Curtis Stigers hat Anfang der 1990er Jahre mächtig Glück. Er zieht nach New York und dort wird der berühmte Produzent Clive Davis auf den Mittzwanziger aufmerksam. Er bietet ihm einen Plattenvertrag an und stellt ihm renommierte Songschreiber wie Barry Mann oder Glen Ballard an die Seite. Das Ergebnis: Ein Debutalbum, das Stigers weltweit bekannt macht und mehrere Hits abwirft, darunter die Popballade "I Wonder Why". Das Konzert des heute 59-jährigen Amerikaners, der längst wieder in seinem Heimatort Boise, Idaho lebt, offenbart seine große stilistische Bandbreite, die der Alleskönner bei seinem Tourfinale in Hannover offeriert. Seine Liebe gilt dem Jazz, aber eben auch Soul und Blues sowie Folk und Singer/Songwriter-Pop. Und diese Liebe wiederum erwidern die 600 Zuhörer*innen im nahezu ausverkauften Saal mit reichlich Applaus - unter ihnen der frisch gebackene Trainer des Fußball-Bundesligisten VfL Bochum, Dieter Hecking, der vor den Toren Hannovers wohnt.
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Curtis Stigers erweist sich als humorvoll-sarkastischer Entertainer. Die Hits vom Debut habe man früher reichlich im Radio gehört. "Radio", fragt er. "Kennt das noch jemand?" Nun, so jung ist das Publikum dann doch nicht. Heute höre man die Lieder nur noch auf Hochzeiten oder bei TK Maxx. Im Pavillon erinnern sich die meisten an "Never Saw A Miracle", "You're All That Matters To Me" und natürlich "I Wonder Why", das schon nach wenigen Takten mit begeistertem Applaus begrüßt wird. Der Nostalgiefaktor halt, aber eben auch zeitloser Soul-Pop.
Ganz groß sind aber Stigers' Lesungen verschiedener Fremdkompositionen. "(What's So Funny 'Bout) Peace, Love And Understanding", bekannt vor allem durch Elvis Costellos Version, wurde ursprünglich von Nick Lowe für dessen damalige Band Brinsley Schwarz geschrieben. Stigers coverte den Song für den Soundtrack zu "Bodyguard" (mit Whitney Houston und Kevin Costner), der zum viertbestverkauften Musikalbum wurde und den Komponisten zu einem wohlhabenden Mann machte. Seitdem sei er mit Lowe befreundet, schiebt Stigers mit einem Augenzwinkern nach. Und seine erste Ehefrau sei auch begeistert, sei doch der Unterhalt gesichert. Der treibende Beat verändert sich im Pavillon zu einem entspannten Schlendern mit Rhythm'n'Blues-Touch. Gelungen auch: der folkige Western-Swing bei Bob Dylans "Things Have Changed" und Tom Waits' Pianoballade "San Diego Serenade", die sich, zieht man die Streicher ab, gar nicht so weit vom Original entfernt ansiedelt. Wunderbar der zusammen mit der fantastischen Carole King geschriebene Blues-Shuffle "Then I Had This Dream" - ein akustisches Road-Movie, ein musikalischer Trip im Greyhound-Bus den Mississippi entlang bis nach New Orleans. Und zum Liedausklang baut Stigers noch ein Schnipsel des King-Evergreens "I Feel The Earth Move" von ihrem Über-Album "Tapestry" ein. Hach! Standards wie "My Funny Valentine" befriedigen Stigers' Jazzaffinität, "You Don't Know What Love Is" plätschert als entspannter Bar-Jazz mit perlendem Klavier dahin, im Mittelteil zieht das Tempo etwas an, rafft sich zu Sinatra-Swing auf - und hey, wären die Sitze im Pavillon bequemer, sähe man sich in einem loungigen Sessel am Kamin mit einem Whiskey in der Hand.
Nach der Pause zwischen den zwei Sets erscheint Stigers allein mit Akustikgitarre auf der Bühne. Bei dem Folk-Blues-Song "John The Revelator" mit seinem gospelartigen Call and Response-Refrain orientiert er sich an der Aufnahme von Son House und beginnt a cappella. Ein Beweis dafür, wie rau seine sonore Stimme zu klingen vermag. Ebenso solo dargeboten: "This Life", Stigers' Ermahnung seiner selbst, das kurze Leben zu achten und mit Sinn zu füllen. Und schließlich Patty Griffins "Goodbye" als berührende Erinnerung an Stigers' verstorbene Mutter. Im Zugabenblock tritt Stigers noch einmal solo mit Gitarre an. "Lighten Up It's Christmas", ursprünglich für ein Charity-Event zugunsten von Obdachlosen verfasst und vor Jahren von einem missgelaunten Stigers geschrieben, empfiehlt: "Shut up and drink your Glühwein". Doch den brauchen die Fans nicht, um vielstimmig den "Hey Hey Ho Ho Ho"-Chorus mitzusingen. Getragen wird Stigers sonst aber von seinen brillanten Mitstreitern, die immer mal wieder Raum für nicht zu ausufernde Soli erhalten. Cliff Schmitt am Kontrabass, den er zupft und streicht, und Paul Wells am Schlagzeug bilden ein starkes Fundament, auf dem Billy Test seine Tastenläufe zelebrieren kann, besonders schön in dem Joe Jackson-Cover "Fools In Love". Stigers greift immer wieder zum Saxofon und setzt damit das eine oder andere Highlight. Über allem freilich schwebt diese Stimme: soulige Wärme, bluesiges Reibeisen, swingende Lässigkeit.
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