Verkehrte Welt: Als Laufsteg-Model das zur Musik wechselt, hätte Karen Elson sich doch eigentlich dem Disco-Pop widmen müssen. Stattdessen gibt es nostalgische Ur-Country-Mörder-Balladen am Rande des Folk, die gefühlt musikalisch nicht über die frühen 50er Jahre hinaus reichen. Das wird erklärlich, wenn man weiß, dass sich Karen Elson schon seit längerer Zeit mit Musik beschäftigt und in der politisch motivierten New Yorker Künstlergruppe The Citizens Band neben eigenen Songs unter anderem auch Stücke aus der Frühzeit der populären Musik interpretierte - und vor allen Dingen, wenn man weiß, dass sie die Ehefrau von Jack White ist, der das vorliegende Werk produzierte und höchstdaselbst die Drums spielte. Nun ist das aber keineswegs so, dass es sich hier um eine verdünnte White Stripes-Scheibe oder ein anderes Vanity-Projekt Whites handelt: Karen kommt als Songwriterin und Performerin eher Kolleginnen wie Neko Case oder Gemma Ray nahe, die ein ähnliches Bedürfnis haben, die Anfänge der klassischen Pop-Musik für sich nachzuvollziehen.

Auch ist "The Ghost Who Walks" keine romantische Retro-Scheibe, denn Karen agiert mit dem Wissen von jemandem, der weiß, was NACH der emulierten Zeit passierte. So sind ihre Songs - musikalisch wie inhaltlich - alle extrem clever angelegt und agieren zuweilen gar mit ironischer Distanz - ohne deswegen in Parodien auszuarten. Mit Retro-Mikrofon, trockenen akustischen Gitarren, ruppigen Folk-Fiedeln, jaulenden Steel-Gitarren und Honky Tonk Piano arbeitet sich Karen Elson durch ein Oeuvre, das in dieser stilistischen Perfektion am Ende dann aber doch überrascht - zumal sie es schafft, der Sache einen durchaus eigenen Stempel aufzudrücken. Nicht zuletzt wegen des schlauen Hantierens mit Klischees, die sie geschickt gegeneinander ausspielt, bis von den üblichen Erwartungshaltungen gar nicht mehr viele erfüllt werden. Wollen wir mal hoffen, dass das keine Eintagsfliege bleibt.