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Orange Blossom Festival 24 - 3. Teil

Beverungen, Glitterhouse-Garten
05.06.2022

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Eliza Shaddad
Der dritte Tag des OBS begann mit einer Tradition, die vor Jahren die Band Murder By Death losgetreten hatte, weil sie sich selbst als Überraschungs-Act auf das ausgebuchte Festival eingeladen hatte. Inzwischen läuft die Sache mit den Überraschungs-Acts betont routiniert und auch wasserdicht - seit nämlich Rembert nämlich nicht mal mehr Andeutungen über die betreffenden Acts im Vorfeld streut (und wenn, dann falsche - wie z.B. "Die Band kommt aus Peru"). In dem Fall war es allerdings die dänische Band D/troit, die zur Frühstückszeit auf der Bühne stand, um das Publikum erneut mit ihrem eigenwilligen Mix aus Funk, Soul und Heavy Metal-Coverversionen zu begeistern (wie sie das bereits 2018 auf dem OBS 22 getan hatte).
In Anbetracht dessen, dass der quirlige Frontmann Tove Bo und seine Jungs nach der Show eigentlich gleich weiter zum nächsten Auftritt fahren wollten, zeigte die Band enormes Begeisterungspotential für ihr Tun - und lud sich dann ebenfalls gleich selbst ein - und zwar zu einem Meet & Greet nach der Show, das eigentlich gar nicht eingeplant war. Ach so - Heavy Metal: Neben eigenen Tracks im James Brown Stil haben D/troit auch durchgefunkte Cover-Versionen von AC/DC im Programm. Nach der Show diskutierten Tove Bo allen Ernstes darüber, sich demnächst Tracks von Slayer vorzunehmen.

Mit dem "ordentlichen Programm" ging es im Anschluss mit einer Musikgattung weiter, die früher intensiv auf der OBS-Bühne gefeatured wurde: Dem Blues-Rock nämlich. Das britische Trio Mudlow um den umtriebigen, knorrigen Frontmann Tobias Tester hat aber mit klassischem Blues Rock eigentlich nur das Betonen der Blue-Note und die inhaltliche Gemengelage des Genres im Sinn (obwohl es Tester in den Songs aus seinem "miserablen Leben" weniger um gestohlene Schuhe, sondern eher um Kröten geht). Will meinen: Endlose Soli mit schmerzverzerrtem Gesicht und Standard-Blues-Geknödel wird man bei Mudlow nicht finden. Dafür jede Mengen schrulligen britischen Humors, erdige Songs mit Punch und Druck und durchaus auch knackige Soli - nur eben keine aus dem akademischen Blues-Lehrbuch. Tester ist auch einer der unterhaltsamsten Vertreter seiner Zunft und ließ das Publikum an seiner brandneuen Telecaster-Gitarre riechen und überbrückte die zahlreichen Stimmpausen mit Anekdötchen aus seinem Leben oder live vorgetragenen Werbejingles für den Merchverkauf: "Bei mir gibt es keine versteckten Aufschläge oder Gebühren", erklärte er, "das ganze Geld wandert nämlich zu 100 % in meine Hosentasche." Mudlow entstammt übrigens ursprünglich dem Stag-O-Lee-Label von Reinhard Holstein, der zwar endlich mal wieder auf dem Festival anwesend war - nicht aber ausgerechnet an diesem Tag.

Die Schweizerin Emilie Zoé und ihr langjähriger kreativer Partner Nicholas Pittet gehörten auch zu jenen Acts, die alle pandemiebedingten Umbuchungen mitgemacht hatten. Und das war auch gut so, denn im letzten Jahr hatte Emilie ihre brillante neue LP "Hello Future Me" veröffentlicht, die - so erzählte sie zwischen den Songs - eine Art Sammlung von musikalischen Briefen an die Zukunft (bzw. ihr zukünftiges Ich) darstelle. Das hört sich komplizierter an, als es eigentlich ist - besonders musikalisch. Denn während sich Emilié und Nicholas zuvor gerne auch mal in abstrakten Abenteuern verstiegen hatten - wie zum Beispiel dem experimentellen Avantgarde Projekt "/A" - sind sie Songs von "Hello Future Me" erstaunlich schlüssig und zugänglich geraten. Insbesondere eingedenk der Tatsache, dass Emilie und Nicholas ganz alleine agierten (und somit kein Keyboard zur Verfügung hatten, das den Sound der LP entscheidend prägt) rockten sie die Bühne erstaunlich effektiv - und mit einer gehörigen Prise manischer Energie. Dazu gehörten auch musikalische Tricks, die insbesondere aufmerksame Nerds erfreuten: Nicholas etwa, warf zwischenzeitlich Zymbeln und Percussion-Instrumente auf seine Tom und erzeugte so ulkige Tribal-Sounds während es Emilie z.B. gelang, das Gitarrenstimmen mit einem psychedelischen Gitarrensolo zu verbinden. Auf so etwas muss man ja auch erst mal kommen. Dafür dauerte die anschließende Autogrammstunde ewig: Emilie ließ es sich nämlich nicht nehmen, jedem Bedürftigen ein eigenes, kleines Gedicht zum Autogramm aufzuschreiben. Dabei traf sie zufällig auf Alex Henry Foster und seine Band und bald schon entspann sich ein Dialog auf französisch über eine mögliche Kollaboration.

