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Konzert-Bericht
 
Schlaflieder für Mikronesien

Tom Liwa & Florian Glässing

Köln, Underground
14.05.2002

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Tom Liwa & Florian Glässing
Das schöne bei Tom Liwa Konzerten ist ja, daß er diese immer mit ausgesucht exquisiten, klassischen Darbietungen von CD einläutet. Da sitzen dann schon mal alle auf dem Boden. Das fördert die Aufmerksamkeit. Und das war auch nötig. Zunächst mal ist zu bemerken, daß unglaublich viele unglaublich kleine und unglaublich junge Leute dem Konzert beiwohnten. Keine Kinder, wohlgemerkt, sondern junge Leute mit Piercings, Tattoos und "Atomkraft Nein Danke" Pins. Einige hatten sogar Fahnenwimpel vor sich aufgebaut, um Tom und Florian zu huldigen. Ein richtiger kleiner Fahn-Club war das (har, har). Das ist wichtig und großartig. Denn so lange die jungen Leute bei Tom Liwa sitzen, können sie ja nicht in Discos rumhängen und Drogen nehmen. (Nun ja - zumindest nicht in Discos rumhängen). Und: Es macht einen dann doch wieder an das Gute im Menschen glauben und auf die nachgeborenen Generationen hoffen.
Dann ging's allerdings doch irgendwann los mit der Musik. Das neue Album von Tom und dem Freundeskollegen Florian Glässing heißt "Lopnor" - nach einem Wandersee in China. Ein Wandersee sei ein See, der jedes Jahr um eine gewisse Strecke wandere und somit - die korrekte Richtung vorausgesetzt - in ein paar hunderttausend Jahren bei uns sein könne - informierte uns Tom. Wenn das einer Anspielung auf die Geschwindigkeit der Musik des Abends gewesen sein sollte, war das der Knaller schlechthin. Gleich nach den ersten Stücken überkam einen nämlich der Verdacht, daß Florians Ankündigung zu einem Song, das sei jetzt das "einzige traurige Liebeslied des Abends", Delusion pur war. Mal abgesehen von einigen diesbezüglichen Ausfällen (Florians geschickt orchestriertes "Modern Basics" zum Beispiel oder die Cover Version von Nick Drake's "Black Eyed Dog") spielte sich doch alles innerhalb eng abgesteckter, monochromatischer und sehr spröder Akkorde ab. Und sehr langsam. Nun ist das Tom Liwa solo zuweilen ja auch (spröde und langsam) - aber: Zugleich auch zynisch, witzig, kurzweilig und überraschend. Florian Glässing hingegen ist nur tiefsinnig und ernsthaft. Zusammen ergab das einen gewissermaßen erschreckenden Effekt: Obwohl sich bis zu vier Gitarren - darunter eine 12-saitge, ein Keyboard und eine Ballalaika auf der Bühne befanden, konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Tom Liwa ALLEINE musikalisch für gewöhnlich mehr leistet, als die beiden zusammen. Wenn schon zwei Leute zu Gange sind, dann muß nicht immer einer Pause machen, wenn der andere spielt bzw. nur die Hälfte spielen, wenn beide zusammen agieren. Natürlich gab's schöne Momente - meist jedoch im Zusammenhang mit Liwas Anekdötchen ("Florian trägt eine Sonnenbrille, weil er sich gestern bei einem Interview die Augen verbrannt hat. Das ist kein Rockstargehabe oder sonst so ein aristokratischer Scheiß") oder aber zuweilen im Harmoniegesang Liwa/Glässing (der indes ein wenig arg tief angesetzt war) oder aber im Dialog mit dem Publikum.

Ansonsten war dieses Konzert aber eher einschläfernd geraten. Nun haben ja Schlaflieder für kleine Leute durchaus auch etwas Besänftigendes - insofern sei mal diese Äußerung auch bitte nicht als Kritik an den Personen Liwa / Glässing (oder den kleinen Leuten) mißzuverstehen. Nur: So richtig das letzte aus den gegebenen Möglichkeiten herausgeholt haben sie an diesem Abend gewiß nicht. Es war hingegen amüsant, den offensichtlichen Gegensatz zwischen den Protagonisten zu beobachten und die Art, in der sie sich - zumindest verbal - die Bonmots zuwarfen. Und das Publikum hing ja auch stecknadelfallenhörend an den Lippen des jeweiligen Vortragenden (im Underground schon durchaus selten zu beobachten). Insofern war das auch kein verlorener Abend - nur eben ein ermüdender. Und: So etwas ist immer noch integerer und konsequenter, als so manche Darbietung vielleicht musikalisch effizienterer aber weniger charismatischer Charaktere.

Text: -Ullrich Maurer-

Florian Glässing
BACKSTAGE MIT: FLORIAN GLÄSSING

Wenige Tage vor dem Kölner Konzert traf Gaesteliste.de den Liwa Protegé vor der Show im Essener Grend.

Gaesteliste.de: Bisher bist du eher im Windschatten von Tom gefahren...

