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Von zeitloser Relevanz

Latin Quarter

Hannover, Kulturzentrum Faust
03.10.2024

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Natürlich: "Radio Africa" war ihr großer Hit - und wird hier auch gleich wieder im ersten Satz erwähnt. Das macht die britische Band Latin Quarter zu einem One-Hit-Wonder. Dabei zeigen Mastermind Steve Skaith und seine drei Mitstreiter auch im Hannoverschen Kulturzentrum Faust, dass sie einerseits mit hochpolitischen und gesellschaftskritischen Texten immer noch viel Intelligentes zu sagen haben und andererseits musikalisch abenteuerlustig geblieben sind. Gegründet vor 41 Jahren, spielte man eine Art Wave-Pop mit Reggae-Spritzern. Bei der aktuellen Acoustic-Tour haben sie die Stücke radikal umarrangiert, vor allem durch die Hinzunahme eines Cellos.
Der Auftakt "Even Superman (Is Dead)" wirft ein erstes Licht auf eine eher pessimistische Weltsicht: Wenn sogar Superman aufgegeben hat, wie können Politiker die kranke Welt noch retten? Kaum eine Lösung könne das Verhandeln mit einem geladenen Gewehr sein ("Negotiating With a Loaded Gun"). "I Am Refugee" spannt den Bogen von der Nazizeit bis zur aktuellen Flüchtlingskrise im Nahen Osten. "Equality Not Revenge" greift die "Black Lives Matter"-Bewegung ebenso auf wie "That's Why I Turned My Badge In", das Vergangenheit und Gegenwart verknüpft, wenn sich ein Secret Service-Polizist im Angesicht der Gewalt, die zu Rodney Kings Tod führte, zur Abgabe seiner Dienstmarke entschließt, gleichzeitig aber an die Vietnam-Veteranen denkt, die ihre Traumata mit Heroin zu bekämpfen versuchten. "After Maralinga" geißelt die Atombombenversuche, die die britische Regierung in den 50er Jahren ohne ausreichenden Schutz für die beteiligten Soldaten und die Bevölkerung in Australien durchführte. "Nomzamo (One People, One Cause)" erinnert an die Repressalien des Apartheit-Regimes. "Radio Africa", vor genau 40 Jahren veröffentlicht, hat einen neuen Text bekommen: Die Hoffnungen, die mit Nelson Mandela verbunden waren, sind verflogen. Der Kontinent leidet weiter: diktatorische Regime, die Ausbeutung von Bodenschätzen, AIDS-Waisen, denen Medikamente vorenthalten werden. Harter Stoff und kein Wunder, dass Gott seine Schöpfung nicht mehr sehen kann und wenig Hoffnung hat, dass die Menschheit noch einmal die Kurve kriegt. "Time for you to wake up, me I'm going to sleep", verkündet der eigentlich Allmächtige desillusioniert in "Releasing the Sheep".

Nicht alle Songs haben eine politische Botschaft. Zu "Dylan Thomas Was Right" konstatiert Skaith, dass ihm im Bus inzwischen ein Sitzplatz angeboten werde, dabei schätze er sich selbst viel jünger ein. "The Desert Rose" erzählt eine Ausreißer-Geschichte und "Growing My Shadow" dreht sich um eine krampfige Beziehung - mit einer Mary Carewe, deren Lead Vocals hier besonders klar und berückend erklingen. Charakteristisch ist der abwechselnde Gesang mit Skaith innerhalb der Songs, die im Refrain zusammenfinden, mitunter ergänzt durch Steve Jeffries, dessen Keyboard überwiegend als E-Piano eingesetzt wird. Spannend ist die Hinzunahme eines Cellos. Mary Carewes Schwester Anna zupft die Saiten oder erzeugt mit dem Bogen schräge Töne, die Skaith mit Augenzwinkern als "ugly sounds" bezeichnet. Bei "Desert Rose" erinnern ihr hektisch-aufgeregter Strich an das Streicherarrangement für "Eleanor Rigby" der Beatles. Meist aber sind es getragene Melodien, die die Melancholie und den Ernst der Lyrics unterstreichen. Das steht beispielsweise der Zugabe "America for Beginners" besonders gut. Auf dem Debütalbum "Modern Times" kritisiert der Song den Rechtsruck in den U.S.A. unter Ronald Reagan - und passt erschreckend genau zu Donald Trumps Vorstellungen von Demokratie. Mary Carewe steuert bienenschwarmartige Keyboardflächen bei, ein bedrohliches Summen, während fast tröstlich Jeffries Klaviertöne darüberperlen.
Latin Quarter haben zahlreiche Besetzungswechsel hinter sich. Steve Jeffries war überwiegend an Steve Skaiths Seite zu finden. Mary Carewe ist seit Yona Dunsfords wohl endgültigem Abgang dabei. Und Mike Jones stand zwar nie auf der Bühne, schrieb aber mit und für Skaith die Texte zu zahlreichen Songs. Durch die heruntergedimmten Versionen bekommen die Lieder in der Besetzung als akustisches Quartett ein eher folkiges Gewand übergestreift. Ein klein wenig Reggae schaut noch hervor, wenn Mary Carewe eine Off-Beat-Phrasierung der Orgel einstreut. Skaith singt in einer wohltuenden mittleren Stimmlage mit Tendenz zu höheren Tonlagen, begleitet sich an der Akustikgitarre, erweist sich als humorvoller Moderator, bietet die eine oder andere Hintergrundinformation zu den Songs und zeigt sich als nahbarer Musiker, der Gespräche mit den Fans nicht scheut. Sympathisch, wenn er einen Studenten lobt, der im Rahmen einer Studienarbeit für die Lichttechnik bei dem Konzert zuständig ist. Nicht viele Achtziger-Jahre-Bands sind heute noch so relevant wie Latin Quarter. Auch wenn sie nun in eher kleineren Locations vor 100 Gästen auftreten. Warmer, anhaltender Applaus.

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Surfempfehlung:
www.latinquartermusic.com/de
www.ndr.de/kultur/musik/Steve-Skaith-Vom-Musikschreiben-leben-zu-koennen-war-der-Traum,skaith102.html
www.allmusic.com/artist/latin-quarter-mn0000133085
Text: -Martin Jedicke-
Foto: -Martin Jedicke-

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