In der Talentschmiede - pardon: auf der Minibühne - machte sich derweil Philine Sonny fertig für ihr OBS-Debüt. Die junge Dame aus Unna (!) ist ja momentan in Indie-Kreisen schwer angesagt, bereits im Frühstücksfernsehen der Öffentlichrechtlichen aufgetreten und hat soeben ihre Debüt-EP "Lose Yourself" veröffentlicht. Das heißt: Nicht so richtig. Denn wie alle jungen Leute heutzutage glaubt auch Philine nicht an die physische Präsenz und ist bislang nur im Stream-Geschäft unterwegs. Dortselbst hat sie zwar mit ihren bisher Selbstfindungssongs über - nun ja Menschen wie die "People" im gleichnamigen Titel, ihren Bruder in "Oh Brother" oder sich selbst wie im Titeltrack der EP - eine gewisse Popularität erlangt, hatte aber - trotz diesbezüglicher Anraten - keinerlei Merch zum OBS mitgebracht. Die Kommunikation mit den Fans musste demzufolge warten, bis Philine dann beim nächsten Mal auf der Hauptbühne steht - wo sie definitiv hingehört, denn bereits bei der Show auf dem OBS zeigte sie eindringlich, dass sie nicht nur mädchenhaft lamentieren kann, sondern mit ihrer Band auch ordentlich abhotten, rocken und Spaß haben. Philine heißt sie übrigens tatsächlich - während sie ihren Künstlernachnamen dem Song "Racing In The Street" von Bruce Springsteen entlehnte, in dem die Partnerin des erzählenden Charakters eben Sonny heißt. Springsteen verehrt Philine auch als Songwriter - weniger wohl in musikalischer Hinsicht als in Bezug auf dessen Fähigkeit, seine Songs mit lebendigen Geschichten und Charakteren zu bevölkern.

Bei dem Glitterhouse-Phänomen Trixsi geht es - so Rembert - nun überhaupt nicht um Chartplatzierungen - obwohl die anlässlich des zweiten Trixsi-Album "And You Will Know Us By The Grateful Dead" (über dessen Titel sich nun wirklich alle "ausländischen Musiker", die auf dem Festival mit Trixsi in Kontakt kamen (= alle), vor Begeisterung überhaupt nicht mehr einkriegen konnten) durchaus nicht unwahrscheinlich erscheinen. Was bei Trixsi wichtig ist, ist die Chemie - und die stimmt "sowas von so", wie Rembert ausdrückte. Kein Wunder also, dass er das Allstar-Projekt des alten OB-Wiederholungstäters Jörkk Mechenbier weiland von der Minibühne weg für das Glitterhouse Label verpflichtete. Nachdem es auf dem Trixsi-Debüt noch Kinderkram für Erwachsene gab, ist das neue Werk subtil vielschichtiger ausgefallen und bietet auch echte musikalische Abwechslung. Auf der Bühne indes ging es schlicht und ergreifend nach vorne und durch die (nicht vorhandene) Decke. Evan Beltran von The Strangest machte sich einen Spaß daraus, noch vor der Show eine Photo-Op mit Trixsi zu crashen, wie das Jörkk am Tag zuvor bei The Strangest getan hatte.

