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Alles richtig gemacht

Desperate Journalist
Enjoyable Listens

Köln, Blue Shell
14.03.2025

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Desperate Journalist
Darauf haben wir lange warten müssen: Sechs Jahre nach ihren letzten Auftritten hierzulande stehen Desperate Journalist endlich wieder auf deutschen Bühnen, und das Schönste dabei: Sie klingen, als wäre die Zeit stehengeblieben. Auf seinem beeindruckenden fünften Album, "No Hero", tauscht das britische Post-Punk-Quartett immer öfter die Gitarren gegen einen Poly-Synth ein und findet so spielerisch neue Möglichkeiten, seine Vorliebe für Ohrwurm-Melodien, mitreißende Basslinien und aufwühlende Refrains in Dimensionen zu bugsieren, in denen Pop kein böses Wort mehr ist. Bei ihrer Rückkehr ins - restlos ausverkaufte - Blue Shell dagegen geht es auch ohne Gimmicks: Stimme, Gitarre, Bass, Schlagzeug - das reicht an diesem Freitag vollkommen aus für ein Konzert, das praktisch keine Wünsche offenlässt - und Vorfreude schürt auf die weiteren Deutschland-Konzerte, die im Anfang April noch in Schorndorf, Bielefeld, Berlin und Dresden folgen.
"Ganz ohne Gimmicks" ist allerdings ein bisschen gelogen, denn im Vorprogramm tritt ein junger Herr auf, der sich selbst als das "Uber Eats of the alt pop industry" beschreibt und dessen kompletter 30-minütiger Auftritt gewissermaßen ein vertontes Gimmick ist. Enjoyable Listens ist die Karikatur eines Larger-than-life-70er-Jahre-Popstars, ein Künstler, der mit übertriebenen Stage-Moves und ausufernden Ansagen über allerhand abstruse, offenbar mitten aus dem Leben gepflückte Themen die gesamte Bandbreite von charmantem Entertainment bis kurz vor Fremdschämen abdeckt, wenn er von der ersten Begegnung mit seinem späteren Schwiegervater berichtet oder dem Publikum vorrechnet, wie lange er seinem Dayjob nicht nachgehen müsse, wenn alle der rund 200 Anwesenden am Merchstand eine Platte von ihm kaufen würden - nur um gleich danach zu gestehen, dass er nur sieben Exemplare dabeihat…

Am Ende lädt Luke Duffett, wie der Brite im wirklichen Leben heißt, das Publikum für die Aftershow-Party noch zu sich aufs Hotelzimmer ein ("Raum 216 im Ibis Stadtmitte!") und kennt auch sonst keinen Filter. Musik gab es zwar auch, doch die scheint tatsächlich nur eine zweitrangige Rolle zu spielen, zumal die Songs bis auf den bisweilen an Bryan Ferry, Jarvis Cocker oder Divine Comedys Neil Hannon erinnernden Gesang komplett aus seinem auf Facebook-Marketplace erstandenen Laptop kommen - stets eingeleitet mit dem augenzwinkernden Satz: "Excuse me while I return to my device". Schlecht sind seine sehr englischen Indie-Pop-Songs keineswegs - dass der vielleicht größte Hit "A Laugh And A Half" heißt, kann kein Zufall sein! -, allerdings überschattet der Rest der Performance sie an diesem Abend so sehr, dass der amüsante, wenngleich manchmal etwas bemüht wirkende Auftritt eher als "Comedy mit Halbplayback" denn als Konzert im klassischen Sinne in Erinnerung bleibt. Ob er zumindest die sieben Exemplare seines aktuellen zweiten Albums "Trapped In The Cage Of A Hateful Bird" verkaufen konnte, ist nicht überliefert.

Wie ihr Fierce-Panda-Labelmate haben auch Desperate Journalist ein Faible für den Sound von gestern, doch auch wenn in ihren Songs immer wieder der Geist der britischen Post-Punk-Heroen widerhallt, die in den späten 70ern und frühen 80ern die Lieblinge der (mehr oder weniger) verzweifelten Journalisten von Sounds, NME und Melody Maker waren, klingen die vier im Blue Shell doch bemerkenswert zeitlos. Das in London heimische Quartett ist eine Band, bei der man schon immer das Gefühl haben durfte, dass nichts muss und alles kann, und deshalb ist es auch kein Wunder, dass Desperate Journalist bei ihrem Auftritt im Blue Shell instinktiv alles richtig machen, wenn sie gar nicht erst versuchen, den Sound ihres aktuellen Albums mit allzu offensichtlichen technischen Tricksereien oder zusätzlichem Personal 1:1 auf die Bühne zu bringen, sondern sich lieber so echt wie möglich geben und dabei mit spürbarer Hingabe in ihrem eigenen Tun aufgehen. Dass dabei das Pendel bisweilen mehr in Richtung Goth als in Richtung Pop ausschlägt, stört nur die wenigsten.

Trotz der vielen Jahre seit unserer letzten Begegnung mit der Band hat sich deshalb gar nicht viel verändert. Gut, Sängerin Jo Bevan kämpft mit dem Kabelsalat ihres Mikros nun am Bühnenboden, anstatt sich das Kabelgewirr wie in der Vergangenheit einfach um den Hals zu hängen, doch stimmlich glänzt sie mit der gleichen Hingabe, mit der sie schon immer alle Blicke auf sich gezogen hat. Der Preis für das expressivste Bühnengebaren geht derweil an den großartigen Rob Hardy, dessen Körpersprache mindestens so leidenschaftlich ist wie sein gleichermaßen effektbeladenes und facettenreiches Gitarrenspiel, während Bassist Simon Drowner und Schlagzeugerin Caz Helbert mit beeindruckender Coolness und manchmal geradezu stoischer Ruhe den von Hardy und Bevan entfachten Sturm in die richtige Richtung lenken.
Desperate Journalist begeistern aber nicht nur mit unglaublicher Spielfreude, sondern beweisen auch bei der Songauswahl ein goldenes Händchen. Anstatt ihren Auftritt zu einer Werbeveranstaltung für ihr neues Album zu degradieren, tragen sie ihrer langen Abwesenheit mit einem Set Rechnung, in dem es mit fünf Songs aus "No Hero" gleich mehrere neue Instant Classics wie das mitreißende "7" oder das Doom and Gloom verspühende "Silent" zu entdecken gibt, sondern auch reichlich Raum lässt für die Songs der ersten vier Alben. So gibt es erstmals auch Lieder des 2021er-Albums "Maximum Sorrow!" zu hören - allen voran das umwerfende "Personality Girlfriend" mit seiner perfekten Mischung aus Pop und Power und einem elektrisierenden Gitarrensolo - und sogar das lange nicht mehr gespielte "Distance" aus dem selbstbetitelten Debütalbum von 2015.

Da es im Blue Shell an diesem Abend wirklich brechendvoll ist und der Weg von der Bühne zum Backstageraum durch das gesamte Publikum führt, schenkt sich die Band das übliche Spielchen und taucht ohne vorher zu verschwinden mit der "Zugabe" "Control" und "Satellite" noch einmal tief in die Vergangenheit ein. "Was für eine tolle Band", schrieb danach ein Besucher des Konzerts - und diesem Fazit haben wir nichts hinzuzufügen!

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Surfempfehlung:
www.desperatejournalist.co.uk
www.instagram.com/enjoyablelistens
Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-


 
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