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Traumhaft!

The Cure

Hamburg & Berlin November 2002
The Cure
Als Robert Smith Gaesteliste.de im Sommer erzählte, die Band plane, die eigentlich für den Herbst angesetzten Aufnahmen des nächsten Albums mit Producer Ross Robinson zu verschieben, weil sie das Angebot für einen einmaligen Auftritt inklusive DVD-Aufzeichnung hätten, ohne dabei Inhalt oder Ort zu verraten, brachen bald wilde Spekulationen im Cure-Fanlager aus. Schließlich kristallisierte sich heraus, dass es im November drei Shows geben sollte, die auf der vielleicht besten inoffiziellen Fan-Website vor der endgültigen Bestätigung niedlicherweise als "three imaginary shows" angekündigt wurden. Und selbst als die drei Auftritte in Hamburg und Berlin bestätigt waren, mochte es so mancher kaum glauben, denn was dort angekündigt wurde, war für nicht wenige jenseits ihrer Imagination, ihrer Vorstellungskraft. Robert Smith und Co. wollten nämlich wirklich bei zwei Auftritten im für Cure-Verhältnisse geradezu kleinen Berliner Tempodrom ihre komplette Düster-Trilogie mit den drei Alben "Pornography", "Disintegration" und "Bloodflowers" spielen. Von A bis Z, von Anfang bis Ende, in voller Länge, ohne Tricks und doppelten Boden! Zusätzlich sollte es noch einen weiteren Auftritt in Hamburg mit "spontaner" Setlist geben, auch dies ein besonderer Anlass, galt es doch, das erste komplette Konzert in der neuen Großarena der Hansestadt, der Color Line Arena, zu spielen. Das kurzfristig noch zusätzlich in Brüssel angesetzte vierte Konzert war da kaum mehr als eine offene Probe.
Hamburg, Color Line Arena, 09.11.02

Ohne ein neues Album im Rücken hatten The Cure dieses Jahr lediglich rund ein Dutzend Shows auf den großen Sommer-Festivals gespielt und dabei ihre Setlist im Vergleich zur 2000er "Dream Tour" ganz schön durcheinander gewürfelt. Gut 40 Songs hatten sie ihren Fans Europa-weit gegönnt, darunter gut ein Drittel aus der erwähnten Trilogie. Zudem war kein Konzert im Sommer länger als zweieinviertel Stunden gewesen, man durfte also gespannt sein, was sich The Cure für diesen Auftritt, ihr einziges reguläres Hallen-Headline-Konzert des Jahres würden einfallen lassen. Im "schlechtesten" Fall würde es eine weitere offene Probe für die DVD-Aufzeichung in Berlin mit vielen Songs aus der Trilogie geben, schließlich hatte es dem Vernehmen nach gerade bei den Texten der selten gespielten Stücke von "Disintegration" in Brüssel etwas gehapert. Aber Pustekuchen, The Cure hatten sich in den Kopf gesetzt, in Hamburg ein komplett anderes Programm zu spielen und sich (und das Publikum) auf die Probe zu stellen. So fand sich auf der ellenlangen Setlist dann nicht ein einziges Stück (!) aus "Pornography", "Disintegration" oder "Bloodflowers" wieder!

The CureLos ging's stattdessen mit "Want", das ähnlich wie auf den Sommerfestivals einen bunten Reigen von Songs eröffnete, die eher die Puristen denn die Touristen unter den Fans erfreuten, Stücke wie "Shake Dog Shake", "The Baby Scream", "The Kiss", "The Drowning Man" oder "Push". Und "Primary" lief zum ersten Mal seit Jahren! Mit Ausnahme des selten gespielten, aber immer sehr willkommenen "Charlotte Sometimes", "Inbetween Days", dem atemberaubenden "Just Like Heaven" und, na ja, "High" waren die Hits reichlich dünn gesät gewesen, als sich The Cure nach 95 Minuten und "End" zum ersten Mal von der Bühne verabschiedeten - sehr zur Verwunderung sowohl der Touristen als auch der Puristen im Saal. Doch natürlich kamen sie wieder und gaben dem Publikum das, was es hören wollte: Den ganz alten Kram: "Three Imaginary Boys", "M" und sogar "Grinding Halt" - letzteres zum ersten Mal seit langer Zeit und von Robert stilecht "einsss, swei, drrai, wirr" angezählt! Damit hatte die Band wie bei den Sommerfestivals 22 Songs gespielt, und wenn das Konzert nach knapp zwei Stunden mit dem einmal mehr eine Massenekstase in der mit 13 000 Leuten fast ausverkauften Color-Line Arena auslösenden "Boys Don't Cry" zu Ende gegangen wäre, es hätte sich kaum jemand beschwert.

