In diesem Sinne ging es am späten Nachmittag des ersten Festivaltages auch gleich entsprechend los: Das Trio Bed ist ein typisches Berliner Crossover-Projekt mit multinationaler Besetzung: Die argentinische Bassistin Sol Astolfi und der chilenische Sänger Nicolàs Astorgian taten sich mit dem deutschen Gitarristen Ema Schiller zusammen, um sich in einem - wie es heißt - "geschlechtsneutralen Setting" auf die Suche nach einer eigenen Identität in Sachen Trip-Hop, Shoegaze, Ambient-Dreampop und Psychedelia zu begeben. Gefunden haben sie die zwar noch nicht wirklich - aber dennoch ist es interessant, die Band auf dieser Suche zu beobachten, denn zumindest im Erzeugen von Spannungsbögen sind sie schon einen guten Schritt weitergekommen und die bandinternen Beziehungsdynamiken wurden im Kunstnebelschatten des Maschinenhauses nachvollziehbar und anschaulich präsentiert. Nach zähem Beginn wurde dann gegen Ende der Show deutlich, dass Bed doch auf dem richtigen Weg sind.
Alexander Hacke und Danielle de Picciotto sind ja schon seit einigen Jahren unter dem Projektnamen hackedepiciotto unterwegs - allerdings meistens in Sachen Konzeptkunst, Film-Scoring oder Theater-Projekten -, haben aber gerade ihr aktuelles Album "Keepsakes" veröffentlicht, das sich musikalisch mit den Erinnerungen an Ereignisse in einem (virtuellen) Freundeskreis widmet und deswegen musikalisch besonders vielfältig und vielschichtig angelegt ist. In diesem Sinne präsentierte das Duo dann im Kesselhaus ein spannungsreiches Set, das zwar von den konzeptionellen Altlasten des Duos noch deutlich geprägt war, das aber vor allen Dingen zwei Künstler zeigte, die auch Spaß am gemeinsamen musizieren hatten. Hacke am sechssaiten Bass (der freilich wie eine Gitarre traktiert wurde) und Stehtrommel und Danielle an Viola, Autoharp und Keyboards zeigten dann, dass auch intellektuelle Künstler beim Musizieren Kopf, Herz und Bauch zusammenführen können, wenn sie es denn nur wollen.
Das um einen Drummer ergänzte Kopenhagener Duo-Projekt Wedding überraschte im Ramba-Zamba-Theater auf der "Shameless/Limitless"-Stage mit einem Setup, wie man es von den Nerven kennt. Vor dem Drumkit stehen sich zwei Mikrofone gegenüber, in die Projektleiter Kristian Alexander und Kristoffer Blech dann gelegentlich etwas hineinrufen. Allerdings selten, denn vor allen Dingen haben sich Wedding monumentale Gitarrengebirge als Mittel der Wahl für ihre musikalischen Exkursionen in psychedelische Gefilde ausgesucht. Mit diesem Konzept hatten sie im Sommer in der 8mm Bar überzeugt - und taten das im Wesentlichen auch dieses Mal. Aber mal eine Anmerkung: Wie kann man nur auf die Idee kommen, sein Musikprojekt "Wedding" zu nennen? Vermutlich nur dann, wenn man im Web absolut nicht gefunden werden möchte.
Die niederländischen Brüder Ruben und Matthijs Pol hatten den Glamrock-Look der frühen 70s ebenso verinnerlicht, wie den New Wave-Sound der frühen 80er - und bemühten sich redlich, das Ganze glaubwürdig in ihrem Set im Maschinenhaus zusammenzuführen. Dabei hinkte das mit einem Drummer und einem Keyboarder ergänzte Projekt songwriterisch noch etwas spröde dem Anspruch hinterher, überzeugte aber in der Hinsicht, dass das Ganze ziemlich lebhaft und organisch in Szene gesetzt wurde. Anstatt auf die heute üblichen Computertricks setzten Pol dabei auf analoge Synthesizer, Live-Drums, Bass und Gitarre - und konnten damit auch jüngere Fans überzeugen, die vom Boygroup-Charme des Kernduos offensichtlich angetan waren.
