Aber der Reihe nach: Als Danielle Ayckroyd - wie Vera Sola im richtigen Leben heißt, aber nicht heißen will - in den Gesprächen zu ihrem aktuellen Album "Peacemaker" (das nach einer mehrjährigen Gestationsphase endlich Anfang des Jahres den Weg zu den Fans fand) sich selbst, ihre Weltsicht und die Unterschiede zu ihrer Bühnenpersona Vera erläuterte, stellte sie fest, dass sie in einer Vielzahl dieser Gespräche (natürlich nicht von uns) stets zuerst auf die Männer, die in dieses Projekt involviert waren, angesprochen wurde - obwohl sie doch letztlich alleine bestimmt hatte, wo der musikalische Hase langzulaufen hätte. Als kleine Rache dafür - und weil sie es sich inzwischen erlauben konnte - hatte sie dann für die aktuelle Tour ebendiese Herren der Schöpfung in einer Allstar-Band zusammengeführt, die sich sehen (und hören) lassen konnte.
Das waren dann im Einzelnen: Drummer Wyatt Bertz, der schon bei Veras erster Tour durch unsere Breiten 2018 dabei gewesen war - dieses Mal aber darauf verzichtete, eine Ratte als Totem mit auf Tour zu bringen. Der Songwriter-Kollege Anthony Da Costa, der auf der "Peacemaker"-Scheibe für die besonders abrasiven und psychedelisch verdrehten Gitarrensounds zuständig war - und der mit verkniffenem Gesicht, krudem Humor und sprödem Charme eine Handvoll eklektischer Kleinode aus seiner langen Laufbahn als Solo-Künstler zum besten gab, die er bereits im Alter von 13 Jahren mit eigenem Material angestoßen hatte. Veras Hubby Kenneth Pattengale (den man auch als eine Hälfte der Milk Carton Kids kennen darf), war bei "Peacemaker" als Gitarrist, Keyboarder und Co-Produzent an Bord. Und dann war da noch Veras ehemaliger Chef Elvis Perkins, in dessen Band Vera allmählich zu ihrer Berufung als Solo-Künstlerin gefunden hatte, der in dem Fall aber als Bassist eingesprungen war.
Vielleicht selber ein wenig überrascht von dem Zuspruch der Fans, die auf dieser Tour oft über Mund-zu-Mund-Propaganda zu den Shows gelangt waren, bedankte sich Vera zunächst dafür, dass diese Show ausverkauft war - gleichwohl sie bei ihrem ersten Besuch in der Hansestadt vor lediglich vier zahlenden Zuschauern auch schon mal eine Killer-Show gespielt habe. Eine Killer-Show gab es dann zweifelsohne auch in diesem Fall zu bestaunen. Zum einen wegen der geballten Kraft zweier ungewöhnlicher Gitarristen - die nun wirklich keine Gelegenheit ausließen, das Material nach Lust und Laune auseinanderzunehmen und verdreht wieder zusammenzusetzen und zum anderen wegen Veras nach wie vor ungebremstem Bedürfnis, mit ihren theatralisch/dramatischen Ausdruckstanz-Exaltationen alles immer noch wilder, größer, manischer, dystopischer und cineastischer machen zu wollen, als es die Inhalte ihres diesbezüglich eh schon nicht besonders zurückhaltenden Songmaterials sowieso schon geboten hätten.
Und da wären wir dann bei den Songs selbst angelangt. So etwas wie versöhnliche und gefällige Tendenzen braucht man bei Vera Sola gar nicht erst zu suchen. In Songs wie "Colony" oder "The Cage" vom Debüt-Album "Shades" (das Vera ganz alleine gestaltete) oder "Desire Path" und "Blood Bond" regiert nahezu uneingeschränkt der Wahnsinn. Wir beobachten Charaktere, die sich in Wahnvorstellungen und viszerale Dystopien stürzen, als gäbe es gar keine Abgründe, in die man reinspringen könnte, um die Sache hinter sich zu bringen. Und diese Charaktere verkörpert Vera Sola dann mit manischer Intensität, ausholenden Gesten, bedrohlicher Mimik und jeder Menge performerischem Gusto auf der Bühne (die aus diesem Grund eben ungeachtet ihrer Größe eben schnell zu klein zu werden droht). "Jetzt, wo ich es mir leisten kann, einen zweiten Gitarren mit auf Tour zu nehmen, kann ich selbst meine Gitarre ja zur Seite legen", freute sich Vera zu Beginn der Show. Das tat sie dann zwar nicht konsequent - baute das Instrument, wenn sie es verwendete, aber als Stage-Prop mit ins theatralische Geschehen ein.
Gleich mehrere der neuen Tracks der aktuellen Scheibe - wie z.B. "Desire Path" oder "I'm Lying" - beschreiben Charaktere, die sich etwas vormachen und sich in destruktiven Wahnsinns-Dystopien verlieren. Während Vera als Songwriterin diese Seinszustände durch komplizierte, strukturelle Details wie Halbtöne, Harmonie-Schwenks, wagemutige Arrangenements und verstiegene Akkordfolgen (die sie dann selbst auf der Bühne gar nicht mehr spielen kann, wie sie anlässlich "Desire Path" erklärte) darstellt, tut sie das auf der Bühne durch das Hineinsteigern in eine gutturale Intensität, die nicht nur ihr selbst, sondern auch dem Zuhörer den Atem nimmt. Ein geschätzter Kollege sprach von einer Stimmung wie bei einem Iggy-Pop-Konzert - was angesichts der zur Schau getragenen Körperlichkeit Vera Solas schon passend erscheint. Zugegeben: Eine Vera Sola-Show ist nichts für Weicheier - wer sich aber darauf einlässt, erkennt dann auch, wie vernünftig und kontrolliert im dramaturgischen Sinne Vera Sola dann mit diesem Abdriften in psychische Abwärtsspiralen umgeht, denn am Ende bleibt alles Heil und Vera macht auch nicht den Eindruck, als stiege ihr der morbide Wahnsinn zu Kopf.
Apropos morbider Wahnsinn: Zu Beginn ihrer Karriere als Musikerin nahm Vera Sola eine EP mit Coverversionen von Glen Danzigs Bandprojekt Misfits auf - die sich heutzutage nicht mehr finden lässt. Das hängt damit zusammen, dass Danzig Vera aufgefordert hatte, diese Stücke wieder zurückzuziehen, da er nicht damit einverstanden war. Da Vera aber zur Zeit noch kein neues Songmaterial auf Tasche hat, spielte sie dann in einer kleinen Solo-Phase gegen Ende der Show zur Ergänzung des eigenen Angebotes erstmals den Danzig-Song "Where Eagles Dare" - und zeigte dabei nochmal, wes Geistes Kind sie als Musikerin ist, indem sie sich köstlich über die Danzigschen Textzeilen amüsierte: "An omelet of disease awaits your noontime meal - her mouth of germicide seducing all your glands" - das ist schon au pair mit Veras eigenen Lyrics etwa des Songs "Desire Path": "Tell me you love me, I trust what you say... piss on my back and tell me it's rain. Then expect me to stay." Letztlich kein Wunder, dass "Blood Bond" - der Song von "Peacemaker", der die Sache mit dem Wahnsinn sowohl in Sachen Intensität und dann auch musikalisch auf die Spitze treibt - als Highlight gegen Ende der Show gegeben und in einer Demonstration kollektiver Extase zum Höhepunkt geführt wurde.
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