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Alle guten Dinge sind drei

Synästhesie Festival

Berlin, Kulturbrauerei
18.11.2022

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Jon Spencer
Auch das Berliner Synästhesie Festival hatte die Pandemie-Phasen der letzten Jahre mit Würde und Anstand überstanden - mit einer virtuellen Ausgabe und einer pandemiegerechten im letzten Jahr. Dieses Jahr gab es die insgesamt siebte Auflage der aus dem Umfeld der 8mm-Bar hervorgegangene, inzwischen flügge gewordenen Veranstaltungsreihe wieder im gewohnten Format. Was früher mal als Krautrock-Revival vom 8mm-Macher Alex "Olli" Remzi ins Leben gerufen worden war, erwies sich in der 2022er Auflage als bemerkenswert breit gefächertes Angebot ohne wirklichen stilistischen Schwerpunkt.
Im Vergleich noch zum letzten Jahr war das Festival übersichtlicher strukturiert und auf jeweils drei Spielstätten in der Berliner Kulturbrauerei beschränkt. Das führte dann - dank einer geschickten Staffelung der Anfangszeiten - dazu, dass die Zuschauer in diesem Jahr mehr Acts begutachten konnten, als noch im letzten - vorausgesetzt, man hatte nicht den Anspruch, jede Show von Anfang bis Ende sehen zu wollen.

Los ging es am Freitag Abend im Maschinenhaus nach einer kurzen Ansprache der Synästhesie-Macher gleich mit einem gelungenen Coup: Das aus Brescia stammende italienische Ensemble Kick um das Duo Chiara Amalia Bernadini und Nicola Mora überraschte mit einem coolen Mix aus Shoegaze-Dreampop, Kaputnik-Blues und vor allen Dingen sympathisch hakeligen Grunge-Riffs, die der Sache unerwartet druckvolle Akzente versetzte. Ein schönes Gimmick hatte man sich in diesem Jahr für diese Spielstätte ausgedacht: An den beiden Bühnenseiten hatten nämlich je zwei "Live-Psychedeliker" ihre Overheadprojektoren aufgebaut, mittels derer im Hintergrund durch getropfte, verquirlte und vermischte farbige Flüssigkeiten manuell sich überlagernde psychedelische Zufalls-Muster auf die Rückwand des Clubs projiziert wurden.

Grunge Riffs gab es auch bei der nachfolgenden Rock'n'Roll-Revue der Darmstädter Musikerin Gwen Dolyn und ihrem kunterbunten Ensemble namens Toyboys im Kesselhaus. Der rockige Tenor mit dem sich Gwen & Co. mit jeder Menge performerischer Chuzpe präsentierte, stand der Truppe recht gut, denn die bisher veröffentlichten Studioproduktionen fallen mit ihrer New Wave Pop-Ästhetik im Vergleich zur mitreißenden Bühnenshow ziemlich blass aus. Mit kämpferischer Note, coolen Rockstar-Posen und bilingual leitete Gwen ihre Regenbogen-Bande durch eine kurzweilige Rockshow mit Empowerment-Faktor.

Der Australier Jarrod M. Mahon macht zwar schon seit 2017 Musik unter dem Projektnamen Emerson Snowe, hat aber erst mit seinem Umzug nach Berlin seine eigentliche musikalische Berufung gefunden. Mit einer Allstar-Band aus Berliner Musikern lieferte er im Maschinenhaus eine mitreißende Power-Pop-Show mit jeder Menge potentieller Hits und einer mitreißenden Highspeed-Coverversion des The Cure-Klassikers "Friday I'm In Love". Schade eigentlich, dass man aufgrund der gedämpften Beleuchtung die körperlich durchaus ambitionierten Exaltationen kaum sehen konnte - jedenfalls verausgabte sich der Mann mit seinen Antitanz-Moves und spastischen Luftsprüngen bis an den Rand des Zusammenbruchs.

Freilich: Im Gegensatz zu den Veranstaltungen, die an diesem Tag in der dritten Spielstätte - dem Frannz Club - stattfinden sollten, war die Beleuchtung im Maschinenhaus durchaus noch akzeptabel. Eingehüllt in dichte Kunstnebel-Wolken und ohne wirkliche Beleuchtung musste sich die deutsch/brasilianische Berlinerin Gloria de Oliveira mit ihrer Band durch ihre eh schon schattenlastigen Noir-Dreampop-Ambient-Kompositionen tasten. Gerade hat die Gute die Zusammenarbeit "Oceans Of Time" mit dem David Lynch-Protegé Dean Hurley veröffentlicht, mit der sie sich vom klassischen Songformat hin zu einer klangmalerischen Ästhetik entwickelte. Ihre Show im Frannz Club lag irgendwo zwischen den beiden Extremen. Sofern man das beobachten konnte, scheint Gloria eine sympathische zurückhaltende Bühnenpräsenz ohne große Rockstar-Ambitionen ihr Eigen zu nennen, mit der sie sich hinter ihren Songs zurück nimmt.

