Ein Schwerpunkt in diesem Jahr bildete zum Beispiel die Afrika-Connection, im Rahmen derer unter dem Slogan "Focus On Africa" etliche (west)afrikanische Stars und Superstars sich auf den Festivalbühnen tummelten. Aber auch zahlreiche Residencies sorgten für internationales Flair. Richtig politisch wird das Festival dabei dann eigentlich eher durch die Zusammenstellung des Programmes und die Diskussionen als über die Musik selbst. Sicherlich einzigartig war in diesem Jahr aber der wenig beobachtete Umstand, dass mit der israelischen Band Rasco, dem persischen Duo Stereotype und der aus Exil-Russinen bestehenden Band Lucidvox Acts aus den aktuellen Brennpunkten der Welt zwar nicht miteinander, aber doch einträchtig nebeneinander aufspielten. Auf die internationalen und interkulturellen Aspekte und die integrativen Kräfte des Festival gingen bei der Eröffnungsveranstaltung sowohl Kultur-Staatsministerin Claudia Roth, wie auch die Festival-Gründerin Katja Lucke und die Kuratoren Yesim Duman, Christian Morin und Pamela Owusu-Brenyah ein - wobei sich diese allerdings allesamt auch nicht verkneifen konnten, eifrig darauf hinzuweisen, dass das Festival in diesem Jahr bereits sein zehntes Jubiläum feierte. Qualität - so scheint sich - setzt sich manchmal eben doch durch.
Nachdem das aus Secric Perry und K.ZIA bestehende R'n'B-Duo Twin Flame mit ein paar Songs bei der Eröffnungsveranstaltung erste musikalische Akzente gesetzt hatte, ging es mit dem Musikprogramm - auf das wir uns (wie üblich) aus kapazitären Gründen beschränken müssen - mit einem ersten Set des Berliner DJs Levente im Kesselhaus los. Den Versuch, DJ-Sets und Live-Konzerte miteinander zu verquicken, ist nicht neu. Es scheint aber so zu sein, dass das einfach nicht funktioniert, denn auch beim Pop-Kultur Festival kommen nicht mehr Musikfreunde früher in die Spielstätten, wenn vor und/oder zwischen den Shows DJs "auflegen", als wenn einfach Musik vom Band eingespielt wird.
Die "Commissioned Works" - also Auftragsarbeiten -, die exklusiv erschaffen werden, gehören zu einem der vielen Alleinstellungsmerkmale des Festivals. Irgendwelche Regeln gibt es dabei offensichtlich nicht. Den Commissioned Works-Reigen eröffnete in diesem Jahr der Bühnenkünstler Ulrich "Ulla" Hartmann, der laut Ankündigung eine Performance zum Thema "toxische Männlichkeit" präsentieren sollte, die aber letztlich zu einer absurden Kleinkinder-Oper ausartete. Wie in der Haribo-Werbung adressierte Hartmann das Publikum dabei mit einer verfremdeten Kinderstimme, während zwei als toxischer Barbie-Mann und mindestens ebenso toxische Baby-Göre verkleidete Akteure in einem pastellfarbenen Spielzeugland-Setting infantilen Kinderkram (wenn es so was gibt) präsentierten. Das musste man vermutlich nicht verstehen. Etwas konventioneller ging es mit den Commissioned Works im Folgenden dann im Ramba-Zamba-Theater weiter, wo die österreichische Harfenistin Martina Stock neben Harfen-E-Pop auch eine sogenannte "visuelle Soundskulptur" präsentierte. Diese bestand allerdings lediglich daraus, dass Martina Stock die Harfe dann von vorne, statt von hinten spielte, wodurch sie dann in den um das Instrument gruppierten Spiegeln zu sehen war, während sie ihre expressiven Tanzfiguren ausführte.
Konkret musikalisch ging es dann im Panda-Platforma Club zu, wo das aus den vier im Exil lebenden Russinnen Alina, Nadezhda, Galla und Anna bestehende DIY-Postpunk-Quartett Lucidvox aufspielte. Lucidvox hatten sich bereits vor sieben Jahren schon ein Mal beim Pop-Kultur-Festival präsentiert. Seither hat sich insofern einiges getan, als dass die Mädels nun eine musikalische Heimat auf dem Glitterbeat-Label gefunden haben. Rein musikalisch haben sich Lucidvox aber keinen Schritt vom ursprünglich implementierten DIY-Ansatz entfernt, mit dem sie sich vor allen Dingen von männlichen Rockbands und deren Formalismen absetzen wollen. Bis heute führt das zu einem archaisch/impulsiven und logischerweise auch femininen Ansatz, bei dem es mehr um das Bauchgefühl als um ein technisch einwandfreies Zusammenspiel geht. Das hat aber durchaus auch seinen Reiz - zumal Frontfrau Alina mit Querflöte und expressiven Gesten, Drummerin Nadezhda mit intuitiver Urgewalt und Bassistin Anna und Gitarristin Galla mit stoischer Eindringlichkeit die mit folkloristischen Elementen angereicherten - teils politisch motivierten - Postpunk Tracks dramatisch untermauern.
