Pünktlich um halb neun hatten die Backliner dann die Bühne für Wilco hergerichtet. Und das alleine war schon ein Schauspiel. Man muß lange zurückdenken, wann eine vierköpfige Band soviel Equipment mit sich herumgeschleppt hat! Keyboards, Orgel, Synthi, eine beängstigend große Anzahl von Effektgeräten, fast ein Dutzend Stromgitarren und ein Schlagzeug, das neben dem üblichen Set-Up noch aus synthetischen Drums, einem Glockenspiel sowie diversem anderen Krimskrams bestand. Und damit der Baßmann John Stirratt (der mit einem coolen 70s "Air France"-Shirt angetreten war) nicht zurückstehen mußte, war für ihn zusätzlich noch eine Fußorgel installiert worden. Bei fast jeder anderen Band wäre der Verdacht der Effekthascherei aufgekommen, aber Wilco setzten den Wust an Technik und Instrumenten mit so viel Charme und so unpathetisch - noch dazu in äußerster Perfektion - ein, daß es eine wahre Freude war. Denn die vier schafften es, die vertrackten Arrangements der Platte 1:1 auf der Bühne zu reproduzieren - und zwar nicht im Sinne einer langweiligen Kopie, sondern im Sinne einer kongenialen Übertragung. Jedenfalls war es ein echtes Schauspiel zu sehen, wie Schlagzeuger Glenn Kotche gleich beim Opener "I Am Trying To Break Your Heart" ein halbes Dutzend Arme wuchsen und er mit traumwandlerischer Sicherheit über die Batterie fegte wie computergesteuert. Oder wie Leroy Bach nicht nur zwei Tasteninstrumente gleichzeitig spielte, sondern zwischendurch immer noch Zeit fand, in die Saiten zu greifen oder - wie beim stark ohrwurmgefährdeten "War On War" - Jeff noch gesanglich zu unterstützen. Der beschränkte sich in den ersten zwanzig Minuten darauf, die Musik sprechen zu lassen, doch danach zeigte sich schnell, daß er den Ruf des schüchternen, stets etwas griesgrämigen Schweigers zu Unrecht hat. Zum einen warf er gleich mehrmals die vorher ausgetüftelte Setlist spontan über den Haufen, zum anderen stellte er dem Publikum - gut gelaunt wie selten - Fragen wie: "Wer hat die Platte? Äh, ich meinte CD, die Disc. Wir sind alt, wir sagen noch Platte!", nur um kurz darauf selbst die Antwort zu geben: "Ich habe sie jedenfalls!" Und zu "Heavy Metal Drummer" merkte er an, daß er gerne den Namen einer deutschen Heavy Metal Band in den Text eingebaut hätte, aber: "Die waren alle zu lang, deshalb nehmen wir KISS!" Aber natürlich haben Wilco allen Grund zu guter Laune, schließlich passiert es nicht vielen Bands, daß sie von ihrem Label wegen einer angeblich zu unkommerziellen Platte gefeuert werden, die dann - ohne einen Ton verändert zu haben - bei einer anderen Plattenfirma auf Anhieb auf einen von Wilco zuvor nie erreichten Platz 13 der US-Charts erklimmt!
Wenn an der Show überhaupt etwas zu kritisieren war, dann höchstens, daß die Setlist zu Anfang etwas vorhersehbar ausfiel. Das Mainset bestand zu 3/4 aus den "Yankee Hotel Foxtrot"-Songs, der Rest stammte ausschließlich vom Vorgänger "Summerteeth". Wobei man sich natürlich nicht beschweren kann, wenn Wilco Songs wie "Can't Stand It" oder die Ballade "How To Fight Loneliness" zum Besten geben. Das bislang unveröffentlichte Stück "If Not For The Season" gab der Band - im krassen Gegensatz zu Jeffs netter Solo-Version vor einigen Monaten in Hamburg - Gelegenheit, eine Krachorgie Sonic-Youth'scher Schule zu veranstalten, nur, um sich danach mit "Reservations" sanft und noch viel langsamer als auf der Platte zu verabschieden. Zugaben gab's natürlich auch, wenngleich ob des vom Club gesetzten Zeitlimits nicht in der gewohnten Ausgiebigkeit. Daß der Curfew ausgerechnet die beiden wohl besten Songs des derzeitigen Wilco-Repertoires, "Spiders" und "Jesus, Etc.", zum Opfer fielen, war jammerschade, aber immerhin konnten uns Wilco mit "Hesitating Beauty" und dem Gute-Laune-Klassiker "California Stars" mehr als nur entschädigen. Ganz zum Schluß wurde es dann sogar noch ungewohnt hart und schnell, passend zum Freitagabend holte die Band nämlich noch einige ihrer besten Partynummern aus der Versenkung: "Outta Site" zum Beispiel oder "I Got You". Ein letzter Blick zurück, ein kurzes Winken zum Abschied und weg waren sie.
Das ebenso Erstaunliche wie Erfreuliche an der Show war, daß Wilco problemlos das Publikum in ihren Bann ziehen konnten und ohne Zweifel eines der Konzerthighlights des Jahres abgeliefert hatten, ohne auch nur im entferntesten irgendwelche Rock N Roll-Klischees bemühen zu müssen. Und das macht Wilco so groß: Understatement in Reinkultur.