NACHGEHAKT BEI: Gina Été
GL.de: Warum gibt es eigentlich auf dem neuen Album - anders als auf der ersten LP - keine bzw. kaum noch Gitarren zu hören?
Gina: Es sind ja welche dabei - wenn auch nur ganz wenig. Der Grund-Unterschied zur ersten LP ist der, dass ich damals zwar alles selber geschrieben, dann aber alles mit meiner Band arrangiert habe. Wir sind dann ins Studio gegangen und haben alles in zwei Wochen mit Drums, Kontrabass und Gitarre live auf Tape eingespielt. Es gab dann immer viele Meinungen und das Arrangieren war durch die Band-Besetzung gegeben - dadurch sind meine Stimme und die Streicher-Sachen zu kurz gekommen. Dafür wollte ich mir auf der neuen Scheibe dann mehr Zeit nehmen - und das hat sich auch ergeben, weil ich in den Lockdowns mehr Zeit zum Schreiben und Komponieren habe. Deswegen finde ich, dass es auf der neuen Scheibe "mehr ich" zu hören gibt. Für dieses Album habe ich dann alle Basic-Demons alleine gemacht und dann mit Noé Franklé produziert. Deswegen gibt es auch so viele Streicher und mehr Keyboards.
GL.de: Auf deiner neuen LP "Prosopagnosia" geht es ja um ein Krankheitsbild, das es Betroffenen erheblich erschwert, andere Personen alleine an ihrem Gesicht wiedererkennen zu können. Bist du davon selbst betroffen?
Gina: Also was die Prosopagnosie betrifft habe ich da ein paar Tests gemacht und ich bin - je nach Ergebnis - so am unteren Limit dessen, was noch als "normal" gilt oder aber leicht betroffen davon, dass man eben Gesichter nicht wiedererkennt. Das merke ich im Alltag, wenn ich Leute nicht klar aus dem Kontext oder der Kleidung oder den Haaren identifizieren kann. Wenn andere Leute das dann verändern, weiß ich nie, wer das ist - auch wenn ich die schon tausend Mal gesehen habe. Die Gesichtszüge an sich kann ich mir nur bei Leuten merken, denen ich nahe stehe. Ich vergesse aber die Leute selbst nicht, sondern ich erkenne sie nicht am Gesicht. Was den Albumtitel betrifft, so geht es mehr so um Grenzen und Wahrnehmungen und was es mit einem macht, wenn man durchs Äußere in Boxen eingeordnet wird. Das Album stellt sich ganz stark gegen das. Und deswegen ist das eine Hommage an die Prosopagnosie, denn wenn man Leute nicht wiedererkennt, dann muss man offen sein.
GL.de: Wozu nutzt du dann deine Musik? Geht es um das therapeutische Verarbeiten? Das Beobachten? Das Kommentieren?
Gina: Es geht schon viel um das Verarbeiten. Gerade die wütenden und traurigen Songs sind dann die, in denen ich viel verarbeiten möchte - oder muss; denn ich habe da keine Wahl in dieser Hinsicht. Ich kann auch in Englisch oder Französisch ganz gut reflektieren. Wenn ich etwas aufgeschrieben habe, geht es mir dann auch schon viel besser.
GL.de: Wie stehst du denn zur Wahl der Sprache und welche ist am schwierigsten zu handhaben?
Gina: Also in meiner Muttersprache schweizerdeutsch ist das am schwierigsten. Ich versuche oft, etwas zu schreiben - aber das klingt dann zu "stoppig" und nicht so natürlich. Im Deutschen ist ist das ähnlich. Zwischen Englisch und Französisch kann ich aber ziemlich gut switchen. Ich probiere in beiden Sprachen rum und schaue dann, was mir besser gefällt. In der Muttersprache hingegen hat man vielleicht das größte Vokabular - aber da ist die Scham dann am höchsten, etwas peinliches zu sagen. Im Englischen ist das viel einfacher, weil man da alles sagen kann und sich weniger assoziiert. Und im Französischen klingt sowieso alles schön.
GL.de: Welche musikalischen Inspirationen gab es denn auf der neuen Scheibe?
Gina: Ich hatte einfach Lust, dieses Mal möglichst viel selber zu produzieren und habe deswegen ziemlich viel Bratsche, Synthies und Stimme verwendet - was den Sound natürlich mega krass verändert hat. Ich habe aber auf der anderen Seite auch ein paar Sachen wie FKA Twigs, Vasilii oder Douglas Dare rauf und runter gehört. Gleichzeitig ist viel von den ursprünglichen Demos drin. Zum Beispiel habe ich einen Computer auf das Klavier im Gang zu Hause aufgestellt - und das dann für die Produktion verwendet.
GL.de: Letzte Frage: Wieso klingt deine Musik meist so getragen und melancholisch? Du kannst doch auch anders, wie z.B. der Song "F***you:you" belegt?
Gina: Ich schreibe halt viel am Klavier und ich schreibe dann, wenn mich Sachen zum Nachdenken bringen. Wenn es mir einfach gut geht, dann bin ich halt unterwegs und schreibe nicht.