Eine Disziplin, die in den vergangenen Jahren meist von jungen Damen dominiert wurde, übernahm in diesem Jahr der finnische Musikus Jaako Eino Kalevi im Palais. Hier präsentierte Jaako nämlich - ohne Band, aber mit Bassistin - gut gelaunten, songorientierten E- und New-Wave-Pop. Wie schon seit Beginn seiner Laufbahn greift Kalevi auch beim Live-Vortrag oft und gerne auf Disco- und Club-Elemente zurück. Aufgrund dessen, dass es ja ansonsten auf der Bühne nicht so viel zu tun gibt, hatte sich Jaako bunt leuchtende Drumsticks mitgebracht und nutzte diese für einige Percussion-Einlagen, während er ansonsten an den Knöpfen eines modularen Synthesizers drehte und sich manchmal mit dem Mikro in der Hand als Crooner präsentierte. Trotzdem - und hauptsächlich aufgrund des ordentlichen Songmaterials und Jaakos performerischer Frohnatur - war diese Show dann aber keineswegs steril oder gar abstrakt sondern kurzweilig und unterhaltsam.
Gleich anschließend gab es dann im Palais nach 2017 und 2019 die bereits dritte Show von Ilgen-Nur und ihrer Band auf einem Pop-Kultur-Festival zu bestaunen - die auch die Titel ihrer aktuellen, in Kalifornien entstandener LP "It's All Happening" von 2023 zum Thema hatte. Was auf dem Papier eine sichere Bank in Sachen zeitgemäßem Indie-Rock mit kalifornischem Psychedelia-Flair hätte werden müssen, wurde dann indes von ungewöhnlich vielen technischen Problemen geplagt. Der Haustechniker musste während des Vortrages gleich mehrfach auf die Bühne, um Instrumente neu zu verkabeln oder Anschlüsse auszutauschen. Zum Glück aber haben auch die aktuellen Songs Ilgen-Nurs eine kämpferische Note, so dass sie und die Band dann am Ende doch noch die Kurve kriegten - gleichwohl der Show dadurch dann ein gewisses Maß an Glamour abging.
Bereits mehrfach hatte das Pop-Kultur-Festival Musiker eingeladen, die in ihrer ursprünglichen Heimat aufgrund der dort herrschenden politischen Verhältnisse nicht mehr wirken können. Dazu gehören sicherlich auch die beiden iranischen Musikerinnen Meshut und Xeen, die sich während der Pandemie in der Teheraner Underground-Szene zusammen getan haben, um mit ihrem Projekt Stereotype den Grundstock für ihre ganz eigene Vision von Industrial-Wave-Elektronika legen zu können. Ausleben kann man so etwas im Mullah-Regime natürlich nicht und so emigrierten sie 2023 über die Türkei nach Paris, wo sie heute ihre Basis haben. Diese Phase dokumentierten Stereotype auf der in diesem Frühjahr erschienenen EP "Code", auf der sie Persönliches und Politisches mit Sprechgesang, Club-Elementen, einer dezidiert stringenten Rhythmik und einer in diesem Zusammenhang gewiss nicht zu erwartenden eigenwilligen musikalischen Interpretation des Kinderbuches "The Wind And The Willow" zu einer ebenso eigenwilligen wie effektiven Melange verquicken. Das taten sie - mit viel Kunstnebel und performerischer Ernsthaftigkeit - natürlich auch auf der Panda-Platforma-Bühne. Dass bei so etwas keine fröhliche Popmusik herauskommen kann, versteht sich von selbst - ein faszinierendes Konzerterlebnis war das dann trotzdem.