Eigentlich ist es ja ein Oxymoron - aber tatsächlich ist das aus El Paso stammende Quartett Holy Wave so etwas wie eine "texanische Artrock-Band". Tatsächlich haben Ryan Fuson und seine Jungs auch mit dem Rock-Aspekt ihres Tuns nicht so viel am Hut - wie auch das im August erschienene aktuelle Album "Five Of Cups" zeigte, denn Holy Wave geht es offensichtlich darum, konventionelle Senkungsstrukturen aufzubrechen und unter am Atonalen entlang schrammelnden harmonischen Bedingungen möglichst hakelig wieder zusammenzusetzen. Im wesentlichen demonstrierten die Herren das auch in Reinkultur im Kesselhaus. Wer hier nach einem Flow mit erkennbaren Bewegungsimpulsen suchte, tat das vergeblich. Das war reine, stachelige Kopfarbeit mit zum Teil regelrecht unangenehmen Brüchen und verstiegen/spröder Handwerkskunst.
Im Ramba-Zamba-Theater gab es dann Probleme mit der Technik. Ein Stromschlag hatte den Synthesizer von Lisa Klinkhammer geschrottet. Zusammen mit Gitarrist Johannes Badzura bildet die Berliner Musikerin das Soft-Focus-Shadow-E-Pop-Duo Bad Hammer - und da ist der Verlust eines Synthesizers einfach keine Option. Ergo wurde dieser dann aufgeschraubt und am offenen Herzen operiert, während die Fans dann draußen warten mussten. Kurz gesagt wirkte sich dieses einschneidende Ereignis dann auch ein wenig auf den anschließenden Vortrag des Duos aus. Denn obwohl das Duo klassische Dreampop-Hits wie zum Beispiel die kurz vor dem Festival veröffentlichte Single "Angel No 1" oder "Call Me" vom letzten Album "End Of An Age" im Angebot hat, wirkte die Show dann doch etwas wackelig und angeschrägt - was aber angesichts der Umstände verständlich war. Musikalisches Potential haben Bad Hammer jedoch zur Genüge, auch weil das Setting für die Verhältnisse beim Synästhesie Festival erfreulich poppig ausgerichtet war.
Flawless Issues nennt der aus Stuttgart stammende Musikus Max Phlipp Schindler sein Dark-Disco-Solo-Projekt. Auch wenn man das aufgrund der restriktiven Beleuchtungspolitik im Kesselhaus wieder mal kaum sehen konnte, gab der Mann tänzerisch alles, um das Publikum zum Mitmachen zu bewegen. Außer eines Triggerpads brauchte er dazu nicht viel und schraubte seinen unerbittlichen Retro-Disco- und New Wave-Sound - auch ohne Live-Gitarren-Elemente - in immer wieder neue Dimension voran.
Im letzten Jahr erst war die Allround-Musikerin Gwen Dolyn mit ihrem Solo-Projekt auf dem Synästhesie Festival zu Gast gewesen. Kurz danach traf sie aber auf den Kraftclub-Gitarristen Steffen Israel - und über den gemeinsamen Plan, eine Coverversion des Tracks "Duell der Letzten" von Chaos Z einzuspielen, entstand dann eine weiterführende Zusammenarbeit, im Rahmen derer auch eigene Songs entstanden, so dass es notwendig erschien, dann auch ein gemeinsames Projekt loszutreten - und voilà: Tränen war geboren. Soeben erschienen ist das Tränen-Debüt-Album "Haare eines Hundes" erschienen, das für den Live-Vortrag um einen Drummer ergänzte Projekt dann auch im Vorfeld der teilweise schon ausverkauften Headliner Tour im kommenden Jahr im Kesselhaus präsentiert wurde. "Dafür haben wir das Album etwas vergrößert", meinte Steffen Israel und verwies auf die übergroße Vinyl-Replik in der Bühnenmitte. Wie auf dem Album gab es im Kesselhaus dann eine zeitgemäß aufgepimpte NDW-Variante, bei der die Rock-Elemente, die Gwen Dolyn als Solo-Künstlerin in den Vordergrund stellt durch einen hyperaktiven New Wave-Sound ersetzt wurde. Natürlich gab es auch den Song "Duell der Letzten" - und jede Menge der eigenen Rausschmeißer wie die mitreißende Single-Nummer "Stures dummes Herz". Der Versuch, das "ruhige Berliner Publikum" mit Aktionen wie dem Anlecken eines Pick-Ups im Superstar-Stil oder der Animation von einem Podest am Bühnenrand zu erkennbaren Begeisterungsstürmen hinzureißen, funktionierte dann allerdings nur mäßig.
