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Konzert-Bericht
 
Edutainment de luxe

Mina Richman

Düsseldorf, FFT
28.01.2023

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Mina Richman
Mina Richman ist in Bad Salzuflen aufgewachsen, und das kann man bei ihrem Gastspiel in Düsseldorf gewissermaßen sehen, hören und fühlen. Die 24-jährige Deutsch-Iranerin vereint mit viel unverstellter Herzlichkeit humorvolle Anekdoten aus dem Alltag einer Lehramtsstudentin ohne Impulskontrolle, ein ausgeprägtes politisches Gewissen am Puls der Zeit und ein goldenes Händchen für facettenreichen Singer/Songwriter-Pop und wirkt dabei in ihrer ganzen Art wie eine Tochter im Geiste des ebenfalls aus der ostwestfälischen Kleinstadt stammenden Bernd Begemann. Ihren Künstlernamen, den sie sich zugelegt hat, als alle denkbaren falschen Schreibweisen ihres bürgerlichen Namens Schelpmeier einmal durch die Presse gegeistert waren, hat sie einem Cher-Song entlehnt, und ihre vielleicht größte musikalische Inspiration ist die großartige Joan Wasser alias Joan As Police Woman, bisweilen scheint ihr aber auch ihr Namensvetter Jonathan Richman über die Schulter zu schauen, der einst die Symbiose aus Pop, Verschrobenheit und Köpfchen zur Kunstform erhoben hat. In Düsseldorf begeistert Mina mit einem wunderbar ungezwungenen Auftritt, für den kein Superlativ übertrieben ist.
Beinahe hätte das Konzert gar nicht stattgefunden. Aufgrund eines Todesfalls im engsten Familienkreis von Gitarrist Friedrich Veit Ali Schnorr von Carolsfeld (der tatsächlich so heißt) hatte Mina kurz mit dem Gedanken an eine Absage gespielt, sich dann aber doch für die heilende Kraft der Musik entschieden. Im Foyer des neuen FFT in Düsseldorf wird sie deshalb an diesem Abend nur von Alex Mau - "Er heißt Mau, spielt aber viel besser", erklärt Mina lachend - begleitet, der abwechselnd Bass, Stromgitarre, Akustikklampfe und Ukulele in Händen hält und auch sonst für den Zusammenhalt sorgt, für den die temperamentvolle Protagonistin nur bedingt einen Sinn zu haben scheint. Überhaupt erklärt sie den Auftritt kurzerhand zum Versuchsfeld, spielt gleich mehrere verheißungsvolle neue Songs zum allerersten Mal vor Publikum (Weltpremiere!) und hört selbst dann nicht auf, als ihr das Material ausgeht. Bei der Zugabe gelingt ihr das Kunststück, aus einer eigentlich erst halbfertigen Stück - "Das ist bisher nur eine Idee", erklärt sie entschuldigend - in Echtzeit eine Mitsingnummer zu machen und kramt ganz am Ende mit "Stop Asking Me" noch einmal einen ihrer ältesten Songs hervor, den sie eigentlich nicht mehr spielen will, "weil da noch zu viel Teenagerrebellion" drinsteckt. Doch auch sonst ist praktisch jeder Moment besonders.

Wenn das Tun von Bernd Begemann einst als "gesungenes Entertainment" treffend beschrieben worden ist, ist Minas Auftritt das perfekte Upgrade für das Hier und Jetzt, das weit über die gängigen Schlagwörter, die mit der queeren Künstlerin gerne in den Medien mit ihr in Verbindung gebracht werden (Anzug, Ukulele, Feminismus) hinausgeht. "Gesungenes Edutainment" ist das, was die junge Frau mit der unverkennbaren, brillant kontrollierten Gesangsstimme präsentiert, wenn sie von den brisanten Themen (nicht nur) ihrer Generation wie Consent oder Red Flags zum alltäglichen Wahnsinn ihres eigenen Lebens als junge Frau vorstößt. Dabei lässt sie ihre klugen und trotz viel inhaltlicher Tiefe immer auch wieder herrlich amüsanten Gedanken auf eine Art und Weise in ultra-eingängige Folk-Pop-Nummern fließen, die geschickt mit allerhand Versatzstücken jonglieren und deshalb sofort vertraut klingen, obwohl sie gerade hierzulande praktisch referenzlos sind. Ihre Songs handeln von verschwendeter Jugend ("Wasted Youth" entpuppt sich unter den brandneuen Liedern sofort als heimlicher Hit) oder vom Bei-rot-über-die-Ampel-Gehen, dem einzigen Thrill, den es in ihrer beschaulichen Heimatstadt außer einem Kino, ein paar Banken und ein paar Eisenbahnschranken gibt, und mit "I Tried" hat sie sogar einen prophylaktischen Break-up-Song geschrieben ("Als die Trennung dann kam, hatte ich schon was dazu!"). Da muss man erst einmal drauf kommen!

Zwischen den Songs hat sie, offenbar aufgeputscht von zwei statt der sonst üblichen einen Tasse Kaffee, ihre helle Freude daran, sich mit ausufernden Ansagen um Kopf und Kragen zu reden und sich mit diesem augenzwinkernden Oversharing so tief in die Karten schauen zu lassen, dass man am Ende des Konzerts das Gefühl hat, eine mehrbändige Biografie über sie verfassen zu können, ganz egal, ob es um die Karrierepläne ihres Vaters für sie geht ("Er wollte, dass ich Kardiologin werde, aber ich kann Blut nicht so gut sehen!"), um ihren Weg zur Einser-Schülerin, die mehr Freunde und Freundinnen in der Lehrerschaft als unter ihren Gleichaltrigen hatte, um die schlechte Erreichbarkeit von Therapeuten oder um die ungewöhnlich "ästhetische" IBAN-Nummer ihres Bankkontos. Herrlich auch, was sie über ihren weiteren künstlerischen Werdegang jenseits der vor Jahresfrist veröffentlichten EP "Jaywalker" sagt: "Wir arbeiten gerade an einem Album, weil wir von der Initiative Musik Geld dafür versprochen bekommen haben..."

Nur einmal wird Mina wirklich ernst: Ihren Song "Baba Said" über den Tod von Jina Mahsa Amini leitet sie ein mit einem beeindruckend klaren, perfekt auf den Punkt gebrachten Statement zu den aktuellen Protesten im Iran, der Heimat ihres Vaters, und richtet einen eindringlichen Appell an ihre Zuhörerinnen und Zuhörer, das Thema trotz eines rückläufigen Medienechos nicht aus den Köpfen zu verbannen. Das Lied spielt sie allein auf der Ukulele, es ist der intensivste, der ergreifendste Moment des Konzerts.
Nicht nur von dieser Nummer ist das Publikum so hingerissen, dass es Mina kaum gehen lassen will. Das selbstgesteckte Ziel ("Eine Stunde kriegen wir wohl voll!") verfehlt sie deshalb deutlich, denn als sie sich kurz vor Mitternacht verabschieden will, hat sie fast zwei Stunden auf der Bühne gestanden. Vorsichtig fragt sie das Publikum: "Ist es okay, wenn wir jetzt Feierabend machen?", erntet für diesen Vorstoß aber nur wenig Zustimmung. Keine Frage: Am liebsten hätten die meisten im Saal ihr noch die ganze Nacht zugehört.

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Surfempfehlung:
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www.instagram.com/mina.richman
Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-


 
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