Besonders hell war es bei dem Auftritt von Stereotype natürlich nicht gewesen. In dieser Hinsicht noch mal eins drauf setzte im Folgenden die im ausgezeichneten Programmheft (was eigentlich ein Buch ist) als "Ambient-Persona James K" ausgewiesene bildende Künstlerin Jamie Krasner. Die einzigen nennenswerten Lichtquellen bei dem Auftritt von James K im Maschinenhaus kamen dabei von ihrem Mischpult, von dem aus sie ihre auf Samples basierenden Darkwave-Elegien steuerte. Nur gelegentlich griff sie dabei zum Mikrofon, um ihre Tracks mit Vokal-Elementen anzureichern. Das war musikalisch gar nicht unangenehm - nur halt eben kaum sichtbar.
Aufgrund des Konzeptes, die Songs der Berliner Band Hope vom eher meditativen, zweiten Album "Navel" im Rahmen eines Commissioned Work mit den Filmen der britischen Unterwasserfilmemacherin Emma Critchley zu kombinieren, fand diese einmalige Veranstaltung im Palais mit seiner riesigen Projektionsfläche statt. Mit dem Album "Navel" hatte die Berliner Band das Art-Rock-Konzept ihres ersten Albums in Richtung eines eher ambientmäßigen, organischen Ansatzes umgekrempelt und präsentierten das aktuelle Material in einem tranceartigen (kathartischen) Flow, in dem sich Frontfrau Christine Börsch-Supan mit ihrer eigenen Krankheitsgeschichte auseinandersetzt. Im Prinzip war das wie gemacht, um mit Unterwasser-Aufnahmen Critchleys kombiniert zu werden. Nun war das aber so, dass diese Unterwasser-Aufnahmen nicht sonnendurchflutete, fischreiche Korallenriffs oder Ähnliches zum Inhalt hatte, sondern um Bilder von einem Trip in eine von der Außenwelt abgeschiedene Unterwasser-Höhle wiedergab - in der es gar nicht so viel zu sehen gab. Das auch deswegen, weil das Kameraequipment wohl nicht das Neueste war und weitestgehend verpixelte, unscharfe, verrauschte Aufnahmen lieferte. Während das der Präsentation des Songmaterials natürlich nichts von seiner Faszination nahm, war das atmosphärisch dann doch schon ein ganz schöner Downer.
Eines dieser typischen Pop-Kultur Bonbons gab es dann am Ende des ersten Festivaltages in der Alten Kantine mit dem Auftritt der Ur-Indie-Legende Tarwater, die die beiden Gründerväter Ronald Lippok und Bernd Jetstream 1995 noch auf dem Fundament der Ostberliner Band Ornament & Verbrechen gründeten, welche sie noch vor dem Mauerfall gestartet hatten. Ganz so, als habe es die letzten 30 Jahre nicht gegeben, machten Tarwater in Sachen Indie-Post-Rock-Ästhetik mit gewissen Kraut- und Elektronika-Elementen. Erstaunlich und erfreulich, dass sich neben einigen älteren Ur-Fans auch erstaunlich viele jüngere Zuschauer für den Auftritt der alten Recken interessierten.
Eines der wenigen Probleme im Zusammenhang mit dem Pop-Kultur Festival ist der Umstand, dass das Programm stets an den Abenden der drei Festival-Tage zusammengedrängt wird - und somit schlicht und ergreifend mehr ausgelassen als angecheckt werden kann. Insofern war es eine gute Idee, das Nachwuchsprogramm des Festivals zumindest ab Tag zwei und drei mit etwas Vorlauf zum Club-Programm in den Biergarten des Frannz-Clubs zu verlegen.
Den Anfang am zweiten Festivaltages machte die deutsch-kolumbianische Musikerin Daada - die indes zudem in Tansania aufgewachsen ist und teilweise auf Englisch singt und demzufolge mindestens vier Kulturen in ihrer Musik zusammenführt. Im Frannz-Garten trat Daada mit ihrem afrikanischen Gitarristen auf und präsentierte einen wirklich angenehmen Mix aus Afro- und Europop, Soul- und Latin Vibes, den sie multilingual interpretiert - teils auch auf Spanisch und einem tansanischen Dialekt. Dabei zeigte sich Daada als gewiefte Performerin mit einer souveränen Routine, der es mühelos gelang, das Publikum zum mitmachen zu animieren.
