel erschließen können. Bei ihrem fast schon orchestral inszenierten Band-Konzert im Kesselhaus outete sich Stella dann sogar als klassische Gesangs-Diva, die ihr Kleinorchester bestimmt durch die grundsätzlich zwar melancholisch/düsteren, aber auch mit leichtfüßiger, facettenreicher Transparenz interpretierten, zerbrechlichen Songkunstwerke ihrer zweiten Solo-LP "Northern Dancer" aus dem letzten Jahr dirigierte. Bemerkenswert übrigens wie sie durch das genüssliche Durchkauen der Wortsilben ein fast schon zärtliches Verhältnis ihrer Lyrics aufgebaut - und somit auch einen ganz eigenen Gesangsstil entwickelt hat.

Kommen wir mal zu Benzii & Friends. Da geistern seit einiger Zeit ziemlich morbide Videos von Benzii durch das Web, in denen sich die junge Dame mit der offensichtlich schwarzen Seele durch blut-triefende Albtraumszenarien treiben lässt. Musikalisch hangelt sich die Gute dabei durch Formalismen, die man zwar aus der Goth- und Düsterrock-Szene kennt - nur dass sie sich dabei (bislang) elektronischer Mittel bedient. Kein Wunder also, dass die Berliner Songwriterin (wie sie sich vorstellte) sich bei ihrem ersten Live-Gig dann optisch als blonder Todesengel auf der Bühne des Pavillons präsentierte. Ihre Fans und die besagten Freunde (das Dreampop-Duo Slushkitten und die Noir-Rapperin Bae Con) hatte sich Benzii dann auch gleich mitgebracht, was für eine gewisse Partystimmung auf und vor der Bühne sorgte.

Eines ganz besonderen "Commissioned Work(s)" hatte sich Tara Nome Doyle angenommen. Bereits mit ihrem Solo-Debüt hatte Tara das konzeptionelle Format eines bloßen Musikalbums mit dem Anspruch gesprengt, mit ihren Songs nicht nur musikalische Möglichkeiten, sondern auch philosophische, poetische, spirituelle und psychologische Aspekte gegeneinander aufzuwiegen und zu erforschen. Solcherlei geht ja gewiss am Besten mit einem Wechsel der Perspektive einher. Ergo war ihr im Maschinenhaus (ingsgesamt sechs Mal) inszeniertes Projekt "Hall Of Mirrors" - bei dem Tara und ihre Gäste (darunter Caroline Blomqvist von Minru und Tuvaband) dann dank eines ganzen Waldes von Spiegeln aus mehreren Perspektiven gleichzeitig zu sehen waren. Oder gar nicht - je nachdem, wo man einen Platz gefunden hatte. Kleine Anmerkung noch: Optisch präsentierte sich Tara dieses Mal als singender Nachtschatten mit schwarzem Lippentift, Outfit - und wohl auch einer dunklen Seele.

Kelvin Serious Klein Boyake ist ein deutsch-ghanaischer "Art-Rapper"-MC, der aufgrund einer Programmänderung im Kinosaal 3 einen Teil seiner Zielgruppe verpasste. Diejenigen, die es geschafft hatten, begeisterte der Meister mit seinem US-Style-Flow, der ihn durch eine Verquickung glücklicher Umstände bereits zu einer "Kollaboration" mit Alicia Keys geführt hatte, die in ihm eine "der wichtigsten deutschen Rap-Hoffnungen" sah. Deutsch rappen tut Serious Klein allerdings nicht. In dem Bemühen, seine Kompetenzen nicht zu überschreiten, kam Klein indes auf die Idee, das Publikum zum Tanzen zu überreden - ohne sich dabei aus den Sitzen zu erheben. Das Ergebnis war eine amüsante Kasperl-Veranstaltung, die es so sicherlich auch noch nicht oft gegeben hat.

An der Stelle, an der im Folgenden Sophia Kennedy und Mense Reents den Konzertabend beschlossen, hatten so manche dann eben Serious Klein erwartet. Pech. Denn Sophia und Mense hatten die Songs von Sophias zweitem Album "Monsters" bereits hinlänglich auf einer mutig im Frühjahr gebuchten Tour (die dann tatsächlich auch hatte stattfinden können) ja bereits ausgiebig auf ihre Livetauglichkeit getestet und wussten ergo genau, was sie wann machen mussten, um das Publikum für sich einnehmen zu können. Die Show begann - wie auf der Tour - mit langen, improvisatorisch ausgelegten Tracks, die durch die ausgeklügelte Lichtdramaturgie im Saal 3 effektiv akzentuiert wurden. Aber erst als Sophia sich von ihrem Keyboard erhob und sich mit dem Mikro in der Hand als Club-Animateurin betätigte, ging die Sache dann so richtig los. Spätestens als Sophia ihre poppigen Club-Rausschmeißer wie z.B. "I Can See You" anstimmte, gab es dann kein Halten mehr. Zwar hielt es die Fans im Folgenden dann noch auf ihren Plätzen - aber nicht mehr wirklich auf den Sitzen, sodass die Show im Zugabenblock (!) dann auch in eine Art Party ausartete. Und wer sich gefragt haben mochte, warum Sophia keine Setlist mitgebracht hatte: Die stand auf ihren Schuhen!

