Es mag sich wie ein preiswertes Klischee anhören, aber tatsächlich klang das Ganze als hätten hier drei Personen mit einer Stimme gesungen. Wie das aber öfter der Fall ist, wenn es alleine um den Gesang geht, sorgte die uniforme, sparsame Begleitung mit akustischen Instrumenten und das Fehlen echter Song-Highlights für eine eher beruhigende als mitreißende Grundstimmung. Wie Nick Barber allerdings in seinem Festival-Rückblick ganz richtig beobachtete, gebührte dabei Ellen Tackenkamp besondere Ehrerbietung, denn diese hatte es sich nicht nehmen lassen, in der 37. Schwangerschaftswoche noch auf Tour zu gehen. Ihre scherzhaft angedeutete Besorgnis, dass sie darauf hoffe, dass die Entbindung nicht gerade auf der Bühne des Static Roots Festivals stattfinden möge, erschien da gar nicht mehr so scherzhaft.
Mit einer ähnlich relaxten, sanftmütigen Grundstimmung ging es dann weiter mit dem Songwriter-Ehepaar Beth // James aus Austin, Texas. Warum sich das Paar dabei nicht die richtigen Vornamen Mikaela und Jordan (Burchill) als Bandnamen ausgesucht hatte, sondern die Zweitnamen, konnte auch Jordan nicht so richtig erklären. Ein kurzes Gespräch vor der Show brachte zu Tage, dass sich das Paar als zwei von der gemeinsamen Passion für gute Songs getriebene Musikfreaks betrachtet, die ihre Erfüllung im Schreiben und Spielen von eigenen, authentischen Songs gefunden haben, und für diesen Zweck auf ihre Erfahrungen als ausgebildete Jazzmusiker zurückgreifen - wobei sie sich intensiv in der Roots-Szene von Austin engagieren. Ihr Debüt-Album "Get Together" wurde dabei interessanterweise von James Petralli von White Denim produziert. Das ist deswegen spannend, weil Petralli (wie auch Cory Hanson, der das aktuelle Cordovas-Album produzierte) eher aus dem experimentellen Indie-Umfeld kommt. Irgendwie scheint sich diese Kombination aber förderlich auf Musiker aus dem Americana-Umfeld auszuwirken, denn die Folkpop-Songs des Duos kamen mit einer freistiligen poppigen Note und einer Prise Blues- und Jazz-Flair daher. Witzig dabei war die Wahl der Themen - denn Beth // James haben Songs für Eltern, die sie nicht sind, Hunde, die sie nicht haben und Löwenaugen im Programm. Der Song "Lion Eyes" wurde zudem von Spike Lee für dessen Film "Black Klansmann" zur Untermalung einer Szene ausgewählt - wohl wegen des Titels, wie Mikaela vermutete.
Das anschließend aufspielende kanadische Ensemble The Hello Darlins unterhielt dann das Publikum bei ihrer ersten Show in Deutschland mit großer Geste und jeder Menge (fast zu) professionell inszenierten Showmanships. Das hat jedoch einen Grund: Bei dem von Frontfrau Candace Lacina und ihrem Gatten Mike Little angeführten Ensemble handelt es sich nämlich um eine kanadische Allstar-Band. Keyboarder Mike Little hat mit Musiklegenden wie BB King, Long John Baldry oder Richard Marx die Bretter, die die Welt bedeuten, geteilt, Candace Lacina stand als Studiosängerin für Shania Twain oder Tegan & Sara hinter dem Mikro und der Tour-Bassist Kit Johnson hat etwa mit Chris de Burgh, Kate & Anna McGarrigle, Solomon Burke, Doug Sahm, Taj Mahal, Sarah McLachlan und nicht zuletzt Joni Mitchell musiziert - und sorgte mit seiner tongenauen Interpretation von Neil Youngs "Helpless" auch für ein echtes Highlight. Witzig dabei die Hintergrundgeschichte: Kit Johnson stammt nämlich aus dem in dem Track besungenen Northern Ontario und hatte deswegen stets das Gefühl, dass Neil Young den Song für ihn persönlich geschrieben haben könnte. Der Rest der Show bestand aus funky aufgefassten Coverversionen wie "Will The Circle Be Unbroken" und eigenen Stücken, bei denen öfter R'n'Blues, Folkpop und Gospel-Vibes ins Spiel kamen - wohingegen die Country-Vibes der Studioproduktionen keine besonders große Rolle spielte.