Die Berliner Künstlerin Fee Aviv (Dubois) kam sozusagen über den Umweg des Theaters zur Musik. Auf ihrer Website werden unzählige Theaterprojekte gelistet, die sie musikalisch begleitete. Parallel dazu begann sie eigenen, feministischen Indie-Pop-Songs zu schreiben, die sie dann auf ihrer von Max Rieger (Die Nerven) produzierten EP "Her" zusammenfasste und veröffentlichte. Stilistisch festlegen lässt sich Fee Aviv dabei nicht, wie sie bei ihrer Show im Maschinenhaus eindrucksvoll belegte. Mal davon abgesehen, dass ihre Songs überwiegend in einem melancholisch/balladesken Setting angesiedelt sind, gefällt der Umstand, dass Fee Aviv - zumindest als Songwriterin - keine Probleme damit hat, (Dream)-Pop und klangliche Opulenz zuzulassen, wenn das sinnvoll erscheint. Leider war das erneut eines dieser Maschinenhaus-Konzerte, bei denen es außer Kunstnebel und Schattenrissen nicht viel zu sehen gab. Nochmal: Live-Musik wird nicht dadurch besser, dass nicht zu erkennen ist, wer da auf der Bühne steht.
Ein totales Kontrastprogramm zu dem etwas verträumt anmutenden Set von Fee Aviv war dann die Show der Pop-Kultur-Veteranen Arab Strap im Kesselhaus. Diese Show war so sogar grell ausgeleuchtet, dass man glaubte, man hätte vergessen das Hauslicht auszuschalten. Bei dieser Show gefiel dann die No-Nonsense-Attitüde, mit der Aidan Moffat, Malcolm Middleton und ihre Männer die versöhnlicheren musikalischen Aspekte ihrer aktuellen LP "I'm Totally Fine With It Don't Give A Fuck Anymore" über Bord warfen und ihr Heil in der brachialen Auslegung ihrer im Vergleich zu früher deutlich zeitkritischer ausgelegten Traktate suchten. Insbesondere Aidan Moffats Art, seine Wortkaskaden heute ganz ohne Versuch, sich gesanglich zu betätigen, mit einer gewissen Unversöhnlichkeit ins Nichts zu tragen, macht es dabei heutzutage schwierig, die inhärente Spitzfindigkeit und den derben Humor der Schotten überhaupt noch zu identifizieren. Ohne Frage zeigt sich aber, warum sich Moffat und Middleton entschlossen hatten, sich nach dem Split vom 2006 dann 2021 wieder zusammenzuraufen, denn das Kapitel Arab Strap ist offensichtlich noch nicht zu Ende erzählt.
Das israelische Trio Rasco war in unseren Breiten erstmalig im letzten Jahr mit einer Tour auffällig geworden - gleichwohl Gitarristin Eden Atiya, Bassistin Gaya Wajsman und Itay Hamudi schon seit einigen Jahren aktiv sind. Seinen Namen hat das Trio von dem Songtitel "At The Rasco" des 2016 in Berlin verstorbenen israelischen Surf- und Rockabilly Künstlers Charlie Megira übernommen, der in seiner Musik, den Exploitation und Trash-Aspekt, den Rasco - die Band - inzwischen zu ihrem Markenzeichen gemacht hat, sozusagen vorweggenommen hat. Die Musik von Rasco ist ein wilder Mix aus Grunge-Rock, Surf-Twang, Harmony-Pop, Trash-Rock und Psychedelia. Auf ihrem vor kurzem veröffentlichten zweiten Album "Dmoat" kommt besonders dieser Aspekt zum Tragen - während bei der Show im Frannz Club vor allen Dingen der mitreißende Twang- und Rock-Faktor begeistern. Dass das Trio seine Lyrics großteils auf Hebräisch vorträgt (bis auf die Tears For Fears-Coverversion "Head Over Heels"), fällt bei dem munteren Soundclash kaum auf.
An gleicher Stelle im Frannz Club gab es mit dem Auftritt des Münchener Quartetts What Are People For? einen eigenartigen Auftritt an der Schnittstelle zwischen avantgardistischem Live-Konzert, Theater- und Dance-Performance. Das Debüt-Album des von der Musikerin Manuela Rzytki und der bildenden Künstlerin Anna McCarthy gegründeten Projektes erschien bereits 2022 auf dem Label der Acher-Brüder von Notwist. Im Frannz Club präsentierte das Quartett seine eigene Art von "dystopischer Tanzmusik", die auf einer Ausstellung McCarthys basiert und mit kindlicher Spielfreude politische Thesen, philosophische Fragestellungen mit Humor und Nonsense zu einem mitreißenden Flow verknüpft werden - wie zum Beispiel in dem (im Frannz Club einfach nicht enden wollenden) namensgebenden "Band-Titeltrack" namens "What Are People For".
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