Der vierte und letzte Festivaltag war von vorneherein als Großkampftag angelegt worden, bei dem der Einlass bereits um 14 Uhr beginnen sollte. Das war allerdings eine Verwirrten-Veranstaltung besonderer Natur. Indem nämlich eine Horde desorientierter Impfschwurbler planlos auf der Suche einer Demonstration durch die Innenstadt mäanderte, war der Straßenbahnverkehr lahmgelegt, so dass die Anreise sich dann dementsprechend schwierig gestaltete. Immerhin schaffte es aber zumindest Mira Mann rechtzeitig zur ersten Show des Tages um 15 Uhr auf die Open Air-Bühne im Frannz-Garten. Mira war bis 2017 als Gründungsmitglied der "Artkraut"-Band Candelilla tätig, bevor sie sich dann als Musikerin, Autorin, Dichterin, Radiomoderatorin und Bookerin selbständig machte (so gut da bei so vielen Jobs eben geht). Bei ihrem Gig trug Mira dann ihre von hypnotischen Downtempo-Beats unterlegten, klugen, einfühlsamen und berührenden Gedichte vor. Und zwar zugleich stoisch unaffektiert wie "schalkäugig" schmunzelnd. Warum sie indes ausgerechnet ihr soeben als Digital-Single veröffentlichtes, von Wolf Lehmann produziertes, eindringlich beeindruckendes Treatment von Bruce Springsteen's "Atlantic City" nicht im Angebot hatte, verriet sie nicht.

Kuoko hatte dann im Folgenden bei ihrer Show in der Caystube (die aber auch eine Open-Air-Bühne ist) durchaus ihre aktuellen Singles "Perfect Girl" und "Yellow Fever Gaze" im Gepäck - aber obendrein erstmals auch ihre Gitarre. Die Sache ist nämlich die, dass die E-Pop-Künstlerin aus Hamburg zwar ursprünglich auf der Gitarre angefangen hat Songs zu schreiben und zu musizieren - bisher aber bei ihren Live-Auftritten darauf verzichtet hatte. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen war sie nun darauf gestoßen und stellte fest, dass Songs wie "Ocean" von ihrem demnächst erscheinenden Debüt-Album auch ohne Elektronik ganz schön klingen. Kuoko hatte auch ihre Freundin Hana mitgebracht, mit der zusammen sie dann die Choreographie des Videos zu dem Anti-Stereotype-Song "Yellow Fever Gaze" emulierte.

Nach dem Auftritt von Kuoko verabschiedete sich dann die Sonne für den Rest des Festivals, so dass bei dem Konzert der österreichischen Band Culk dann erklärlicherweise eine lange Reihe von Einlass begehrenden Fans vor der Palais-Spielstätte im einsetzenden Regen versammelt hatte. Sophie Löw und ihre Musiker(innen) konnten auf diese Weise einen vielleicht unerwarteten Triumph im wirklich bis auf den letzten verfügbaren Platz besetzten Palais feiern. Nachdem sich die Band aus Wien für ihre zweite LP "Zerstreuen über euch" mit dem Produzenten Wolfgang Möstl zusammengetan hatte, haben ihre bis zu diesem Zeitpunkt eher zaghaft augelegten deutschsprachigen Düster-Pop, Shoegaze und Depri-Songs mächtig an Druck und Dynamik zugelegt - was natürlich der Live-Präsentation enorm entgegen kommt. Die in Musik gegossene Kleistsche Schwermut (die Sophie mit dichterischer Eleganz inhaltlich artikuliert) traf bei dieser Show so mit Wucht und Nachdruck auf ein aufnahmebereites und interessiertes Publikum, zu dem auch etliche Musikerkollegen gehörten. Und das sah - trotz des eher introvertiert geprägten Vortrages - auch recht schick und mondän aus.

Weiter ging es im Kino 3 mit einer weiteren Berliner Band: Sometimes With Others nehmen dabei insofern eine Ausnahmestellung ein, als dass es sich hierbei nicht um eine Ansammlung wilder Jungspunde handelt, sondern um eine Gruppe gesetzterer Herrschaften, die sich einer ganz eigenen Form des Kaputnik-Blues bemächtigt haben, der durch sehr spezielle Akzente aufhorchen lässt. Denn die schroffen, angeschrägten und abrasiven Soundwände, die Frontfrau Mika Bajinski elegant im Klangkörper ihres Kleinorchesters platziert, kommen nicht aus einer Gitarre, sondern entstehen mittels Lapsteel, Cello und viel Distortion. Dass dem so ist, liegt sicher auch daran, dass hier Musiker aus dem Umfeld von Mick Harvey und Swans mitmachen und das Ganze von Gallon Drunks James Johnston in seiner Eigenschaft als Maler auf dem Cover der Debüt-LP "Nous" künstlerisch autorisiert wird.

