Schon das Vorprogramm ist ausgezeichnet: Die ebenfalls aus Kanada stammende Singer/Songwriterin Georgia Harmer ist Spross einer Musikerfamilie - ihre Tante Sarah Harmer ist als Solistin unterwegs, ihr Vater Gord Tough spielt in der Band von Kathleen Edwards - und das kann man bei ihrem Solo-Gastspiel im Silent Green auch spüren. Herrlich cool und abgeklärt lässt sie sich weder vom bemerkenswert stillen Publikum irritieren ("Danke, dass ihr so einschüchternd aufmerksam seid", sagt sie mit einem Augenzwinkern), noch sieht sie sich gezwungen, viele Lieder aus ihrem 2022er-Debütalbum "Stay In Touch" zu spielen, die zumindest ein paar Eingeweihten bekannt sein könnten. Den Löwenanteil ihres 40-Minuten-Sets machen deshalb unveröffentlichte Songs aus ihrem zweiten Album aus ("Das erscheint im August, so viel zu dem Geheimnis", sagt sie spitz), doch trotzdem fällt es ihr leicht, praktisch vom ersten Ton an zu begeistern, wenn sie sich mit oft nur dahingehauchten Songs wie "Can We Be Still" auf die Spuren von Julia Jacklins nostalgisch anmutendem Indie-Folk begibt und dabei mühelos von Zerbrechlichkeit zu Gefühlstiefe findet.
Nur einmal lässt sie sich vom Publikum überrumpeln. Als sie erwähnt, dass ihr der in Europa länger anhaltende Applaus in die Karten spielt, um langwierige Stimmpausen zu füllen, hat sie nicht damit gerechnet, dass ihr das Berliner Publikum spontan 30 Sekunden Sonderapplaus spendet, bis sie tatsächlich die Akustikgitarre, die an diesem Abend ihr einziger Begleiter ist, fertig umgestimmt hat... Ihre Ankündigung, dass nach der Show kein Weg an ihr vorbeiführt, weil sie nicht nur ihre eigenen Devotionalien, sondern auch die von The Weather Station verkaufen werde, verstehen die Berliner nach diesem feinen, kurzweiligen Auftritt nicht als sanfte Drohung, sondern als eine Einladung, die viele gerne annehmen.
Perfekt eingeleitet mit "Pink Frost" von The Chills kommen dann The Weather Station um Punkt 20.30 Uhr auf die Bühne, und schnell ist klar, dass das kühle Ambiente des Silent-Green-Kuppelsaals, einst Teil des Krematoriums Wedding, heute ein elegantes Kulturquartier, perfekt zum Understatement passt, mit dem Tamara Lindeman ihre Musik seit mittlerweile rund 15 Jahren durch verschiedene Genres geführt hat, bis sie nun bei ihrem bislang freigeistigsten und am schwersten zu kategorisierenden Werk angekommen ist. Im Kern live im Studio mit ihrer fabelhaften Band eingespielt, hebt Lindemann auf der neuen LP die ungefilterte Spontaneität dieser Sessions mit unzähligen Overdubs, elektronischen Tupfern und Field Recordings auf eine höhere Ebene. Live blühen die Songs, sanft entschlackt, in einem neuen Licht neu auf.
Drehten sich die Vorgänger um Lindemanns Klimakummer, spürt sie auf "Humanhood" dem Gefühl nach, sich in einer immer abstruser werdenden Welt verloren zu fühlen und durch Verwirrung, Unbehagen und Trauer gelähmt zu sein. Entschlossen, das Chaos zu akzeptieren, anstatt daran zu zerbrechen, sendet sie nun mit diesen Liedern und ihrer ureigenen Version einer alternativen Popmusik für Kopf und Herz einen dringend benötigten Hoffnungsschimmer in die Dunkelheit.
Stichwort Dunkelheit: Live ist nicht nur die Musik von The Weather Station herrlich ambitioniert, das gilt auch für die Lightshow. Zu Beginn spielen die fünf Musikerinnen und Musiker praktisch komplett im Dunkeln, denn angestrahlt werden zunächst nur die drei "Felsen", die im Hintergrund als Bühnenbild dienen. Es dauert bis zum letzten der drei thematischen Blöcke, in die Lindeman die Show aufgeteilt hat, bis sich der Schleier der Dämmerbeleuchtung hebt. Doch obwohl sie das Programm betont ernsthaft und bisweilen eher wie Konzeptkunst denn wie ein klassisches Konzert präsentiert und am Ende auch noch einige intelligente Gedanken zu unserer politisch immer mehr aus den Fugen geratenen Welt teilt, wirkt der 80-Minuten-Auftritt nie kopflastig, sondern stets wunderbar menschlich und organisch.
Das liegt nicht zuletzt an wunderbar spielfreudigen Band und an der Tatsache, dass sich Lindeman am erst dritten Abend der kurz zuvor in Hamburg gestarteten aktuellen Welttournee nicht dadurch aus der Fassung bringen lässt, dass noch nicht alle Handgriffe so sitzen wie beabsichtigt. Lieber quittiert sie kleinere Unzulänglichkeiten mit einem lachenden Schulterzucken, etwa als ihr Sample-Pad einen eigenen Willen zu haben scheint oder sie sich zur Mitte des Konzerts einen Gitarren-Faux-pas leistet. Ganz versunken in die eigene Musik, vergisst sie einmal beim Wechseln ihrer Instrumente, das Stromkabel neu einzustöpseln, und folglich bleibt ihr großer Einsatz beim nächsten Lied stumm... Dass sie sich dafür mit einem Lächeln leise selbst verflucht, sorgt auch bei ihrer Band für viel Heiterkeit! Fast beiläufig geht so der Wunsch nach genau der menschlichen Verbindung, der an diesem Abend den inhaltlichen roten Faden bildet, bereits auf der Bühne in Erfüllung.
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