Die folgende Umbaupause bestand dann einfach daraus, dass ein Roadie Harrisons Mikro abbaute und Jon Middleton Sierras Mellotron hereintrug und anschloss. Dabei trug er übrigens noch eine schneidige Lederjacke. Als Jon und Sierra dann auf die Bühne traten, und das Set mit "We Fall In" begannen, hatte er ein lappiges T-Shirt und ein altes Käppi aufgesetzt. Ohne Frage sind Ocie Elliott die Meister des Understatements schlechthin. Performerisch jedenfalls geht es einzig um die Songs - und den Gesang. Denn auf die Frage, was ihn eigentlich angetrieben habe, mit Sierra das Projekt Ocie Elliott zu initiieren, hatte Jon mal gesagt, dass es ihm darum ginge, jenes Gefühl wieder zu evozieren, das er und Sierra gefühlt hatten, als sie das erste Mal zusammen gesungen haben. Kein Wunder also, dass Ocie Elliott-Konzerte stets eine besonders intensive, intime Sache sind. Meist singen Jon und Sierra mit geschlossenen Augen - pflegen sich aber danach stets glücklich anzulächeln; ganz so, als haben sie das angesprochene Ur-Gefühl tatsächlich wieder verspürt.
Musikalisch passiert da eigentlich gar nicht so viel. Zwar spielt auch Jon Middleton virtuos, aber zurückhaltend Gitarre und Sierra entlockt ihrem Instrument allerlei überraschende Klangfarben - aber im Wesentlichen tragen alleine die Songs das Geschehen. Und die sind so hinreißend komponiert, werden so empathisch vorgetragen, und sind so prägnant auf das Wesentliche verdichtet, dass es da keine Sekunde Redundanz, Langeweile oder gar irgendwelche Längen gäbe. Kein Wunder also, dass man nun wirklich während der ganzen Show die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können - denn mit dieser fast schon spirituellen Attitüde zogen Jon und Sierra das Publikum mühelos in ihren Bann. Das haben sie früher zwar auch schon getan - aber eben nicht als Headliner vor mehreren hundert Zuschauern. Fast wirkte das, als wäre es Jon und Sierra unangenehm auf der Bühne zu stehen - das täuscht aber. Man darf hier nicht die performerische Intensität mit einer Distanz zum Publikum verwechseln.
So richtige Entertainer sind Jon und Sierra zwar nicht - aber ein paar Ansagen leistete sich das Pärchen von Vancouver Island dann doch schon. So überraschte Sierra zunächst mal mit einer Vorstellung auf akzeptablem Deutsch und im Folgenden wechselten sich Jon und Sierra ab, als es darum ging, die Stories hinter einigen ihrer Songs zu erläutern - beispielsweise die von dem Song "Tracks", der nach einer abenteuerlichen Wanderung in der kanadischen Wildnis entstanden war, auf der es aber zum Glück in regelmäßigen Abständen Kneipen gefunden hätten. Ernster ging es dann zu, als Sierra die Geschichte hinter dem neuen Song "What Remains" - dem Titeltrack der vor einigen Wochen veröffentlichten aktuellen EP - erzählte. Diesen Song hatte sie nämlich zu der Zeit geschrieben, als ihr Vater eine Krebsdiagnose erhalten hatte und sie diesen dann vier Wochen Zeit mit ihm verbrachte, bis er schließlich verstarb. Dadurch hätte der Song eine ganz neue, heilende Bedeutung gewonnen und wurde zu einer Hymne an das Vermächtnis ihres Vaters. Und dessen Lieblingssong, "Run To You", gab es dann um Folgenden gleich hinterher.
Damit wären wir übrigens beim Thema dieser Geschichte: Was bleibt eigentlich nach einer Show von Ocie Elliott? Irgendwie deutlich mehr als nach einem Besuch eines Konzertes üblicherweise bleibt, denn Ocie Elliott nehmen die Hörer mit auf ihre Reise auf der Suche nach der Magie der performerischen Glückseligkeit, auf die sie sich selbst mit jeder Show begeben. Und so etwas hinterlässt einen nachhaltigeren Eindruck als etwa die flüchtige Erinnerung an irgendwelche handwerklichen Highlights oder perfekt reproduzierte Lieblingssongs. Ein Ocie Elliott-Konzert ist eine Art musikalischer Ganzkörpererfahrung für alle relvanten Sinne. Das musste einfach mal gesagt werden.