Staring Girl sind so etwas wie der geheime Handschlag unter deutschen Indie-Fans: Immer, wenn man jemanden trifft, der die kleine, große Hamburger Band kennt, darf man sicher sein, es mit einem sehr geschmackssicheren Gegenüber zu tun zu haben. Seit mehr als 15 Jahren auf einem Niveau unterwegs, das hierzulande sonst nur Gisbert zu Knyphausen und Niels Frevert erreichen, hat die Band um Steffen Nibbe inzwischen drei ganz ausgezeichnete, zeitlos schöne Platten im Dunstkreis von Americana-Lässigkeit, Singer/Songwriter-Präzision und Indie-Pop-Leichtigkeit veröffentlicht, fliegt aber immer noch ein bisschen unter dem Radar. Auch die Konzerte des Quintetts sind selten, aber im Kulturgüterbahnhof von Langenberg gab's gleich zu Jahresbeginn endlich mal wieder eine Gelegenheit, Staring Girl live auf der Bühne zu erleben.
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Manchmal dauert es etwas länger: 13 Jahre sind seit unserem ersten Interview mit Staring Girl vergangen, zu einem Konzert hatten wir es bislang aber nie geschafft. Kunststück, haben die "Welttourneen" der Band doch oft genau drei Stopps - in Hamburg, in Nibbes alter Heimat Kiel und in Langenberg, da einige Bandmitglieder in Ostwestfalen heimisch sind. Das war auch in diesem Jahr so, und das Finale der kurzen Gastspielreise, passend zwischen Sonntag-Nachmittag-Kaffee und "Tatort" um 18.00 Uhr angesetzt - war, so viel dürfen wir vorwegnehmen, in der Tat ein Fest für Fans des intelligenten Songwritings.
Der Kulturgüterbahnhof, kurz KGB, in Langenberg ist eine dieser Locations, die man einfach gernhaben muss. Mit viel ehrenamtlichem Engagement wurde hier der in den 80er-Jahren stillgelegte Güterbahnhof des kleinen Ortes zwischen Rheda-Wiedenbrück und Lippstadt zu einem heimeligen Konzertort mit viel DIY-Charme umgestaltet, in dem in der Vergangenheit schon viele Künstlerinnen und Künstler zu Gast waren, die längst größere Venues füllen (CATT oder Black Sea Dahu zum Beispiel), und auch immer mal wieder alte Helden wie Thees Uhlmann, Muff Potter, Amber Rubarth oder die Crash Test Dummies vorbeischauen. Auch Staring Girl waren hier schon mehrfach zu Gast, und deshalb ist es kein Wunder, dass der Laden ordentlich gefüllt ist und nicht wenige - passend zu den Shoegazern auf der Bühne - schüchtern "still" mitsingen. Dass sich die Band hier wohlfühlt, ist schon offensichtlich, bevor Nibbe vor "Diebe, Halunken und Leute" sagt: "Der Protagonist dieses Songs ist froh, genau da zu sein, wo er gerade ist, und so geht uns das auch!"
Wie gut Staring Girl sind, kann man auch daran ablesen, dass die Konzerte der Band zwar echte Raritäten sind, die Musiker - Gunnar Ennen (Gitarre, Lap-Steel, Keyboards, Bass), Jens Fricke (Gitarre, gelegentlich Bass) und Frenzy Suhr (Bass, gelegentlich Gitarre) - Nibbe aber trotzdem seit Jahren treu sind. Nur Drummer Lennart Wohlt ist vergleichsweise neu dabei, allerdings war er auch noch Schüler, als die Band startete, insofern ist er entschuldigt...
Musikalisch sind Staring Girl an diesem Nachmittag auf den Spuren amerikanischer Singer/Songwriter-Giganten wie Jackson Browne, Neil Young oder auch Wilco unterwegs, und immer wieder fühlt man sich auch an Nils Koppruch und Gisbert zu Knyphausen erinnert, wenn Nibbe zum handgemachten, aber deshalb nicht übermäßig rustikalen Wohlfühl-Folk-Rock-Backdrop seiner Mitstreiter mit feinsinnigen Worten stimmungsvolle Bilder malt, die deshalb so zu Herzen gehen, weil er die Inspiration dafür oft mitten aus dem Leben pflückt. Fast zwei Stunden stehen Staring Girl im KGB auf der Bühne, aber trotzdem gibt es keine Längen, denn auch wenn sanfte Melancholie der Default-Modus für Staring Girl ist, gibt es doch viel zu entdecken, wenn die fünf mit den Kontrasten von Licht und Dunkelheit spielen. Das wird gleich beim ersten Song, "Farben", deutlich, wenn Frickes luftige Gitarrenlinien in Richtung Pop drängen, bevor sie den Weg frei machen für Nibbes grüblerischen Text, der die Menschen vor der Bühne mit detailverliebten Beobachtungen nicht nur an den Gedanken des Erzählers teilhaben lässt, sondern die Hörenden mitten ins Geschehen hineinkatapultiert und ihnen so die Möglichkeit bietet, selbst Teil der Geschichte, selbst Teil des Erlebten zu werden.
Was Nibbe in seinen Liedern verhandelt, ist zumeist nicht außergewöhnlich, besonders ist allerdings seine Gabe, Alltägliches aus ungewohnten Blickwinkeln zu betrachten und seine Erkenntnisse in poetische Zeilen fließen zu lassen, mit denen er betont unaufdringlich die Hand austreckt und sein Publikum einlädt, ihn ein Stück weit auf seinem Weg zu begleiten. Das darf man durchaus wörtlich nehmen, denn bei Staring Girl spielt das Unterwegssein eine wichtige Rolle, wenngleich Nibbe auch das eher an immobilen Dingen wie einem "Plattenweg im Sommer", einem "Parkplatz" oder einer "Endhaltestelle" festmacht. Zwischendurch gibt es mit "Menschen in Geschichtsbüchern" sogar eine leise Hymne auf das Nichtstun, bevor das psychedelisch umwehte "Die Liebe ist von allem das Größte" mit einem packenden Solo von Fricke glänzt und der Titelsong der aktuellen LP "Schräg fällt das Licht" Nibbes "persönliches Weltwunder", die Geburt seines Sohnes, als Ausgangspunkt nimmt. Dass ob der frühen Auftrittszeit auch einige Familien mit kleinen Kindern im Saal sind, freut ihn da ganz besonders. Auch das bereits erwähnte "Endhaltestelle", das am Schluss des regulären Sets steht, ist spürbar persönlich gefärbt: Nibbe erinnert sich hier an die Erfahrungen mit seiner ersten Band im Teenageralter und Ennen steuert augenzwinkernd ein absichtlich amateurhaft übermotiviertes Gitarrensolo bei, schließlich heißt es im Song: "Wir gründen eine Band und lernen erst danach, die Instrumente zu spielen."
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