Im Kesselhaus bewies Berlins "härteste und lauteste" Band Gewalt, wo in Sachen Postpunk mit deutschen Texten der Hase langzulaufen hat. Patrick Wagner und seine beiden Damen Helen Henfing und Jasmin Rilke überzeugten dabei vor allen Dingen durch geradlinige Kompromisslosigkeit und unerbittliche Härte. Damit kamen sie den Prinzipen des Krautrock von allen Acts an diesem Wochenende vielleicht noch am nächsten. Nur dass die Musik von Gewalt - nun ja - eben ziemlich gewalttätig dargeboten wird. Das mag sich jetzt abschreckend anhören - war aber dann aufgrund der großen Ernsthaftigkeit mit der Gewalt ihr Geschäft betreiben, recht unterhaltsam und auch kurzweilig.

Altmeister Tricky tat im Folgenden das, was er am Besten kann - und was man von ihm auch erwartete: Kaum dass er mit seinem dreiköpfigen Ensemble die Bühne des Kesselhauses betreten hatte, forderte er, die Beleuchtung auszuschalten und verbrachte die restliche Show - gerne auch mal mit dem Rücken zum Publikum - in den dunkelsten Ecken der Bühne. Musikalisch verweigert sich der Mann, der dereinst den Trip-Hop-Stil mit entwickelte, auch heutzutage noch allen Konventionen und präsentierte - unterstützt von einem Drummer, einer Gitarristin und einer Vokalistin - einen kruden Mix aus Rock-Riffs, Spoken Word-Einlagen, harten Beats und Düster-Grooves. Das alles wurde ohne festen Rahmen mit einer gewissen improvisatorischen, fragmentarischen Energie dargeboten - wobei Tricky selbst sich allerdings nuschelnd und grunzend selbst negierte.

Das Berliner Psychedelia-Rock-Ensemble Suns Of Thyme stand nach einer längeren Auszeit erstmalig wieder gemeinsam auf der Bühne, wie Frontmann Tobias Feltes meinte. Zu spüren war das allerdings nicht: Die psychedelisch aufgebohrten Rocksongs der Suns Of Thyme kamen gut geölt daher und gefielen im Kontext sogar dadurch, dass die in dieser Szene üblichen Prog-Ambitionen nicht allzu deutlich in den Vordergrund gestellt wurden, sondern dass man lieber die melodischen Aspekte der miteinander verzahnten Gitarren- und Keyboard-Sounds für sich sprechen ließ. Irgendwie schienen sich die Jungs auch echt über diesen Auftritt zu gefreut zu haben und machten das durch eine körperbetonte, enthusiastische Darbietung deutlich.

Gleich im Anschluss bewiesen die Nerven im Kesselhaus, dass sie die Lehren, die sie aus ihrer inzwischen zehn Jahre andauernden Karriere gezogen haben, durchaus konstruktiv zu nutzen wissen und heutzutage die knüppeligen Postpunk-Holzhacker-Attacken, aus denen in der Vergangenheit ihr Programm ausschließlich bestanden hatte, mit zurückhaltenderen Passagen, dramatischen Breaks und ambitionierten Strukturen aufzulockern verstehen. Klassische Rock-Elemente wie Gitarren- oder Drumsoli wird man natürlich im Nerven-Repertoire immer noch nicht finden, aber spätestens mit der Veröffentlichung des gerade erschienenen, gefeierten und betont klug strukturierten Albums "Die Nerven" haben die Nerven gezeigt, dass mit ihnen auch langfristig zu rechnen sein wird.
Nach wie vor zu rechnen ist natürlich auch mit Altmeister Jon Spencer. Dieser spielte (zum Verdruss aller Fans, die ihrem Meister gerne bei der Arbeit zusehen würden) mit seinem neuen Projekt The Hitmakers im Frannz Club. Wie gewohnt galt dann: Licht aus, Musik an und dann hauten der betont gut gelaunte Spencer und seine Allstar-Band den Besuchern einen Kaputnik-Blues-Post-Noise-Punk-Kracher nach dem anderen um die Ohren - kompromisslos und beinhart natürlich. Was die Hitmakers von anderen Spencer-Unternehmungen wie Pussy Galore, Boss Hog oder der Blues Explosion unterscheidet, ist marginal: So schien es, dass Spencer es aufgegeben hat, sich ständig das Gesangsmikro in den Mund zu stellen, so sorgte Bert Brash mit seiner Metallmüll-Sammlung für noch mehr schroffen, trockenen, perkussiven Krach - während Sam Coomes Keyboard-Sounds allerdings fast im allgemeinen Overdrive untergingen. Letztlich war das aber - musikalisch - ein durchaus würdiger Abschluss des ersten Festivaltages.

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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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