Doch Robert und Co. kamen umgehend wieder auf die Bühne zurück, Herr Smith murmelte etwas von wegen "Und jetzt etwas für die Samstag-Abend-Unterhaltung" und die Band brannte ein wahres Feuerwerk aus Hits und Hymnen ab, nicht wenige davon wurden in Hamburg zum ersten (und letzten) Mal in diesem Jahr gespielt, darunter "Close To Me", "Let's Go To Bed", "Friday I'm In Love" oder "Why Can't I Be You?". Doch damit nicht genug, für das große Finale hatten sich The Cure nicht nur den Über-Klassiker "A Forest" aufgehoben, nein, sie spielten auch noch das ultra-selten gebrachte (und nur auf dem "Anomalies"-Tape veröffentlichte) "Forever" in einer dermaßen wahnwitzigen Weltuntergangsversion, die nur mit drei Worten beschrieben werden kann: Härter, schneller, lauter! (Die Hereinnahme von "Forever" schien auch das Beleuchter-Team etwas überrascht zu haben, denn während des Songs war die Bühne noch im "A Forest"-Licht-Design zu sehen). Die Halle tobte, und als seien zweieinhalb Stunden und 29 Songs noch nicht genug, kamen die fünf noch für einen vierten Zugabenblock zurück. "Diese Songs wollten wir heute eigentlich nicht spielen", meinte Robert nur schelmisch und kündigte so die 20-minütige Kurzfassung der "Trilogie" an: Der erste Song von "Pornography" ("One Hundred Years"), ein Stück aus der Mitte von "Disintegration" ("Fascination Street") und das letzte von "Bloodflowers" (das Titelstück, das auch in Hamburg ein würdiges Finale darstellte). Knapp drei Stunden hatten The Cure auf der Bühne gestanden und trotzdem nur ganze drei von den Songs gespielt, die zwei Tage in Berlin auf dem Programm stehen sollten. Was sagt man dazu? Wow!

Berlin,Tempodrom, 11./12.11.2002

Wer glaubte, die Tatsache, dass die Setlist vorher feststand, würde die beiden Konzerte langweilig machen, irrte ebenso wie diejenigen, die fürchteten, die Kameras würden die Atmosphäre zerstören. Es waren zwei großartige, unvergessliche Abende, die es ziemlich sicher in dieser Form nicht mehr geben wird, schließlich waren sie für Band und Publikum auch ein ganz schöner Kraftakt. Los ging es um kurz vor halb neun also mit dem 1982er Album "Pornography", das auch erst später zum Klassiker avancierte und damals in der britischen Presse mit Statements à la "das ist Phil Spector in der Hölle" abgelehnt wurde. In Berlin dauerte es bis zur zweiten Hälfte von "Pornography", bis allen im Saal trotz der vorher angekündigten Setlist klar zu sein schien: Die meinen das ernst, die spielen die Platten wirklich komplett und zwar in der Originalreihenfolge. Denn was sich schon auf dem Papier als imposantes Projekt ankündigte, hatte in der Realität geradezu monumentale Ausmaße. Am ersten Abend fiel auf, wie locker die Band selbst an die ewig lange nicht, bzw. in der aktuellen Besetzung noch nie gespielten Songs des 20 Jahre alten Werkes herangingen. Besonderen Spaß schien Robert bei "A Strange Day" zu haben, bei dem ihm die Begeisterung ob der enthusiastischen Reaktion vor der Bühne ins Gesicht geschrieben stand. Am zweiten Abend gingen die fünf dann wesentlich ernster und konzentrierter zu Werke. Ob aus Gewöhnung oder weil ihnen die Versionen des Vorabends nicht gefallen hatten, sei dahingestellt. Interessant aber, dass kein qualitativer Unterschied zwischen den selten gebrachten Nummern wie "Cold" (ohne Gitarren mit Perry am zweiten Keyboard gespielt) und den öfter gespielten Songs wie "One Hundred Years" (ein solches Mammut-Konzert mit den Worten "It doesn't matter if we all die" anzufangen, ist schon mutig) oder "The Figurehead" auszumachen war. Nach rund 45 Minuten verabschiedete sich Robert grinsend mit den Worten "see you in seven years" in die erste Pause. In Echtzeit dauerte die Pause für den minimalen Bühnenumbau nur 20 Minuten, trotzdem kamen The Cure wirklich erst sieben Jahre später mit dem 1989er Meisterwerk "Disintegration" zurück. Dessen majestätischer Auftakt mit "Plainsong" riss das Publikum im Rund mindestens ebenso aus den Sitzen wie die Tatsache, dass Robert sich bei diesem Stück ohne Gitarre an den Bühnenrändern auch den Fans "hautnah" präsentierte, die kein Ticket für die begehrten Stehplätze in der Manege, sondern nur Sitzplätze auf der Tribüne hatten ergattern können. Und auch wenn The Cure auf der legendären "Prayer Tour" 1989 "Disintegration" fast Abend für Abend über den gesamten Auftritt verteilt komplett gespielt hatten, das Album nach so langer Zeit in voller Länge und Originalreihenfolge zu hören zu bekommen, war einfach phantastisch. Das Highlight des ersten Abends war ausgerechnet eine fast ungewöhnlich akzentuierte Version von "Lullaby", am zweiten Abend war es das Finale mit "Untitled". Klangen die meisten "Pornography"-Songs (abgesehen von einer etwas flachen Fassung von "A Strange Day" am zweiten Tag) an beiden Abenden nahezu identisch, ließen sich die Favoriten auf "Disintegration" schon klarer ausmachen. Den ungemein eindringlichen Gesang von "Prayers For Rain" (mit einer der vielen, vielen grandiosen Basslines von Simon - die er ähnlich wie Peter Hook am liebsten mit coolen Posen und den Bass auf Fußknöchelhohe hängend spielte -, die aus dem Cure-Sound ebenso wenig wegzudenken sind wie Roberts Gesang und Gitarrenspiel) am ersten Abend konnte Robert beim "zweiten Versuch" nicht wiederholen. Einen netten Gag hatte die Band auch für "Fascination Street" parat: Ganz zum Schluss machte Robert aus der Titelzeile nämlich "Fascination STRASSE". Übrigens, abgesehen davon, dass für "The Same Deep Water As You" vor Roberts Mikro eine Mini-Kamera installiert wurde, die Roberts Gesicht in Großaufnahme auf die Leinwand hinter ihm projizierte, machten sich auch in diesem Teil der Show die dezent am Bühnenrand und im Stage-Graben platzierten Kameras kaum bemerkbar.

