Fast auf den Tag genau acht Jahre sind seit dem letzten Gastspiel von Allysen Callery in Oberhausen vergangen, doch untätig war die amerikanische Singer/Songwriterin, für die "Ghost Folk" Genrebezeichnung und der Titel ihrer aktuellen LP zugleich ist, natürlich nicht. Zwei Alben (und eine Compilation mit Raritäten und Obskuritäten) sind seitdem entstanden, und obwohl die Pandemie auch Callerys Pläne gleich mehrfach durchkreuzt hat, überwiegt an diesem Abend bei ihr doch die Freude, nach all den Jahren zum Auftakt ihrer kurzen Europatournee wieder zurück in der Stadt zu sein, die für sie gewissermaßen eine zweite Heimat ist, schließlich hat in Oberhausen das Conaisseurlabel Cosirecords seinen Sitz, das sich seit Jahren mit viel Liebe um die Veröffentlichungen Callerys kümmert.
|
Doch auch wenn seit Callerys letztem Abstecher nach Oberhausen viel Zeit vergangen ist, ihre Musik ist und bleibt zeitlos schön. "Mit ihren wunderbar zerbrechlichen Fingerpicking-Folk-Songs, die leise, aber nie zu melancholisch, wundersam, aber nicht zu abgedreht, verträumt, aber trotzdem nicht vollkommen realitätsfern sind, entführte sie ihr Publikum an einen besseren Ort", schrieben wir an dieser Stelle über ihr Konzert im Jahre 2014 an gleicher Stelle, und viel besser könnten wir es auch dieses Mal nicht beschreiben.
Während Callery sich damals den Abend mit ihrem Labelkollegen Ryan Lee Crosby teilte, gehört ihr nun die Aufmerksamkeit allein. Mehr als zwei Stunden - eine ungeplante zweite Zugabe inklusive - nimmt sie sich Zeit, um gemeinsam mit ihrem bemerkenswert aufmerksamen Publikum in den Soundkosmos des britischen Folk-Revivals der späten 60er und 70er in Großbritannien einzutauchen und dabei mühelos traditionalistische Tugenden mit einem Faible für die Gothic-Kultur zu verbinden. Der kleine, holzvertäfelte Saal des AKA 103 entpuppt sich derweil einmal mehr als idealer Ort, um die besondere Magie intimer Folksongs perfekt zur Geltung zu bringen, zumal viele der Lieder, die Callery an diesem Abend singt, eng mit ihrem Leben verknüpft sind. "Little Bird" handelt von ihrer Tochter Ava, die inzwischen selbst Musikerin ist, das von Ingmar Bergmans Filmen inspirierte "It's Not The Ocean" widmet sie ihrem Ehemann Ted Hayes, der sie erstmals in Europa auf Tournee begleitet, und mit einem kurzen Instrumental erinnert sie an ihren früh verstorbenen Vater, der in ihr einst das Interesse für die Musik und das Gitarrenspiel geweckt hatte.
Doch auch vor ihren Idolen zieht sie den Hut. "November Man" aus der aktuellen "Ghost Folk"-LP ist ihre Hommage an Nick Drake, und einige an den genau richtigen Stellen eingestreute Coverversionen lassen Einblicke in ihre musikalische Sozialisation zu, wenn sie Jahrhunderte alte britische Balladen wie "Willy O' Winsbury" interpretiert, sich aber mit Songs von Johnny Cash ("Long Black Veil") und Gordon Lightfoot ("Sundown") auch jenseits des klassischen Folk-Terrains bewegt. Ganz besonders gelungen ist die Version von Neil Youngs "Like A Hurricane", die sich in Callerys Version wunderbar langsam und leise entfaltet und klingt wie ein uralter englischer Fingerpicking-Folksong.
|