Das Berliner Power-Trio 24/7 Diva Heaven war bereits im letzten Jahr bei der virtuellen Ausgabe des Pop-Kultur Festivals zu Gast gewesen. Der unbändigen Energie nach, mit der Gitarristin Kat, Drummerin Mary und Bassitin Karo im Kesselhaus durch so ziemlich alle Spielarten abrasiver Gitarrenmusik zwischen Punk, Grunge, Hardrock und Power Pop fegten, konnte es sich bei der Show vom letzten Jahr nur um eine Aufwärmübung gehandelt haben. Wer vielleicht nach einer unterhaltsamen Ohrspülung in Sachen Frauenpower gesucht haben sollte, der wurde bei diesem Konzert mit Sicherheit fündig. Und zwar von Anfang an im Stehen. Corona hin oder her. "Stress" heißt die Solo-LP der Damen. Dieser Begriff wurde bei dieser Show aber recht spielerisch und positiv gesetzt interpretiert.

Bei Mr. Silla handelt es sich natürlich nicht um einen Herren namens Silla sondern um ein aus der ehemaligen Múm-Sängerin Sigurlaug Gísladóttir und dem Gittaristen Magnús B. Skarphédinsson bestehendes Psych-Pop-Ambient-Duo. Sagen wir mal so: Musikalisch agieren Mr. Silla wesentlich konkreter, schlüssiger und songorientierter als auf dem psychedelisch zerfasertem und dann doch zu esoterisch angehauchten Studio-Album "Hands On Hands". Etwas irritierend ist dann allerdings die visuelle Präsentation insbesondere Sigurlaugs, die sich zunächst mit einer lächerlichen blonden Perücke und einer rosa Flokati-Jacke und später in schwarzer Unterwäsche und schlecht sitzender Strumpfhose präsentierte. Warum bleibt fraglich, da der Sache auf diese Weise keinerlei ästhetischer, dramaturgischer oder musikalischer Mehrwert erwuchs.

Im Kino 3 zeigte das Pop-Kultur Festival dann erneut eine der vielen stilistischen Facetten, nach denen man auf einer solchen Veranstaltung normalerweise vergeblich sucht: Die kurdische Sängerin Simav Hussein präsentierte mit ihrem sympathisch zurückhaltend agierenden Ensemble nämlich erstaunlich sanftmütige kurdische Volksweisen - die aber keinesfalls in der klassischen Folklore stecken blieben, sondern bemerkenswert leichtfüßig und ganz im hier und jetzt verankert dargeboten wurden. So kam zum Beispiel neben einer klassischen Saz-Laute auch ein elektronisches Drumpad und Effektgerät zum Einsatz. Vielleicht um den politischen Kontext ihres Materials auch dem internationalen Publikum deutlich zu machen, beendete Simav ihr Set mit einer zurecht eifrig beklatschten Version des italienischen Partisanen-Songs "Bella Ciao" - auf kurdisch.

Ein Kontrastprogramm zu der sanftmütigen musikalischen Lehrstunde Simav Husseins bildete im Folgenden der No-Nonsense-Vortrag des wohl derzeit ökonomischsten Rocktrios Kölns. Denn Melanie Graf, Thomas Mersch und Stefanie Staub - besser bekannt als Kratzen - haben sich ja von vorneherein auf die Fahnen geschrieben, nur das spielen zu wollen, was wirklich notwendig ist. Es gab also - auch inhaltlich knapp bemessenen - schnörkellosen, deutschsprachigen Stakkato-Rock, bei dem es fast schon an musikalische Opluenz grenzte, wenn Melanie Graf sich mal an die Stehtrommel begab oder mit Thomas Mersch Gitarre und Bass tauschte. Schön auch Merschs eingetreute, psychedelische E-Bow-Feedback - nun ja - "Solobeiträge".

Den musikalischen Schlusspunkt die Live-Musik betreffend setzten anschließend Max Gruber und sein Ensemble Drangsal. Obwohl es dafür eigentlich schon zu spät war, feierten Drangsal im Kino die Record-Release-Party ihrer Tags zuvor erschienenen, dritten LP "Exit Strategy". Nachdem sich Gruber & Co. mit ihrer zweiten LP "Zores" 2018 der Rockmusik zugewendet haben, haben sich Drangsal mit ihren Kindermelodien und Schlagertexten hoffnungslos im "Wir ersetzen euch die Ärzte schon, wenn ihr euch das Original nicht leisten könnt"-Sumpf verfangen. Das bestätigten die Jungs dann auch an diesem Abend wieder eindrucksvoll. Bemerkenswerterweise war das Kino dabei längst nicht so gut gefüllt, wie zuvor bei den abendlichen Abschlusskonzerten.
Fazit: Auch wenn das Angebot des Pop-Kultur Festivals 2021 in seiner Gesamtheit schon ein wenig überwältigend erschien, möchte man Veranstaltungen wie diese doch keinesfalls missen. Hoffentlich fallen dann im nächsten Jahr auch noch die letzten Beschränkungen, damit das Ganze auch wirtschaftlich wieder Sinn machen kann.

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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
 

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