Im März 2020 besuchte der Autor dieser Zeilen sein letztes Konzert vor dem Lockdown. Saga spielten auch damals im Hannoverschen Capitol, danach war erst einmal Schluss mit Live-Musik. Bereits 2017 schien auch für Saga Schluss zu sein, gingen sie doch auf eine Farewell-Tour. Ein Missverständnis, wie Sänger Michael Sadler später zu Protokoll gab. Von einer Krebs-Operation genesen, heißt die aktuelle Tour nun optimistisch "It Never Ends". Nicht nur die 1.300 Fans im Saal freut das. Tatsächlich feierten die Kanadier in Deutschland ihre höchsten und häufigsten Chartplatzierungen. Auch wenn es eine längere Durststrecke gab, sogar einen gut dreijährigen Ausstieg von Sadler, immer blieb eine treue Anhängerschaft. Dies liegt vor allem an den stilprägenden Songs der ersten fünf Alben zwischen 1978 und 1983. Fünfzehn Lieder stammen aus dieser Zeit und werden besonders bejubelt.
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Noch hat "Don't Be Late", der letzte Song vor den Zugaben nicht begonnen. Lautstark skandiert das Publikum den Titel, einer der All-Time-Favourites. Folgen werden vor dem Ende des zweistündigen Programms mit "Wind Him Up" der größte Hit und mit "You're Not Alone" ein weiterer Klassiker. Mit den Hits ist das freilich so eine Sache, sind Saga doch eher eine Album-Band, teilweise mit leitmotivischen Verknüpfungen. "Ice Nice" vom ersten Album sticht mit seinem poppigen Refrain heraus, bleibt in der zweiten Hälfte aber instrumental und beweist, dass Saga bereits vor den 80er Jahren reichlich Keyboards in die Rockmusik integriert haben. Zeitweilig bedient diese nicht nur Jim Gilmour; auch Mike Borkorky stellt seinen Bass beiseite und tritt an den Moog-Synthesizer und Sadler setzt sich hinter eine weitere Keyboardstation.
Vermisst wird Gründungsmitglied und Gitarrist Ian Crichton. Der hat sich im Sommer ein Bein gebrochen und wird bis auf Weiteres von dem bisherigen Bassisten Dusty Chesterfield ersetzt, der wiederum Crichtons Bruder Jim, der 2018 mit dem Touren Schluss gemacht hat, aber noch zum Songschreiber-Team gehört, ersetzte. Mit Chesterfields Wechsel an die Gitarre musste ein neuer Bassist her, den er in seinem langjährigen Kumpel Michael "Mike" Borkosky fand. Drummer Mike Thorne ist inzwischen im zwölften Jahr dabei, bekommt in der Mitte des Konzerts sein Solo, das er kompetent und variantenreich nutzt. Den typischen Saga-Sound kreiert auch diese Besetzung mühelos. Die unisono gespielten Gitarre/Keyboard-Parts, die Call and Response-Passagen zwischen den Instrumenten, die sirenenhafte E-Gitarre, die einen Ton stehen lässt, auf dem sich die Synthie-Wälle aufbauen, die Stop and Go-Effekte, die treibenden Drums, die bei "Pitchman" immer mehr beschleunigen, bis Sadler mit einem Schrei einen Schlusspunkt setzt.
Der 70-Jährige ist mit rotem Hemd, schwarzer Schlabberhose und langem Bart zum kahlrasierten Schädel ein begnadeter Frontmann, der in einem Mix aus Englisch und Deutsch - er lebte der Liebe wegen einige Jahre im Saarland - mit den Fans parliert und eher rhetorisch "Alles klar?!” fragt. Denn das Publikum feiert fast durchgehend die Band und sich selbst, intonieren "Hannover"-Sprechchöre, steigern sich in euphorische Ovationen und "Hey Hey Hey"-Anfeuerungen hinein, singen und klatschen mit. Sadler steht mitunter nur staunend an der Rampe, spricht von einem "special evening", breitet die Arme aus, als wollte er das gesamte Publikum umarmen. "So viel Spaß mit euch", schiebt er nach.
Die Stimmung gerät immer dann in Wallung, wenn die Songs kommen, ohne die kein Saga-Konzert auskommt: das ikonografische "Careful Where You Step", das hymnische "On The Loose" oder das fröhlich hüpfende "Humble Stance". "Time's Up" beschränkt sich auf Klavier-Begleitung und den Gesang von Sadler und vor allem dem Publikum. "The Sound Of Strangers" habe man lange nicht auf der Setlist gehabt und es kommt auch ein wenig bräsig daher. So zündet nicht jeder Song, mitunter mangelt es an zwingenden Melodien und die Komposition wirkt eher als Kompromiss, um sich instrumental austoben zu können. "The Flyer" oder "Cat Walk" hätte mancher vielleicht lieber gehört, aber dass die Kanadier die Setlist variieren, hält die Show lebendig. Gilmore übernimmt bei zwei Liedern die Lead-Vocals, die ein wenig gepresst wirken. An den Tasten aber ist er ein Meister, seine Exkursionen sind ein Genuss.
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Hinter den Musikern lugt auf einer großen Leinwand "Harold, the Locust" hervor, das galaktische, heuschreckenartige Insekt, das auf vielen Plattencovern auftaucht und eine Reihe von Songs, die als Chapter durchnummeriert werden, verbinden soll. Der Zusammenhang bleibt aber mysteriös, so will es Jim Crichton wohl auch. Saga ist übrigens auch die Bezeichnung für eine Heuschreckengattung, von denen einige Arten vom Aussterben bedroht sind. Tröstlich, dass Sagas Rockmusik mit seinen Progressive- und Pop-Ingredienzen immer noch seine Nische findet. "Silent Knight" hieß das dritte Album von Saga: Sadler und Co. sind auch keine Lautsprecher, sie ziehen seit fast einem halben Jahrhundert ruhig ihre Bahnen, bleiben offen für Neues, wenn sie mit "Symmetrie" akustische Versionen aus ihrem Katalog aufnehmen. Die Fans allerdings hoffen nach zehn Jahren ohne neue Songs auf wirklich Neues. Bis dahin genießen sie die Konzerte auf dem nicht endenden Kreuzzug der stillen Ritter.
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