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Konzert-Bericht
 
Der Gesang im Feuerofen

The More I See
End Of April/ Sidesho

Köln, Underground
09.06.2003

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The More I See
So muss das sein: Bei Temperaturen wie in Gizeh streben die Unentwegten, die weder bewusstlos bei Rock am Ring zurückgeblieben noch am längst zu Mousse gewordenen Strassenteer noch an den Verlockungen der zahlreichen Kölner Biergärten kleben geblieben sind am Pfingstmontag dem Underground in der Vogelsanger Straße zu. Wo aber bereits die nächste Klippe lauert - das Club-eigene Biergärtlein, das zwar nur auf zwei bis drei Exemplare baumartigen Gestrüpps kommt, aber bei 30 Grad durchaus so seine Reize (kaltes Budweiser und knappe Damenmoden, um nur einige zu nennen) auszuspielen weiß... Doch nix da, ein Package von drei (mir) nahezu unbekannten, aber teils mit mehr als der üblichen PR-Keule an Vorschusslorbeeren behängten Bands lockt in den schwärzlichen Backofen des "großen" Underground-Konzertsaals (es gibt auch einen noch kleineren, sozusagen die Mikrowelle), wo wir zunächst halbblind der Glut entgegenstolpern...
...und den Klängen von Sidesho natürlich. Für den Gaestelisten.de-Gesandten übrigens die positivste Überraschung des Abends. Die vier jungen Herren aus Köln und Dormagen nennen ihren Stil selbst "Post Rock Grungelism" und bemühen weiter die bescheidenen Vergleiche "irgendwo zwischen Incubus, King's X, Faith No More [deren Namen sie falsch schreiben] und Silverchair". Das trifft es total und doch auch wieder nicht, weil der Sound von Rick Scheuß (voc), Christian Lewandowski (drms), Mick Neuschäfer (guit) sowie René Lachnicht (bss) erheblich moderner als die Vorgenannten daherkommt, vielleicht mit Ausnahme der ewig-frisch wirkenden Combo um Mike Patton. Weitere starke Assoziation ist noch, dass Ricks Stimme - vor allem beim zweiten Stück des Abends - nicht wenig an die Urgewalt von Crossis Organ erinnert, des Ausnahmesängers der Hannoveraner Mindwise. Rick bleibt übrigens während des ganzen Gigs auf einem Barfauteuil hocken, ohne dass dies der Intensität seines Vortrags irgendeinen Abbruch tun würde. Offensichtlich hat die Band schon drei Dröhnträger am Start und zumindest unsereiner wird versuchen, die Bekanntschaft mit Sidesho zu vertiefen.

Atempause, erneut geblendet, dringend notwendiger Mineralstoffausgleich an der Tränke. Über den zweiten Act des Abends, die niederländischen End Of April sollte Rezensent sich nach dem schönen Prinzip "Nil nisi bene" (etwa: halt den Rand, wenn du nichts Lobendes zu sagen weißt) eher weniger ausbreiten. In jedem Fall kann das Quintett auf einen Bandstammbaum verweisen, der Gruppen wie die Spermbirds, Starfish und Headcrash umfasst. Auch Nachwuchsband-Wettbewerbe hat man schon gewonnen. Aber zumindest an diesem Abend sprach ihre zugegeben hochenergetische Kreisch-Core-Variante so gar nicht zum Endesunterzeichneten. Die Fotos vermitteln vielleicht trotzdem etwas von der Power, wobei ihr euch bitte die Luftverhältnisse einer finnischen Sauna nach dem Aufguss dazu vorstellen wollet. Von End Of April sind u.a. die EP "Divided By Numbers" und der Langspieler "If I Had A Bullet For Every One" sowie ein Track auf einer bluNoise-Compilation erhältlich.

Erst nach 22 Uhr entert die Hauptband die Bühne, übrigens - wie im "intimen" Underground recht gut zu verfolgen - noch stocknüchtern. Was die Jungs um Gizz Butt (zu Deutsch etwa: Gisbert Arsch), der Tourklampfer von Prodigy war, nicht davon abhält, von Anfang an erheblich auf's Mett zu hämmern. Der Sound der Band aus Peterborough, East Anglia, hat erfreulich wenig mit den Electronica-Ausbrüchen von "Fat Of The Land" zu tun, stattdessen wird schweisstriefender, gitarrenlastiger EmoCorePunkRock geboten.