Ganz anders sah das allerdings bei Dylan Earl aus. Denn der Mann aus Arkansas hat die Country-Musik mit Löffeln gefressen und Hank Williams und die Altvorderen mit Gewinn studiert. Heutzutage lässt er das musikalisch wie auch optisch mit einem durchaus ansprechendem eigenen "Tears In My Beer"-Programm und ausgesuchten Coverversionen dann auch gerne wieder auf betont orthodoxe Art (und ohne ironische Distanz) raus. Auch Dylan Earl gehört dabei zur Spezies der Plaudertaschen - hatte die Sache aber deutlich besser im Griff als Jim Bryson am Tag zuvor. Wer auf klassische Country-Tunes nach Art der ursprüglichen Gründerväter und ohne neumodische Konzessionen stand, der ist bei Dylan Earl an der richtigen Adresse. Dylan Earl ist ein großer Verehrer des verstorbenen Country-Outlaws Blaze Foley. Da hatten Carmen und Kai Nees - die Autoren der Blaze Foley Biographie "Ein Außenseiter, der zur Legende wurde", die auf dem Festival vertrieben wurde - keine Mühe, Earl in ein Gespräch zu verwickeln und diesen zu überreden, Foleys "If I Could Only Fly" als Coverversion in sein Programm aufzunehmen. (Zugegeben war das schon alleine deswegen nicht so schwer, weil Dylan Earl stets ohne Setlist arbeitet und spontan auf die Tagesstimmung eingeht.)
Auch die norwegische Songwriterin Malin Pettersen scheint von der Tagesstimmung beeinflusst zu sein. Präsentierte sie sich bei ihrem letzten Gastspiel in Oberhausen (als Support-Act für Andrew Combs im Herbst letzten Jahres) noch als nachdenkliche Troubadourin mit melancholischer Note und dezidiert klassisch angelegten Folk-Settings, so sprühte sie an diesem Tage geradezu vor positiver Energie und fröhlich-freundlichem Gehabe - obwohl es dafür eigentlich keinen Grund gab. Denn irgendwie waren die Instrumente von Malin und ihren Bandmusikern verloren gegangen, so dass mit geliehenem Equipment improvisiert werden musste. Letztlich führte das zu technischen Problemen. Nachdem Jeff Robson zuvor gerade noch die Sound-Crew gelobt hatte - die ja mit ständig wechselnden Setups der verschiedenen Musiker zu kämpfen hatte -, schlich sich bei Malins Set ein nerviges Feedback-Dröhnen ein, das lange Zeit nicht ermittelt und eliminiert werden konnte. Freilich ließen sich Malin und ihre Jungs davon gar nicht beeindrucken und ignorierten diese Probleme einfach gut gelaunt. Nachdem sich Malin ursprünglich eher klassischen Americana-Sounds gewidmet hatte - und damit vollkommen zu Recht das Line-Up des Festivals zierte -, hat sie sich seit ihrer letzten Veröffentlichung "Wildhorse" von 2020 verstärkt mit Pop-, New Wave- und jazzigen R'n'B-Elementen beschäftigt, die sie und die Band nun auch in der Live-Performance und die neuen Songs ihrer kommenden, zweiten LP einbauten. So konnten die Fans dann eine runderneuerte Malin Pettersen erleben, die mit ihrer überraschend lockeren Art dann auch für eine entsprechend lebhafte Show sorgte. Das Coole dabei war dann der Umstand, dass es dabei aber nicht um Perfektionismus in der Umsetzung ging, sondern die unbändige Spielfreude der Beteiligten - denen man dann als Zuhörer auch gerne die eine oder andere hakelige Passage und schräge Töne nachsah, denn das war absolut authentisch und unterhaltsam - einfach weil sich die positiven Vibes auch auf das Publikum übertrugen.
Mit positiven Vibes (und Grooves) geizten im Folgenden auch Ferris & Sylvester nicht gerade. Mag sein, dass Issy Ferris und Archie Sylvester nominell ursprünglich mal als Folk-Duo gestartet waren - diese Zeiten sind aber schon lange vorbei. Nicht erst, seit das Duo im letzten Jahr ihr Debüt-Album "Superhuman" herausgebracht hat, weiß die ganze Welt, dass Ferris & Sylvester mit den Besten um die Wette rocken können. Selbst dann, wenn sie auf der Bühne nur mit Unterstützung eines Drummers aufspielen. Glücklicherweise ist es nämlich so, dass Issy eben nicht Gitarre, sondern Bass spielt - und somit dann keine Kompromisse in Sachen Bandsound gemacht werden müssen. Auch wenn es auf "Superhuman" auch Folk-, (Southern)-Soul-, Psychedelia- und Pop-Momente gibt, kombinieren Ferris & Sylvester ihre Fähigkeiten auf der Bühne zu einem kompakten, bluesigen Rock-Sound (Archie stand mal einer Blues-Combo vor). Das gilt dann nicht nur für den Titeltrack des Albums oder den älteren Trademark-Song "Golden", sondern auch für Balladen wie "Breadwinner" oder auch die brillante Cover-Version von Jimi Hendrix' "Little Wing" - die noch mal deutlich macht, wo das Herz der Briten eigentlich zu Hause ist: In den USA nämlich. Das hatte übrigens unerwartete Folgen: Als Ferris & Sylvester neulich in den USA auf Tour waren, gab es Komplikationen mit Issys Schwangerschaft, so dass es das Paar nicht mehr schaffte, vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes nach England zurückzukehren - was dazu führte, dass das britische Paar nun einen amerikanischen Sohn hat. Der ist zwar noch ziemlich winzig - mag es aber trotzdem, mit auf Tour zu gehen, wie Archie erklärte. Das führte dann auch dazu, dass Issy gleich von der Bühne zum Söhnchen zurückeilte, während Archie dann das Aufräumen und die Fanarbeit übernahm.