Ein wenig rätselhaft ist das Ansinnen des Berliner multi-nationalen Anarchisten-Ensembles Early Labyrinth, mit komischen Kostümen und Kapuzen politische Statements in Form von Funk-, Soul-, Afrobeat- und Disco-Sounds in einem amüsanten 70s Setting musikalisch zu präsentieren - und sich dabei die Seelen aus dem Leib zu singen. Songs wie der Mitsing-Hit "Kerosene To The Zombies", "Guns Don't Kill People, Cops Kill People" oder "Letter From The McDonald On Guantanamo" lassen dabei erahnen, wie die Synapsen in den Hirnen von Christopher Kline und seinen jeweiligen Mitstreitern verknüpft sein müssen - erklären aber weder die Sache mit den Kostümen, noch die unglaubliche Inbrunst, mit der sich das Ensemble insbesondere gesanglich verausgabt und dabei das Publikum in seinen Bann zieht. Das war dann an performerischer Großartigkeit kaum noch zu überbieten und stellte sicherlich einen Höhepunkt dieses Festivaltages dar. "Das ist Musik, die dazu gemacht ist, auf den zukünftigen Gräbern toter Systeme zu tanzen", erklären Early Labyrinth auf ihrer Bandcamp-Seite. Ähnliches gab es übrigens zuletzt vor zehn Jahren, als Alex Ebert mit seinem Kleinorchester Ed Sharpe & The Magnetic Zeros durch die Gegend zog.
Am ruhigen Berliner Publikum konnte es eigentlich dann doch nicht gelegen haben, dass die Stimmung bei der Show von Tränen im Kesselhaus nicht so gezündet hatte, wie gewünscht. Denn bei der anschließenden Show der dänischen Rockband Iceage ließen die Fans alle Hemmungen fahren und verwandelten praktisch vom ersten Ton an das ganze Auditorium in einen einzigen Moshpit, bei dem sich Alt und Jung die Seelen aus dem Leib schüttelten. Obwohl die Jungs aus Kopenhagen kein neues Album im Gepäck hatten, feierten die Fans auch die älteren Tracks des Ensembles. Der charismatische Frontmann des Ensembles Elias Bender Rønnefeldt tat dabei ein Übriges, die Fans mit seinen agilen Rockstar-Moves immer wieder zu Höchstleistungen in Sachen Fan-Hysterie anzufeuern. Erst in der zweiten Hälfte der Show zeigten die Jungs mit einem gewissen Art-Rock-Anspruch, dass sie heute nicht mehr die agile Punk-Band sind, als die sie 2011 mit dem Album "New Brigade" aus dem musikalischen Ei gekrochen waren.
Ein totales Kontrastprogramm gab es dann noch im Ramba-Zamba-Theater, wo der kanadische Wahlberliner Sean Nicholas Savage sein aktuelles Solo-Programm präsentierte. Beim letzten Pop-Kultur-Festival präsentierte Savage sein Theaterstück "The Fear" als Commissioned Work. Wie sich nun herausstellte, hat er das Thema "Fear" auch musikalisch noch nicht vollständig verarbeitet, wie er in seinen fast schon poetisch ausgeführten, philosophischen Ansagen erläuterte. Die Angst sei etwa deswegen so effektiv - so Savage -, weil sie auf das Unbekannte verweise. Das jedoch biete kreative Möglichkeiten, die andere Seinszustände nicht beinhalteten. Insgesamt war das Solo-Set dann die perfekte Antithese zu den lauten Elementen, die ansonsten das Synästhesie Festival prägen. Mit sympathisch linkischen Bewegungen präsentierte Savage einen Querschnitt seines Oeuvres als Songwriter und rundete dieses mit einer Cover-Version des Discovery Zone-Projektes seiner Freundin JJ Weihl ab, die auch im Publikum verweilte. Das war dann alles sehr berührend, wie auch inspirierend und zugleich auf entspannte Weise intelligent - und somit ein würdiger Schlusspunkt des ersten Festival-Tages.
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