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Unterwasser-Traum

Pop-Kultur Festival 2022 - 3. Teil

Berlin, Kulturbrauerei
26.08.2022

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Public Display Of Affection
Der dritte Tag des Festivals stand erneut im Zeichen bahnbrechender Performances im Rahmen der Commissioned Works. Den Anfang machte ein Theaterstück namens "52 Jokers", das lose auf den Lebensentscheidungen seiner Protagonistin, der Underground Legende Little Annie basiert, die als Performerin - zusammen mit der finnischen Burlesque-Künstlerin Evilyn Frantic auch im Zentrum der Produktion stand. Die live gespielten Kompositionen zu diesem Stück stammte von Paul Wallfisch (Botanica), mit dem Little Annie bereits zuvor öfters zusammengearbeitet hatte und und Jim Coleman. Dazu gab es Visuals von Lola Coleman und Regisseurin Beth B.
Die szenischen Texte, die von allen Beteiligten gemeinsam erarbeitet wurden, basieren auf den Schriften, der Biographie und den Erinnerungen Little Annies, wobei diese in Form von Monologen, Liedern und Dialogen mit dem von Evilyn Frantic (multilingual auf englisch und phonetischem Deutsch) verkörperten jugendlichen Alter Ego Annies in einem szenischen Noir-Setting inszeniert wurden. Besonders beeindruckend geriet in diesem Zusammenhang neben der schonungslosen und selbstlosen Darbietung Little Annies auch durch eine Live-Piercing-Performance Evelyn Frantics, die sich auf der Bühne eine Reihe von Kanülen in den Arm setzte und dabei darüber resümierte, dass das Leben im Wesentlichen ja durch den Schmerz definiert werde.

Weniger schmerzlich aber ähnlich intensive war im Folgenden die Show "Photophobia" der brasilianischen Trans-Frau Sanni Est, die ihre politisch motivierten Anliegen in Sachen Gender-Equality, Awareness, Perspektiven, Transformation und Empowerment nicht bloß in Form von Songs, sondern einer multimedialen Tanzperformance zu synthetisch erzeugten Weltmusik-Grooves verdichtete, bei der sie - zusammen mit zwei Tänzer(innen) vor einem riesigen Backdrop agierte, auf das psychedelische Visuals mit Elementen aus der Ausstellung "PHOTOPHOBIA - The Preview" projiziert wurden. "Photophobie" ist dabei die Angst vor dem Licht - in dem Fall ein Synonym vor sicher geglaubten Erkenntnissen westlicher Denkweisen, die es in Frage zu stellen gilt, was Sanni Est mit einer Prose Provokation in ihrer Performance zum Ausdruck brachte. In wieweit diese beiden Performances in unterhaltungstechnischer Hinsicht funktionierten, musste dann jeder für sich entscheiden - auf jeden Fall machen Stücke wie diese aber die eigentliche Faszination eines Besuches des Pop-Kultur-Festivals aus.

In der Alten Kantine spielte derweil die Kölner Musikerin Hanitra "Vaovao" Wagner (neben Stella Sommer die andere Hälfte von Die Heiterkeit) mit Erwartungshaltungen, einer Geige, einem Fächer, Chimes, ihrem Image und ihren madagassischen Roots. Begleitet von einem im Dunkeln munkelnden Mit-Musiker präsentierte sie ein ebenso vielseitiges, wie überraschendes Set, in dem sie ihre deutschsprachigen assoziativen Lyrics eben nicht in hip-hop-orientierten Deutschpop-Szenarien einsetzte, sondern in einem fast schon avantgardistischem Soundmix aus Elektronika-, Krautrock-, Ambient- aber auch Folklore- und Klassik-Elementen (die spielt u.a. eine elektrische Geige) zu einem so noch nie dagewesenen klanglichem Panoptikum verdichtete. Warum sie das allerdings nahezu emotionslos und dezidiert distanziert tat, war nicht klar.

Auch die US-Künstlerin Xenia Rubinos hatte ein eigenes Anliegen - nämlich zusammen mit ihren beiden Mitmusiker(innen) die kulturelle Identität ihrer karibischen Roots deutlich zu machen, und in einer exaltierten Performance, beeindruckend abenteuerlichen Kostümen und einer ausgefeilten Dramaturgie die Voodoo- und Santeria-Einflüsse in ihrem als jazzigen R'n'B-Pop ausgelegten Songexperimenten zum Ausdruck zu bringen. Eigentlich hätte das für eine gelungene Show ja schon gereicht - aber Xenia ließ sich im Folgenden dann noch dazu hinreißen, den Tod von George Floyd auf die Praktiken des israelischen Staates zu beziehen und sich mit Denjenigen zu solidarisieren, die dem Festival aufgrund des Boykott-Aufruf des BDS ferngeblieben waren. Was das Eine mit dem Anderen zu tun habe und wieso sie dann selbst aufgetreten war und sich dafür mit den Worten "Thanks For Having Me" bedankte, erklärte sie indes nicht.