Die abschließende Show von John Blek & The Rats war dann die Folge einer ausgewachsenen Schnapsidee während der letztjährigen Weihnachtsfeier der Rats-Kumpels: Vor zehn Jahren veröffentlichten John Blek & The Rats ihr erstes Album "Leave Your Love At The Door". Zwar löste sich die Band bereits 2017 auf - weil sich die Musiker anderen Projekten zuwenden, sich auf das Familienleben konzentrieren und halbwegs normale Leute sein wollten - aber zum zehnjährigen Release-Jubiläum wollte man es dann noch mal so richtig krachen lassen: John Blek & The Rats beschlossen, anlässlich des Static Roots Festivals (wo sie ja schon 2016 und 2017 auf der Bühne gestanden hatten) für eine einzige Show außerhalb Irlands noch mal zusammenzukommen. Das war sicherlich eine gute Idee, denn obwohl die Sache vor zehn Jahren deutlich leichter von der Hand gegangen sei (wie John meinte), spielten die Rats hier zweifelsohne eines der besten Konzerte ihrer gesamten Laufbahn - dem man die sechsjährige "Spielpause" gar nicht anmerkte. Der Mix aus (US-geprägtem) Folk-Pop, Northern Soul, klassischem Songwriting und griffigen Rocksounds hat nichts von seiner Faszination verloren und die Spielfreude aller Beteiligten ließ nun wirklich keine Wünsche übrig. Es gibt ja so einige irische Acts, die in dieser Art tätig sind - aber John Blek & The Rats gehörten zweifelsohne zu den Besten ihres Fachs. Nicht nur, aber auch, weil es hier nicht um ein Vanity-Projekt von Mastermind John Blek ging, sondern weil alle Musiker - vor allen Dingen aber Vokalistin Anna Mitchell und Gitarrero Robbie Barron - einen gewichtigen Anteil am facettenreichen Sound des Ensembles hatten/haben. Das wurde bei der Show auch deutlich, indem sich John Blek des öfteren mit dem Rücken zum Publikum mit seinen Musikern vergnügte und diese immer wieder mit aufmunternden Gesten zu Höchstleistungen motivierte. Es schadet natürlich auch nicht, dass ein Großteil des Materials mit dem Swagger veritabler Drinking-Songs daher kommt - ohne jemals dem Irish-Folk zu Nahe zu kommen. Mal sehen, wie das in zehn Jahren bei der nächsten Re-Union aussieht. Anna Mitchell ist derweil mit ihren Solo-Projekten zur Zeit im Vor-Ruhestand (um sich um ihre Familie kümmern zu können) während es von John Blek im Herbst ein neues Album geben wird.
Fazit: Auch in diesem Jahr war es Dietmar Leibecke wieder gelungen, ein Line-Up zusammenzustellen, das am Ende gerade nicht durch seine Beschränkung auf orthodoxe Americana-Klischees, sondern durch eine große Diversität - sowohl in multinationaler wie in musikalischer Hinsicht - überzeugte und somit Vieles für Viele (und nicht etwa Alles für Einige) zu bieten hatte.
Angesichts der Probleme, der sich zur Zeit nicht nur die kreative, sondern auch die organisatorische Seite des Musik-Biz gegenüber sieht, ist das eine bemerkenswerte und höchst lobenswerte Leistung (zumal Dietmar das alles aus eigenem Antrieb organisiert). Es wäre freilich zu wünschen, dass es ihm gelingt, mit diesem Projekt in Zukunft mehr Fans erreichen zu können (zum Beispiel mehr Iren), denn zur Zeit besteht das Publikum nahezu ausschließlich aus Fans, die das Rentenalter zumindest mal im Blick haben. Nun ja - wenigstens hält Musik ja jung.
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