Den Anfang machte in diesem Jahr die französische Songwriterin Lauren Cahan, die von der internationalen Sparte des Labels an das Reeperbahn Festival "ausgeliehen" worden war, um die in Frankreich bereits etablierte Künstlerin auch hierzulande ein Mal vorzustellen. Das Besondere an diesem Showcase war der Umstand, dass Lauren sich für diesen Auftritt erstmals mit der freistilig agierenden, britisch/französischen Komponistin und Elektronik-Spezialistin Josephine Stephenson zusammen getan hatte und ihr Programm aus fragilen, feingliedrigen Chansons in einem Semi-elektronischen Setting präsentierte. Interessant dabei ist dann der Umstand, dass es dabei um eine spannende Schnittmenge aus avantgardistischem E-Pop, frankophilen Harmoniefolgen und folkigen Nouvelle-Vague-Versatzstücken geht. Das Ganze war dann noch ein bisschen spröde, passte aber ganz gut zum Spätsommerwetter und machte neugierig darauf, was uns Laura Cahan dann im nächsten Jahr auf ihrer ersten Tour hierzulande live präsentieren wird.
Die Australierin Milan Ring (die ja schon am Vortag beim Aussie BBQ im Molotow aufgetreten war) überraschte im Backyard nicht nur mit einem neuen - modisch sehr eleganten und schicken - Outfit, sondern auch mit einem Set, bei dem ihre Künste als Gitarristin noch deutlicher zum Vorschein kamen, als am Tag zuvor. Mag sein, dass das ein Zufall war - aber daran schien eine Custom-Gitarre ohne Body, die sie am Tag zuvor noch nicht gespielt hatte, nicht ganz unschuldig zu sein. Auch die Möglichkeit, das Publikum bei ihrem Song "Leo" (einem Song über das Sternzeichen, nicht das Tier) als Chor mit einzubinden, ließ sie sich nicht nehmen. Dabei unterstützte sie ihren Vortrag mit illustrierenden, dramatischen und letztlich auch effektiven Gesten und reicherte das Programm auch wieder mit Rap-Passagen an. Obwohl da viel Technik dahinter steckte, erschien das Ganze niemals steril und erweckte teils den Eindruck, auf der Stelle improvisiert zu werden. Auf die Frage, ob sie denn tatsächlich auf der Bühne improvisiere, antwortete Milan: "Technisch gesehen soll das alles schon immer gleich sein - aber irgendwie mache ich doch jeden Tag etwas anderes auf der Bühne.”
Auch die südafrikanische Boyband The Joy hatte bereits am Vortag mit ihrem instrumentenlosen A-Cappella-Sound begeistert. Die Jungs aus einem kleinen Ort in der Nähe von Durban singen dabei in einem lokalen Dialekt, verzichten auf groß angelegte Show-Effekte, haben sich aber eine Art Slo-Mo-Choreografie für ihren Vortrag ausgedacht und hatten keine Mühe, das Publikum auch bei dieser Show mitzureißen. Das lag zum Teil auch an der Begeisterung am eigenen Tun, den The Joy auf der Bühne ausstrahlen - und sich dabei immer wieder gegenseitig anspornen und mitreißen. Noch ein kleines Detail am Rande: Ntokozo "Pastor" Magcaba, Melokuhle "Duzie" Mkhungo, Sphelele "Guduza" Hlophe, Phelelani "Sthombe" Sithole und Sanele "Marcus" Ngcobo hätten auf unsere Frage, was sie sich von ihrer ersten Gage als Musiker gekauft hätten, mit Sicherheit unisono "Goldzähne" geantwortet.
Auch Joan Wasser a.k.a. Joan As Police Woman, die das BBQ anschließend mit ihrem Auftritt beendete, zeigte sich von "The Joy" begeistert. "Wow - ich beneide die; weil sie ohne Instrumente reisen können", lobte sie die Jungs, noch bevor es mit ihrer eigenen Show losging. Bereits zuvor hatte Joan einen Secret-Gig im Plattenladen Michelle Records gespielt, bei dem sie die Songs ihres neuen - an diesem Tag erschienenen - Albums "Lemons, Limes And Orchids" vorgestellt und erläutert hatte (beispielsweise handelt der Titeltrack nicht von der Schönheit exotischer Pflanzen, sondern von dem, was wir als Menschen damit machen). Im Wesentlichen wollte Joan das auch bei der Show im Molotow machen wie bei Michelle, alleine mit Klavier und Gitarre. Aber kaum, dass sie sich ans Keyboard gesetzt hatte, um ihren Song "Full-Time Heist" anzustimmen, rutschte ihr das Fußpedal weg - und es brauchte dann mehrere Anläufe, die Mithilfe des Personals und ein paar Anmachsprüche aus dem Publikum, bis Joan dann letztlich selbst eine Rolle Gewebeband durchbiss und das Pedal dann so festkleben konnte, dass es auch tatsächlich nutzbar war. Dadurch ging wertvolle Zeit verloren - vor allen Dingen unter dem Gesichtspunkt, dass der als nächstes gegebene Titeltrack "sehr lang, aber nicht hoffnungslos" ist, wie Joan sagte. Eine Zugabe wurde Joan dann auch verwehrt, als das Set nach der festgelegten Zeit beendet wurde. Das war schade - änderte aber nichts an der Faszination, die Joan As Policewoman an diesem Tag im extrem nahbaren Solo-Setting ausstrahlte.