Im Frannz Club spielte sich danach Berlins aktuelle Indie-Queen Thala mit ihrer Band und einem offensichtlich aus lauter Freunden und Bekannten bestehenden Publikum in eine Art Rausch. Bemerkenswert ist das insofern, als dass Thala ja eigentlich eher für melancholische Indie-Pop-Balladen bekannt ist. Dieses Mal wurde jedoch ordentlich abgehottet. Nachdem Thala sich zunächst auffällig oft mit ihren Gitarristen duelliert hatte (auf einen Keyboarder hatte sie dieses Mal verzichtet), animierte sie das bereitwillige Publikum dazu, ihr den langgehegten Wunsch zu erfüllen, es doch wenigstens mal mit einem kleinen Moshpit zu versuchen. Sie selbst ließ sich dazu auf den Rücken fallen und musizierte Rockstar-mäßig weiter. Aber nicht ein mal diese Art von unterhaltungstechnischem Körpereinsatz konnte die Techniker des Frannz Club bewegen, die Bühnenbeleuchtung auf ein vernünftiges Maß hochzuregeln.

Das galt natürlich auch für den Auftritt von Public Display Of Affection - einem neuen Allstar-Projekt, bei dem sich der Gitarrenheld Jesper Munk, die Ausdruckstänzerin Madeleine Rose, der walisische Punk-Prophet Lewis Lloyd und der Berliner Drummer Anton Remy zusammengetan haben, um mal auszuloten, was an performerischen Rock'n'Roll-Extremen auch heutzutage noch möglich sein könnte. Zu knackigen Postpunk-Gassenhauern wirbelte Madeleine Rose als irrwitzige Frontfrau und Vortänzerin mit hanebüchenen Verrenkungen hyperaktiv über die Bühne (und später durchs Auditorium) als gäbe es kein Morgen mehr - und demonstrierte damit jene Art von tanztechnischem Wahnsinn, wie ihn zuletzt die australische Pop-Queen Sia mit ihre Muse Maddy Ziegler im Videoformat an den Tag gelegt hatten. Jesper Munk und Lewis Loyd gefielen sich dazu mit coolen Rockposen am Bühnenrand und wagten aber auch Ausflüge ins Publikum. Auch hier wieder gab es - Kunstnebel und Schummerlicht sei Dank - weit weniger zu sehen, als wünschenswert gewesen wäre - eine performerische Offenbarung war dieses Konzert aber dennoch.

Eine ganz andere Art von Performance demonstrierte die britische Pop-Queen Hannah Diamond im Folgenden im Maschinenhaus. Die Sache ist dabei die, dass hier nicht die Künstlerin Hannah Amond (so ihr bürgerlicher Name) im Vordergrund steht, sondern deren Bühnenpersona Hannah Diamond - und das visuelle Konzept, dem sich das Ganze unterordnet. Zurechtgemacht wie ein (wasserstoffblonder) Animé-Charakter tanzte Hannah Diamond vor einer Leinwand herum, auf der schnieke, im Rhythmus der Musik geschnittene Visuals und Animationen zu sehen waren, die auf ihren Arbeiten im Bereich der Mode-Fotografie basierten. Instrumente und Musiker gab es keine auf der Bühne. Lediglich ein Pad-Board, mit dem Hannah die verschiedenen Backing-Tracks triggerte, stand auf dem Boden. Dazu sang Hannah konsequent durch einen Autotune-Filter (was im Vorfeld ihrer LP-Veröffentlichung "Reflections" 2019 dazu geführt hatte, dass Mutmaßungen im Raum standen, dass Hannah Diamond gar keine richtige Person sei, sondern ein generierter Avatar). Musikalisch gab es da rein elektronischen Bubblegum-Pop mit naiven Kindermelodien, die indes von dem begeisterten Publikum frenetisch gefeiert und mitgesungen wurden. Gegen Ende der Show schlichen sich dann zunehmend Club-, Disco- und Techno-Elemente ins Geschehen und Hannah animierte das Publikum auch, den bis auf den letzten Platz gefüllten Club in einen einzigen Party-Hexenkessel zu verwandeln. Obwohl es sich technisch gesehen dabei ja gar nicht um echte Live-Musik handelte (sondern um eine Playback-Show), zeigte der begeistert Zuspruch des Publikums (zu dem übrigens auch einige gut situierte Indie-Musikerinnen gehörten), dass auch solche Shows durchaus eine Berechtigungen im Festival-Programm haben. Übrigens ließ die Sache (mit Visuals) dann noch eine ganze Weile weiter, als Hannah selbst die Bühne bereits verlassen hatte. Go figure!
Als abschließendes Fazit lässt sich vielleicht sagen, dass das Pop-Kultur Festival 2022 wieder ein Mal die Aufgabe der vielfältigen Kulturpflege in eindrucksvoller Weise demonstrierte, dass allerdings das dicht gedrängte Programm an lediglich drei Abenden einen entspannten Genuss des Angebotes nahezu ausschloss - einfach weil sehr viel mehr ausgelassen werden musste, als wahrgenommen werden konnte. Eine Aufteilung auf vier Tage (wie im letzten Jahr) und ein jeweils früherer (und versetzter) Beginn des Programmes wären für die Zukunft dringend anzuraten.

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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
 

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