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An der richtigen Stelle

Simon Joyner

Weikersheim, Club W71
26.01.2025

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Simon Joyner
Simon Joyner ist einer dieser bemerkenswerten Musiker, die lieber auf eigenen Pfaden unterwegs sind, als sich in der vagen Hoffnung auf den großen Erfolg künstlerisch verbiegen zu lassen. Im Club W71 in Weikersheim ist der 53-jährige Amerikaner aus Omaha, Nebraska, mit diesem Credo genau an der richtigen Stelle. Seit mehr als 50 Jahren wird in dem kleinen Städtchen im fränkischen Main-Tauber-Kreis in heimeligem Ambiente Musikkultur gelebt statt gearbeitet, deshalb ist es kein Wunder, dass am Ende eines famosen Konzertabends im Dunstkreis von Alternative Country, Americana und puristischen Singer/Songwriter-Tugenden Künstler und Publikum glücklich um die Wette strahlen.
Das unscheinbare grüne Gebäude des Club W71 in Weikersheim war einst der Kiosk des örtlichen Campingplatzes, seit 1971 ist es aber Zufluchtsort für die Musikbegeisterten der Region (und darüber hinaus). Mit endlos viel DIY-Spirit und großem musikalischen Sachverstand haben die ehrenamtlichen Macherinnen und Macher den Club W71 zu einer echten Institution werden lassen, in der mit viel Mut zum Experiment zwischen Jazz und Punk alles erlaubt ist - und die Künstler auch gerne mal mit hausgemachtem Käsekuchen zum Soundcheck empfangen werden. Waren es einst eher Alexander von Schlippenbach oder Peter Brötzmann, die hier auftraten, schauten 1982 sogar Die Toten Hosen vorbei, bevor später in den 80ern Legenden wie Mekons oder Half Japanese die Herzen der Freunde von Indierock mit ordentlich Schräglage höherschlagen ließen. In der folgenden Dekade waren dann die Vertreter der Hamburger Schule - Blumfeld, Tocotronic, Die Sterne - gern gesehene Gäste, und die Anziehungskraft ist bis heute geblieben. Zuletzt waren die erklärten Gaesteliste.de-Lieblinge Come zu Gast, im Februar kehrt Tom Liwa nach Weikersheim zurück und im Mai haben sich The Burning Hell angekündigt.

An diesem Sonntag allerdings gehört die Bühne, Simon Joyner und wer früh genug da ist, hat die Chance, einen echten Ausnahme-Singer/Songwriter zwei Armlängen entfernt praktisch auf Augenhöhe zu erleben. Anfangs haben die Veranstalter zwar noch ein wenig Sorge, dass sich der Auftritt der Pianistin Maki Namekawa, die in der neu erbauten TauberPhilharmoinie nur einen Steinwurf entfernt Keith Jarretts berühmtem "Köln Concert" neues Leben einhaucht, negativ auf den Publikumszuspruch im Club W71 auswirken könnte, aber am Ende müssen sogar noch zusätzliche Stühle in den kleinen Saal getragen werden, damit alle einen Sitzplatz bekommen.

In diesem Rahmen hat Joyner natürlich keine Mühe, von Anfang an zu begeistern. Anders als an den anderen Abenden seiner Tournee spielt er in Weikersheim zwei ausführliche Sets, und weil er weiß, wie's geht, erleben wir nicht nur ein Konzert mit Pause, sondern praktisch zwei in sich geschlossene Auftritte, die jeweils einen eigenen Spannungsbogen haben. Das erste Set führt uns von "Fearful Man" zu "I'll Fly Away", das zweite von "The Cowardly Traveller Pays His Toll" zu "There Will Be A Time". Obwohl er nur mit der Akustikgitarre bewaffnet auf der Bühne sitzt und zwischen den Songs zumeist wortkarg bleibt, entfalten seine Lieder schnell ihre Sogwirkung, denn wie wenige Songwriter sonst besitzt er die Gabe, sein Publikum gefangenzunehmen. Seine Phrasierung ist eigen, seine brüchige Stimme ist eindringlich, ja, bisweilen fast dissonant anmutend, aber gerade deshalb wundervoll echt und emotionsgeladen, wenn er sein Publikum in Geschichten eintauchen lässt, die fast immer melancholisch, oft höchst subtil und nicht selten auch rabenschwarz und mit einer solchen Präzision erzählt sind, dass man sich schon nach wenigen Sekunden mittendrin in der Szenerie wiederfindet.

Dass Joyner auf seinem vor wenigen Wochen veröffentlichten Album "Coyote Butterfly" versucht, das Unfassbare zu begreifen, und den Tod seines Sohnes Owen, der vor zweieinhalb Jahren an einer Überdosis starb, verarbeitet, spielt in Weikersheim keine besondere Rolle. Mit keinem Wort geht er auf den Inhalt der neuen Platte ein, und von den wenigen Songs, die er aus dem Album spielt, hat er sich die herausgepickt, in denen die Tragödie nicht im Mittelpunkt steht. Die einzige Ausnahme ist das an den meisten anderen Abenden der dreiwöchigen Europatournee nicht gespielte "The Silver Birch", das in Weikersheim versteckt zur Mitte des zweiten Sets ein ergreifendes Highlight ist.

Den Großteil der oft ellenlangen 18 Songs pflückt Joyner aus seinem riesigen Backkatalog. Neben warmtönenden Glanzlichtern aus seinen Platten der letzten Jahre - "Live In The Moment", "Morning Sun, Slow Down" oder "Time Slows Down In Dreams" - hat Joyner auch die Namen von ein paar echten Raritäten in sein Notizbuch gekritzelt. So gibt es das nur auf einem obskuren DIY-Live-Album veröffentlichte "Fools Gold On Main Street" zu hören, das aus seinem just wiederveröffentlichten 1994er-Album-Erstling "The Cowardly Traveller Pays His Toll" stammende "Fallen Man" (eine der wenigen Uptempo-Nummern des Auftritts) oder "Now We Must Face Each Other" von 2001. Letztere Nummer ist eine der wenigen, die Joyner ausführlich (und sogar mit einem Lachen) ankündigt: Der Song handelt davon, dass ihm ein Freund sein Liebesleid klagt, er aber nicht anders kann, als sich beim Zuhören in jedem Aspekt auf die Seite der Dame zu schlagen… Vermutlich unbeabsichtigt, aber trotzdem amüsant am Rande: Auf der Setlist steht auch "Nostalgia Blues", in dessen Text das Sydney Opera House Erwähnung findet, wo just an diesem Wochenende der bekennende Joyner-Fan Gillian Welch eine Reihe ausverkaufter Konzerte bestreitet.
Auch die finale Nummer des Abends kündigt Joyner mit einem Lachen an, denn eigentlich hatte er "There Will Be A Time" mit Bedacht als letzten Song gewählt und muss für die ungeplante Zugabe nun erst einmal nach dem richtigen Song suchen. Am Ende entscheidet er sich für "Farewell To A Percival", einen Favoriten seiner mitreisenden Tochter Tinca, die sich nach der Show auch um den Merchverkauf kümmert. Mit 13 wortgewaltigen Strophen (ohne Refrain!), die ein letztes Mal unterstreichen, warum er immer wieder zu den größten Songwritern seiner Generation gezählt wird, entlässt Joyner sein Publikum in die kühle Sonntagnacht.

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Surfempfehlung:
www.instagram.com/simonjoynermusic
bbislandmusic.com/simon-joyner
simonjoyner.bandcamp.com
Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-


 
 

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