Ein besonderer Auftritt war der der Berliner Band Hope - denn diese hat seit der Veröffentlichung ihres selbstbetitelten Debütalbums 2017 seither nur einen einzigen Track namens "Shame" veröffentlicht. Auch bei Hope kann es also nicht um Chartplatzierungen gehen - sondern eher um eine Art von Nibelungentreue, denn die Band nahm ihre Verpflichtung dergestalt ernst, dass sie sich eigens für ihren Auftritt beim OBS für ein einziges Konzert in diesem Jahr zusammenfand. Musikalisch boten Hope mit ihrem entspannt dräuenden, atmosphärischen Artpop mal eine Verschnaufpause zwischen den überwiegend rockenden Acts auf der Hauptbühne. Nach der Show begann es allerdings langsam zu regnen, so dass abzusehen war, dass wohl nur wenige Fans den Weg zum Meet & Greet finden würden. "Lass es uns aber doch trotzdem mal versuchen", ließ sich Keyboarder Martin Knorz nicht von dem Plan abbringen und trommelte die anderen Musiker zum vereinbarten Zeitpunkt zusammen. Und tatsächlich hatte sich eine Handvoll getreuer Fans beim Roadtracks-Stand versammelt, und versuchten gemeinsam das Problem zu lösen, dass alles Merch der Band schlicht und ergreifend tiefschwarz ist und keine deckenden Marker zum Signieren vorhanden waren. Und dann kam noch ein offensichtlich angetrunkener Fan zum Stand, zog sich den Kragen seines T-Shirts runter und verlangte von Sängerin Christine, dass sie auf seiner haarigen Brust signieren solle. "Das will ich aber nicht", erwiderte diese offensichtlich irritiert. Woraufhin Gitarrist Phillip Staffa vorschlug, auf dem Arm des Mannes zu unterschreiben. "Ist rot auch okay?", fragte er und malte dem Mann mit schelmischem Grinsen den ganzen Unterarm voll.

So richtig los ging das mit dem Regen dann aber erst im Folgenden beim Auftritt des niederländischen Trios DeWolff. Denn pünktlich zum Konzerbeginn ergoss sich eine wahre Sintflut über das Gelände, die durchaus an den legendären Sturm erinnerte, dessentwegen das letzte OBS zeitweise evakuiert werden musste. Das war natürlich für die Zuschauer nicht sehr lustig - durchaus aber für die Band. Und die Fotografen - denn die dicken Regentropfen auf der Linse machten alle psychedelischen Filter obsolet, um zu wahrlich bewusstseinserweiternden Fotoergebnissen zu kommen. Auch Frontmann Pablo gefiel dieses Szenario sehr gut: "Das Schöne daran war, ist dass eben alle nass waren", erklärte er nach der Show schmunzelnd, "das schafft ein Gefühl der Gemeinschaft." Als Live-Act sind DeWolff - ob mit oder ohne Regen - kaum zu bremsen. Im Prinzip machen DeWolff zwar "nur" Blues-Rock, der aber aufgrund großartigen Songmaterials und des Umstandes, dass die Band basslos agiert und sich Pablo nicht mit einem Gitarrenkollegen, sondern der Hammond-Orgel von Keyboarder Robin Piso herumschlagen muss, die Musik sehr schnell multidimensionale Formate annimmt. Das ist auch für jüngere Fans interessant, die sich im Folgenden die Tonträger von den Jungs signieren ließen - merkwürdigerweise aber auf die Frage, warum sie denn kein Selfie machen wollten erklärten, kein Handy zu haben. Komisch.