Auf The More I See konnte sich unsereiner immerhin anhand der aktuellen EP "Don't Look Now... I'm Living" gefasst machen. Live hat das alles doch noch erheblich mehr Hände, Füße und Eier, wenn auch der zweistimmige Gesang im Vergleich zur Konserve etwas leidet. Aber das Material ist einfach noch erheblich stärker, als die EP allein vermuten ließ. Gizz hat sich übrigens zur Feier des Abends mit einem Edel-Irokesen aufgebrezelt, der ihn wie die Freiheitsstatue wirken lässt. Wie eine sehr gemeine Statue of Liberty... Von seinem Mesa Boogie-Amp und dem erstaunlich umfangreichen Effects-Board zu seinen Füssen hört man übrigens bedauerlich wenig, etliche seiner Gimmicks bleiben offensichtlich in der Kellerakustik hängen.

Größte Abräumer und Ausnahmen im Set sind "Palalyzed" und "Empty Chair", die mit kunstvoll aufgebauten, vielminütigen Ausflügen in den Progressive Metal und Gitarrensoli verblüfften, die kein Mensch unter Punkflagge erwarten würde. Der Showstopper "Empty Chair" hat teilweise mehr mit King Crimson als mit Hardcore zu tun. Verblüffend und herrlich! Hoffentlich vermag die zu erwartende Full Length-CD das heute gegebene Versprechen einzulösen.

The More I See
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THE MORE I SEE

Unversehens Audienz bei den Künstlern in der Garderobe. Vom Backstage-Bereich von Major Acts haben sich ja inzwischen Vorstellungen eingebürgert wie: erlesene Spezereien aus aller Welt werden serviert auf den nackten Körpern heißgetanzter tscherkessischer Badesklavinnen, während goldkettchenbehangene Tourmanager Künstler wie vorgelassene Pressemuckel mit legalen wie weniger legalen Drogen versorgen. Pustekuchen: Beim hiesigen Dressingroom sollte man schon aufpassen, wo man sich hinsetzt, u.a. weil er im wesentlichen mit einem Kühlschrank möbliert ist, der allerdings immerhin den Vorzug aufweist, mehrere Bierkästen gleichzeitig aufnehmen zu können... Um die Kästen scharen sich Gavin King (guit), Lee Churchill (bss) und natürlich Gizz Butt (guit, voc).

GL: Das war ein Stilsturzbad gerade, vor allem beim letzten Song. Wen bezeichnet ihr eigentlich als eure Vorbilder?

Gavin: Einerseits frühen Punk, andererseits aber auch Heavy Metal, z.B. Metallica.

GL (konsterniert): Was von Metallica?

Gavin (lacht): Nur die ersten drei Alben natürlich. Aber vor allem gehören halt Clash und The Damned zu meinen Heroes.

Lee: Meine sind eher Grunger wie Alice In Chains oder Stone Temple Pilots.

GL: Gizz, in der Ansage zu "Chez Wrong" meintest du sinngemäß "Come on Ladies, wenn bei diesem Stück die Mädchen anfangen zu tanzen, kriegen wir auch die Kerls dazu!" Wie klappt das normalerweise?

Gizz: Normalerweise haut das ganz gut hin. Wie ja auch heute wieder. Obwohl es so glutofenheiß war. Überhaupt sind wir bei dieser Tour - unserer ersten richtigen in dieser Zusammensetzung - absolut begeistert von den Publikumsreaktionen.

GL: In der Ankündigung zu "Suck On These" nanntest du Tony Blair einen Lügner und Heuchler, der es sich leisten kann, einfach über den erklärten Willen von Hunderttausenden seiner Wähler hinweg zu gehen. Wie wichtig ist Politik für eure Texte?

Gizz: Absolut. Ich meine, worum geht es bei Punk, wenn nicht darum, Ungerechtigkeiten beim Namen zu nennen?

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Surfempfehlung:
www.themoreisee.com
www.endofapril.com
www.sidesho.de
Text: -Klaus Reckert-
Fotos: -Klaus Reckert-


 
 

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