The Cure
"See you in eleven years", hatte Robert nach "Disintegration" gesagt - nach einer weiteren Umbaupause stand also noch "Bloodflowers" aus dem Jahre 2000 auf dem Programm, also die einzige Platte, die The Cure mit genau den fünf Musikern eingespielt hatten, die auch in Berlin auf der Bühne standen. Trotzdem unterliefen der Band ausgerechnet bei diesem Teil an beiden Abenden die einzigen sofort hörbaren Patzer, beide Male verursacht von Drummer Jason. Quittiert wurde sein Fauxpas allerdings beide Male mit einem Lächeln von Robert und Keyboarder Roger (der ansonsten wie fast immer unbeweglich und starr dreinblickte und seine Keyboard-Parts innerlich mitzusummen schien). Mit zwei Jahren Abstand wirkte die Platte auch ganz anders. Schließlich war sie ursprünglich mal als potentielles Abschiedsalbum konzipiert gewesen (diese Idee ist ja glücklicherweise vom Tisch), und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass "Bloodflowers" in gewisser Weise ein musikalischer Rundkurs durch mehrere Cure-Phasen ist. Der vermehrte Einsatz von Akustikgitarren beschwor die 90er Pop-Sensibilität der Band herauf, die Tatsache, dass trotz großartiger Songs wie "Watching Me Fall" die Singleauskopplungen fehlen, erinnert an die epischen Alben Ende der 80er, und das Gitarrenriff von "Maybe Someday" ist ja wohl ohne Frage von Stücken wie "Three Imaginary Boys" oder "M" inspiriert, oder? "Bloodflowers" beendete dann nach unglaublichen drei Stunden und vierzig Minuten den Abend. Beendete? Nein, nein, denn The Cure hatten noch lange nicht fertig und kamen noch einmal zurück, um mit "If Only Tonight We Could Sleep" und "The Kiss" noch zwei weitere düstere Meisterwerke aus dem "Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me"-Album hinten dranzuhängen. Geredet hatte Robert bis zu den Zugaben so gut wie gar nicht. "Alles, was ich zu sagen habe, ist in diesen Songs", erklärte er passenderweise bei den Zugaben. Als danach am ersten Abend die Kameras ausgeschaltet wurden, sah es zwar wirklich nach Abschied aus, aber die fünf waren so unglaublich gut drauf, dass sie noch ein Album im Schnelldurchgang präsentierten: "Seventeen Seconds" nämlich, aus dem sie "M", "Play For Today" (mit seinem sensationell-ekstatischen Singalong, der auch Robert sichtbar rührte) und "A Forest" zum Besten gaben. Dann war am ersten Abend wirklich Schluss, aber wer wollte es der Band nach tollen vier Stunden und 20 Minuten auch verdenken? Was, bitte schön, hätten sie nach "A Forest" noch spielen können? "Na gut, ein paar Kracher aus dem ersten Album wären vielleicht nicht verkehrt gewesen", mag sich so mancher heimlich gedacht haben, und für genau die dürfte des Ende des zweiten Abends wie Weihnachten, Ostern, und Geburtstag in einem gewesen sein, denn dort gab es nach "A Forest" in der Tat den krönenden Abschluss mit "Grinding Halt" und "Boys Don't Cry"! Was soll man dazu noch sagen? Es waren wirklich "three imaginary shows", denn dass die Band nach der Trilogie noch knapp 45 Minuten Zugaben geben würde, hatten sich selbst die Die-Hard-Fans wohl ebenso wenig erträumen lassen wie die Tatsache, dass bei den Konzerten in Hamburg und Berlin zusammen unglaubliche 58 (!) verschiedene Songs zu hören sein würden. Es war, mit einem Wort, einfach: Traumhaft!
Surfempfehlung:
www.thecure.com
www.chainofflowers.com
www.curiosity.de
Text: -Three Imaginary Reporters (Bluhm, Wilhelm & Wohlfeld)-
Fotos: -Tais-


 
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