Glässing: "Das ist okay, denn das ist im Prinzip meine einzige Basis. Alle Kontakte, die ich habe, laufen über Tom, und die wenigen, die nicht über ihn gelaufen sind, verliefen im Sande, als sich Himmel [Florians alte Band] aufgelöst haben. Trotzdem bin ich froh, daß wir auf dieser Tour nun vom Bühnenbild und den Postern her zum ersten Mal gleichberechtigt nebeneinander stehen. Vielleicht wäre es ja jetzt Zeit für den Absprung? Allerdings muß ich zugeben, daß ich auf Tom immer noch extrem angewiesen bin."

Gaesteliste.de: Apropos Absprung: Wie groß war der Einschnitt durch die Auflösung von Himmel?

Glässing: "Ziemlich groß! Vielleicht gar nicht so vom Musikalischen, aber auf jeden Fall vom Persönlichen her. Ich hatte zwar schon immer das Gefühl, daß ich den größten Teil zu der Musik beigetragen habe, weil ich die Songs ja alleine für mich geschrieben habe. Aber es war halt eine richtige Band, in der wir auch die Arrangements gemeinsam gemacht haben, und deshalb war auch der Teil, der von Lars - dem zweiten Gitarristen, der dann ausgestiegen ist - kam, essentiell. Das hat den Songs noch mal etwas gegeben, das jetzt nicht mehr in meiner Musik ist. Ich habe danach auch ewig lange keine Songs mehr geschrieben. Ich habe - gerade auch in Berlin - probiert, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten, aber das kam nie an Himmel dran."

Gaesteliste.de: Wie wichtig sind deine - fast möchte man sagen - ständigen Ortswechsel für deine Musik?

Glässing: "Was in meinen Songs noch viel mehr drin ist als in denen von Tom ist diese - in Ermangelung eines besseres Wortes - Heimatlosigkeit. Ein Ort wie ein Zuhause gibt es im Moment für mich noch nicht, da gibt es ja auch den Song dazu. Das ist aber etwas, nach dem ich mich sehr sehne und was ich jetzt auch in die Hand nehmen muß. Ich denke nämlich schon, daß es für die Songs wichtig ist, daß man eine Basis hat, einen Ort, an dem deine Quellen sind. Darauf hat ja auch Tom immer sehr geachtet. Diese Verlorenheit und Entwurzelung steckt aber in der Musik ziemlich drin. Das ist wahrscheinlich ein ziemlich starker Motor für mich."

Gaesteliste.de: Wie müssen wir uns die Zusammenarbeit bei "Lopnor" vorstellen?

Glässing: "Einer hat den Song und den Text geschrieben, und damit war die Struktur klar. Ansonsten ist es bei uns selten so, daß wir irgendwelche Differenzen haben. Meistens begeistern uns die gleichen Ideen. Genau das macht auch unsere Zusammenarbeit aus - wir diskutieren sehr wenig darüber, wie etwas zu sein hat, wir spielen einfach zusammen, und dann wird sehr schnell klar, wann etwas so ist, wie es sein muß. Allerdings hat derjenige, der den Song geschrieben hat, dennoch das letzte Wort."

Gaesteliste.de: Während Tom ausschließlich speziell für diese Platte geschriebene Songs beisteuert, finden sich unter deinen Songs auch zwei alte Himmel-Stücke...

Glässing: "Es gab Stücke, die mir total wichtig waren, 'Ich mach Musik' zum Beispiel. Nicht zuletzt, weil sich in all den Jahren das, wovon der Song handelt, nicht verändert hat. Meine Einstellung zum Musikmachen ist immer noch die gleiche. Bei 'Fingerabdrücke' war es ähnlich - ich hatte davon eine Celloversion, die ich unbedingt mit auf der Platte haben wollte. Im Gegensatz zu Tom bin ich auch kein exorbitanter Songschreiber, ich brauche schon zwei Jahre, um Songs für eine Platte zu sammeln. Allerdings habe ich mich auch nie voll darauf konzentriert. Ich war wohl zu stolz oder vielleicht auch nicht mutig genug, mich in die Abhängigkeit zu begeben, mich nur auf die Musik zu beschränken. Das wollte ich einfach nicht, deshalb habe ich ja zum Beispiel auch weiter studiert. Ich habe auch lange Zeit damit verbracht, daß ich Abend für Abend da gesessen habe und einfach keinen Song schreiben konnte - es ging einfach nicht. Einige Songs auf 'Lopnor' handeln auch von der Schwierigkeit zu schreiben. Deshalb hat die Platte auch einen ganz eigenen Charakter. Wenn ich alleine Songs aufnehmen würde, klängen die auf jeden Fall ganz anders."

Gaesteliste.de: Würden die heute noch so klingen wie Himmel? Oder was wäre anders?

Glässing: "Es wäre auf jeden Fall lauter und in sich komplizierter. Das Niedliche wäre weg - und auch die Unschuld!"

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Text: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Stefan Claudius-

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