"Ich will heute versuchen, nicht so viel auf dem Boden herumzuturnen", begrüßte Vera Sola das Publikum, "einfach deswegen, weil es hier nicht viel Boden zum Rumturnen gibt. Ich kann da aber nichts versprechen." Die Sache war nämlich die, dass die Situation im Nachtasyl nicht eben die günstigste ist für Shows mit viel Theatralik und Bühnenshow. Aufgrund dessen, dass die Bühne nur unwesentlich höher ist als das Auditorium und es offensichtlich kein Konzept für die Beleuchtungssituation gab, konnten im Folgenden dann eigentlich nur die Zuschauer, die unmittelbar vor der Bühne standen, sehen was dort eigentlich abging. Das ist natürlich für eine Performerin wie Vera Sola ein Problem - deren Show ja nicht zum unwesentlichen Teil aus theatralisch/dramatischen Ausdruckstanz-Situationen besteht. "Ich fühle mich hier irgendwie eingesperrt", erklärte Vera gar nach einigen Tracks und versuchte anschließend von einem Podest neben dem Merchstand zu performen (nachdem sie sich entgegen ihrer Gewohnheit die Schuhe ausgezogen hatte) - wodurch sie dann allerdings vollständig aus den zwei Lichtkegeln heraustrat, die im Wesentlichen die Bühnenbeleuchtung darstellten, weswegen sie sich dann doch wieder zur Bühnenmitte begab. "Es ist jetzt nicht mehr so schlimm", meinte sie anschließend, "manchmal muss man halt nur feststellen, dass man sich eingesperrt fühlt - dann löst sich der Käfig auf. Das ist natürlich ein Witz - aber auch wahr." Die Sache mit den Bühnen, die einfach zu klein sind für das, was Vera Sola als Performerin zu bieten hat, scheint sie irgendwie zu verfolgen.
Worum ging es aber auf der musikalischen Seite? Zwar hatte Vera Sola anlässlich der Tour eine EP namens "Ghostmaker" veröffentlicht, auf der sie - neben dem Nicht-LP-Track "The Gostmasters Daughter" - einige Tracks des Albums in akustischen Alternativ-Versionen neu eingespielt hatte, die den Eindruck einfangen sollten, den sie beim Schreiben der Songs gehabt habe - aber neue Stücke gab es dann nicht. Stattdessen bestand die Setlist aus einem soliden Mix der Songs von Veras beiden Alben "Shades" und "Peacemaker" sowie den beiden Nicht-LP-Tracks "The Ghostmaker's Daughter" und "Honey & Peaches". Hatte Vera Sola im April noch den Track "Where Eagles Dare" von ihrer inzwischen aufgrund der Intervention Glen Danzigs vom Markt genommenen Misfits-Cover-EP "Last Caress" gespielt, so verzichtete sie dieses Mal wohlweislich darauf. Wie schon zuletzt bestand die Band dabei neben Anthony Da Costa aus dem Longtime Drummer Waytt Bertz (der allerdings dieses Mal sein Rattenmaskottchen vergessen hatte), Vera Solas altem Chef Elvis Perkins am Bass und Kenneth Pattengale an Gitarre und Keyboards.
Zu Beginn ihrer Laufbahn als Performing Artist trat Vera Sola in bodenlangen Kleidern auf und spielte selbst alleine Gitarre. Das betonte dann natürlich die theatralische Dynamik der Performance - aber für körperliche Exaltationen, wie sie diese heutzutage präsentiert, gab es da natürlich keinen Raum. Heutzutage kann sich Vera Sola ja auch auf die sich verzahnenden Gitarrenfiguren von Anthony Da Costa und ihrer "besseren Hälfte" Kenneth Pattengale verlassen und greift deswegen nur noch gelegentlich zur akustischen Gitarre - beispielsweise beim Solo-Vortrag des Songs "The Gostmaker's Daughter", der in Hamburg nicht zuletzt aufgrund Veras virtuosen Vortrages zu einem absoluten Highlight geriet. Das führt auf der anderen Seite dann dazu, dass sich Vera Sola als Performerin dann heutzutage mehr Freiheiten nehmen kann - und auch ein Mal in Richtung Rockpower abdrehen kann. Dazu gehört dann auch, dass sie nun auf lange Kleider verzichtet, ihre Haare zu Zöpfen flechtet und dann auch öfter sogar das Mikrofon zur Seite stellt und sich dann die "charmante Instabilität" ihrer Musik zu Nutze macht, um in den richtigen Momenten so richtig loszulassen und aufzudrehen - inklusive eben Schlangentänzen auf dem Bühnenboden. Besonders manisch, fiebrig und exaltiert brach sich Veras Performance dann in jenen Stücken Bahn, bei denen der Wahnsinn näher ist, als die bloße Dystopie - nämlich "Desire Path", "Blood Bond" und "The Cage"; die allesamt im letzten Teil der Show platziert waren und den Weg in den Abgrund, den Vera Sola in ihren Shows stets zu beschreiten scheint, eindrucksvoll begleiten. Vera Sola schaut 2024 allerdings nur noch in den Abgrund, springt aber nicht mehr hinein. Die Spannung, die sie beispielsweise mit Songs wie "Bird House" oder "For" dann aufbaut, löst sich nun in regelrechten Rock-Passagen der vorgenannten Tracks - und hier zeigt sich Vera Sola dann in totaler Kontrolle des Materials. Passend dazu schaltet dann auch die Band - allen voran Anthony Da Costa, der mit seinen wilden Zuckungen seiner Chefin oft bewegungstechnisch Paroli bietet - öfter in den psychedelischen Rock-Modus.
Den Abschluss der Show bildete dann - wie gewohnt - eine sich episch entwickelnde, aufbäumende Version von "Instrument Of War". Kurzum: Es gab auch hier wieder die Vera Sola-Vollbedienung - die sicherlich nichts für schwache Nerven ist, dafür aber immer wieder lohnend, faszinierend intensiv und leicht crazy. Noch ein paar Anmerkungen: Es gibt wohl noch weitere überarbeitete Tracks in der Art der "Ghostmaker"-EP, die demnächst wohl veröffentlicht werden. Und dann haben auch die Mitmusiker neue Projekte im Angebot. Soeben erschienen ist das Weihnachts-Album "Christmas In A Minor Key" der Milk Carton Kids und sowohl Anthony Da Costa, wie auch Elvis Perkins haben neue Alben in der Pipeline, die im Laufe des nächsten Jahres erscheinen sollen.