Beim N-Joy-Bus spielte Stina Holmquist dann noch ein kurzes Solo-Set. Das war insofern sehr charmant, als dass insbesondere Newcomer bei dieser Gelegenheit öfter gefragt werden, was sie denn so in ihrem Leben schon gemacht und erlebt hätten. Stina erklärte dabei - außer ihrer Familiengeschichte -, dass der Auftritt beim letztjährigen Orange Blossom Festival ihr bisher schönstes Erlebnis als Künstlerin gewesen sei, weil sie dort so nett aufgenommen worden sei. Auf diese Art von freiwilliger Mundpropaganda können gewiss nicht alle Festivals zählen. Der Umstand, dass Stina im nächsten Jahr dann erneut beim OBS spielen wird, stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest. Eine Solo-Show von Stina Holmquist ist dann auch eine sehr schöne, warmherzige und zu Herzen gehende Angelegenheit.
Die Australierin Asha Jefferies war zum ersten Mal in Hamburg (bzw. sogar Europa) unterwegs und musste sich noch damit arrangieren, dass es beim Aussie BBQ am Vortag gar kein Barbeque gegeben hatte. Sie nutzte aber auch die Gelegenheit, dann gleich drei Shows auf dem Reeperbahn Festival zu spielen. Eine davon dann - zusammen mit ihrer Band - beim N-Joy-Bus, wo sie eine Einstimmung auf ihre Late-Night-Show am gleichen Tag in der Nochtwache gab. Asha Jefferies macht das, was sich gemeinhin gut als Power-Pop umreißen lässt. Auf vielfältige Weise werden die Songs ihres noch aktuellen Debüt-Albums "Ego Ride" zwar mit jeder Menge Punch und Nachdruck vorgetragen, aber einen strikten Pop-Regime unterworfen, was Eingängigkeit und Arrangements betrifft. Solche Arten von Ego-Fahrten lässt man sich dann auch als Hörer gerne gefallen.
Bereits während Asha & Co. noch ihre Instrumente zusammen packte, machte sich in der Nochtwache bereits die junge Britin Eaves Wilder mit ihrer Band bereit zum Soundcheck ebendort. "Eaves" ist dabei eine Art Abwandlung des Namens Eva - wobei Eaves aber tatsächlich von allen Evie genannt wird. Künstler eben. Eaves Wilder kommt aus London, war zum ersten Mal in Deutschland und mag viele verschiedene Musikrichtungen. Dazu gehören außer den psychedelischen Dreampop-Songs ihrer Debüt-EP "Hookey" auch ziemlich viele Spielarten des Power-Pop, Post-Punk, Dreampop und Jangle-Rock. Dabei genügt es Eaves als Songwriterin aber nicht, Songs in einer der genannten Richtung aneinanderzureihen. Stattdessen stattet sie ihre Songs nicht nur mit unheimliche vielen Details aus, sondern schert sich auch nicht um erwartbare Songstrukturen. Dabei reichert sie ihre Tracks mit so unterschiedlichen Themen wie gestohlenen Overalls, Therapien oder Leute, die bei Konzerten zu laut quatschen, an - und biegt die Richtung, in die sich die Songs bewegen, immer wieder unerwartet um. So kann es sein, dass die Stücke als Ballade beginnen und über den Umweg einer Psychedelia-Einlage als Rockmonster enden. Die erstbeste Idee ist Eaves jedenfalls nie genug. Sie meint, sie mache das, weil sie sich ansonsten zu schnell langweile. Gut so. Bei der Show in Hamburg war Eaves erkältet und deswegen spielte die Band etwas lauter und "schmutziger" als notwendig - das war es dann aber auch schon, was sich als Kritikpunkt vorbringen ließe.
Inzwischen waren dann auch Asha Jefferies und ihre Musiker in der Nochtwache angekommen. Reeperbahn-Gigs sind dort nicht besonders lang und so konzentrierte sich Asha bei ihrem Set darauf, die poppigsten Songs ihres Albums "Ego Ride" wie z.B. "Cry Baby!", "Keep My Shit Together" oder "Cruise Control" zu spielen - die sich allesamt im Mid-Tempo-Bereich bewegen, aber auch durch infektiösen Hooklines und Mitsing-Refrains überzeugen (und teilweise auf dem Klavier geschrieben wurden). Ashas Anliegen, dem Patriarchat in Sachen Empowerment musikalisch den Stinkefinger zu zeigen, wurde dabei nur durch ihre Ansagen deutlich - hier ging es um das Entertainment.
Danach galt es noch die längere Strecke von der Reeperbahn zum Knust zu überwinden, wo Jesper Munk seine Rückkehr zum Metier des Live-Performers in eigener Sache zu feierte und nicht nur einen Rückblick auf sein bisheriges Schaffen als Solo-Künstler vermittelte, sondern auch schon erste Tracks aus seinem dieser Tage auf dem Glitterhouse-Label erscheinenden neuen LP "Yesterdaze" präsentierte. Hier zeigt er sich eher als jazziger Crooner denn als psychedelischer Blueser und führt beide Neigungen in einem nachtschattigen Setting in selbst produzierten neuen Songs zusammen. Auf der Bühne des Knust präsentierte sich Jesper mit seiner Band als no-nonsense Performer, der nicht mit Show-Effekten protzt, sondern in einer immersiven Hingabe seiner Kunst aufgeht. Das neue Programm wird er in Folge auch auf einer ausgedehnten Tour präsentieren. Jesper Munk ist zu Beginn seiner Solo-Laufbahn ja bereits mehrfach auf dem Reeperbahn Festival zu Gast gewesen - war dabei aber wohl noch nie so mit sich im Reinen, wie bei dieser beeindruckenden Midnight-Show. Wahrlich ein würdiger Abschluss für das Live-Programm für diesen letzten Festival-Tag
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