Kommen wir aber mal zum subjektiven Highlight des an subjektiven Highlights wahrlich nicht armen OBS 24: Dem Auftritt des Kanadiers Alex Henry Foster und seines Kleinorchesters. Die Sache ist die: Auf dem letzten Reeperbahn Festival vor der Pandemie hatte der kleine Poet, Musiker und Philosoph 2019 das Team vom OBS mit dem Ausruf "Jesusmariaundjosef, was für eine geile Show" für sich eingenommen und war seither Wunschkandidat #1 für das nächste OBS angepeilt worden. Woran liegt das? Nun: Alex Henry Foster ist so etwas wie everybody's Soulbrother. Und das im wörtlichen Sinn. Sein Anspruch geht weit darüber hinaus, die Fans mit munteren Popsongs unterhalten zu wollen. Sein Mission ist es, eine Art kosmisches Universum kollektiver Natur bei seinen Shows zu erschaffen und sich dabei ganz von der Kraft der Liebe, der Musik und der Spiritualität leiten zu lassen. Und das mit einer Art von Musik, die auf dem Papier dafür ganz und gar ungeeignet zu sein scheint - psychedelischem Art-Rock auf improvisatorischer Basis nämlich. Wie gesagt: Auf dem Papier. Im richtigen Leben sind Alex' Shows eine Art Naturgewalt, die den Zuschauer auf multilaterale Art in Beschlag nimmt. Im Falle der Show beim OBS war das zum Beispiel seine Reise durch das Publikum - auf den Händen desselben. Denn in zwei ausgedehnten Crowdsurfing-Trips ließ er sich von den begeisterten Fans kreuz und quer über das Gelände und wieder zurück tragen. Damit nicht genug: Um die kommunale Glückseligkeit dieser vertrauensbildenden Maßnahme zu demonstrieren, drückte er der in der ersten Reihe stehenden, unbeteiligten Zuschauerin Antonia seine Gitarre in die Hand und veranlasste die Fans, sie ebenfalls crowdsurfend auf Händen zu tragen. Unerhört - aber wunderschön - zumal die Band sich währenddessen in einen wahren Spielrausch steigerte. Keine Frage: Seit Teksti-TV 666 2017 die Ära des Crowdsurfing auf dem OBS feierlich eröffnet hatte, war Alex Ritt auf dem Publikum sicherlich das bisherige Highlight in dieser Richtung.
Pfingsten bedeutet ja auch Erleuchtung - und diese stellte das Set zweifelsohne dar.

Im Anschluss daran spielte die Britin Eliza Shaddad das abschließende Headliner Set des OBS 24. Warum nach dem fulminanten Auftritt von Alex & Co Elizas Auftritt überhaupt an dieser Stelle platziert worden war, wurde während desselben klar, denn Alex Henry Foster und seine Musiker hatten den Roadtracks-Stand eingenommen und setzten dort die Verbrüderungs-Messe mit den Fans bis weit nach dem Ende des Sets von Eliza fort. Aber zurück zur Musik: Rembert erklärte seine Faszination für Elizas Material damit, dass diese die Kunst des Arrangements beherrsche, die er selber nicht so recht verstehe. Für ihn sei etwas eben rockig und druckvoll - oder gerade nicht; Eliza könne aber eben alles. In der Tat erwies sich die anschließende Show der sympathischen Londonerin dann als musikalisch äußerst differenziert und vielschichtig. Somit hatte Eliza nach der Veröffentlichung ihrer zweiten LP "The Woman You Want" ihrer Musik viele Facetten hinzugefügt, die weit über bloße Rockmusik im klassischen Sinne hinausreichten. Auch gesanglich beeindruckte Eliza mit einer wandlungsfähigen Stimme, mit der sie einerseits durchaus lyrische musikalische Liebesbriefe vortragen kann - andererseits aber auch mühelos druckvoll gegen ihre Rocksongs bestehen kann. Übrigens vollkommen ohne dabei zu Röhren oder sonstwelche Powerfrau-Attitüden an den Tag zu legen. Wann hatte eigentlich zum letzten Mal ein Frau als Headlinerin auf der OBS-Bühne gestanden? Rembert ist also doch lernfähig.
Während Alex Henry Foster noch mal das Licht des eigentlich schon im Abbau befindlichen Roadtracks-Zeltes einschalten ließen, beschlossen Rembert und Simon das jetzt schon legendärste OBS aller Zeiten mit dem schlechtesten Drei-Tage-Witz aller Zeiten: Kommt ein Deutscher zum Schweizer Zoll. Meint der Zöllner: "Chaben sie Waren?" Meint der Deutsche: "Entschuldigen Sie: Müsste es nicht richtig heißen "sind Sie gewesen?"

Das mit dem Witz wird dann hoffentlich beim nächsten OBS besser - alles andere kann schlechterdings nicht besser werden. Wem dieser Bericht übrigens vielleicht zu unsentimental geraten erscheint, liegt das nicht daran, dass der Chronist gänzlich unberührt, besoffen oder komatös gewesen sein könnte: Es wäre aber schlicht und ergreifend unmöglich, alle Emotionen, die das diesjährige OBS begleiteten, adäquat in geeignete Worte zu betten (twittern kann man das ja sowieso nicht, wie wir wissen). Man hätte halt selbst dabei sein müssen, um dieses großartige, lebensbejahende Ereignis spirituell so richtig erfahren zu können - und nicht im Vorfeld nach Gründen suchen sollen, lieber nicht zu kommen...

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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
 

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